Saudi-Arabien: Auto fahren nur mit Erlaubnis eines Mannes

Die Freude der saudischen Frauen war gross, als sie im Juni letzten Jahres selbst das Lenkrad in die Hand nehmen durften. Nach Jahrzehnten der Gängelung war ein kleiner Schritt auf dem langen Weg zur Gleichberechtigung endlich umgesetzt worden.

Michael Wrase, Limassol/Riad
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Hessah al-Ajaji fährt zum ersten Mal durch Riad. (Bild: AP Photo/Nariman El-Mofty)

Hessah al-Ajaji fährt zum ersten Mal durch Riad. (Bild: AP Photo/Nariman El-Mofty)

42'000 der über zehn Millionen erwachsenen Frauen im Wüstenkönigreich wurde seither ein Führerschein ausgestellt. Die Wartezeit für den begehrten Fahrausweis betrage inzwischen ein Jahr oder länger, klagen saudische Frauen, deren anfängliche Euphorie über den «Etappensieg» sich längst gelegt hat.

Sie haben begriffen, dass die Aufhebung des Fahrverbotes für Frauen vor allem wirtschaftliche Gründe hatte. Angesichts fallender Ölpreise ist das Land auf weibliche Arbeitskraft angewiesen und kann es sich nicht länger leisten, ein riesiges Heer von Chauffeuren zu beschäftigen. Wer geglaubt hatte, der «Juni-Revolution» würden weitere emanzipatorische Schritte folgen, sah sich enttäuscht.

Verhaftungen und Folter

Noch während die Aufhebung des Frauenfahrverbotes gefeiert wurde, hatte in Saudi-Arabien die Verhaftung jener Aktivistinnen begonnen, die um die Fahrerlaubnis öffentlich gekämpft hatten. Unter den Inhaftierten ist mit Loujain al-Hathloul die Dritte auf der Liste der Top 100 Most Powerful Arab Woman des Jahres 2015. Die 29-Jährige soll nach Aussagen ihrer in Belgien lebenden Schwester in Einzelhaft gesteckt, geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert worden sein. Polizisten hätten sie vergewaltigt und gar mit dem Tode bedroht.

Saudische Medien veröffentlichten Fotos der verhafteten Frauen mit dem Stempel «Verräter». Sie hätten eine Zelle gebildet, um «im Verbund mit ausländischen Agenten die Sicherheit des Landes zu unterminieren». Tatsächlich ging es um etwas ganz anderes: Die weltweit hervorragend vernetzten Frauenaktivistinnen wollten weit mehr als nur das Recht auf Autofahren erreichen. Sie setzten sich für die Aufhebung des Vormundschaftssystems ein, das Frauen daran hindert, ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Mannes, Vaters oder Bruders zu reisen, einen Arzt zu besuchen oder ein Universitätsstudium zu beginnen.

«Beenden Sie dieses System, oder wir werden alle emigrieren», lautet ein «Hashtag», unter dem saudische Frauen in den sozialen Medien über ihre Erfahrungen mit den repressiven Einschränkungen diskutieren und sich gegenseitig Tipps zu deren Umgehung geben. Ausgelöst wurde die mittlerweile offen geführte Diskussion über das Vormundschaftssystem durch die spektakuläre Flucht des saudischen Teenagers Rahaf Mohammed al-Qunun über Bangkok nach Australien. Die 18-Jährige hatte es im Januar dieses Jahres geschafft, ihre Abschiebung aus Thailand, wo sie am Flughafen festgesetzt worden war, zu verhindern, indem sie ihre Geschichte in den sozialen Medien veröffentlichte und daraufhin den offiziellen Schutz der UNO-Flüchtlingsbehörde erhielt.

Rahaf ist für viele saudische Frauen seither eine Heldin und hat viele Nachahmerinnen. Für die Regierung in Riad ist die erfolgreiche Flucht ein weiteres Public-Relations-Desaster. Einmal mehr hatte sich gezeigt, dass die von Kronprinz Mohammed bin Salman vorangetriebene Modernisierung des Landes nur wenig mit politischer und persönlicher Freiheit zu tun hat. Saudi-Arabien nutze ­seine Gesetze zur Terrorbekämpfung weiterhin, um Aktivistinnen und Aktivisten zum Schweigen zu bringen. Dies geschehe unter der Verletzung des Völkerrechts, das die Meinungsfreiheit garantiere, betonten Menschenrechtsexperten der UNO am Montag in Genf.

Hohle Versicherungen

Saudische Regierungsvertreter erklärten daraufhin, «alle internationalen und nationalen Normen im Zusammenhang mit Menschenrechten zu beachten». Ihre Versicherungen klingen jedoch hohl. Nicht erst seit der Ermordung von Jamal Khashoggi hat das Land ein Glaubwürdigkeitsproblem. Daran wird auch die vor zehn Tagen erfolgte Ernennung Rima Bint Bandar zur ersten weiblichen Botschafterin des Königreiches in Washington nichts ändern.

Die Berufung der Prinzessin war in saudischen Staatsmedien als «Zeichen der Ernsthaftigkeit bei der Stärkung der Frauenrechte» gefeiert worden. Einen Tag später hatte die Staatsanwaltschaft verkündet, dass die Anklageschrift gegen die im Sommer letzten Jahres verhafteten Frauenaktivistinnen jetzt fertig sei.