Blutbad in Texas
Verstörte Eltern herrschten die Polizisten an: «Gehen Sie rein!» Warum hörten die Ordnungskräfte nicht auf sie?

Der 18 Jahre alte Teenager, der in einer Primarschule in der texanischen Kleinstadt Uvalde insgesamt 21 Menschen ermordete, wurde wohl erst nach einer Stunde ausser Gefecht gesetzt.

Renzo Ruf, Washington
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Mehr als 1’000 Menschen versammelten sich in der Nacht auf Mittwoch in einer Messehalle in Uvalde (Texas), um den ermordeten Kinder und Lehrerinnen zu gedenken.

Mehr als 1’000 Menschen versammelten sich in der Nacht auf Mittwoch in einer Messehalle in Uvalde (Texas), um den ermordeten Kinder und Lehrerinnen zu gedenken.

Tannen Maury / EPA

Nach dem Schulmassaker im texanischen Uvalde, bei dem 19 Kinder und zwei Lehrerinnen ermordet wurden, wird Kritik an der Polizeiarbeit laut. Eltern werfen den Ordnungshütern vor, am Dienstag viel zu lange ausserhalb der Robb Elementary School gewartet zu haben, bis sie den 18-jährigen Amokläufer in einem Schulzimmer konfrontierten.

Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter kursierte ein Video, das schreiende Mütter und Väter zeigt, die schwerbewaffnete Polizisten anherrschten: «Gehen Sie rein! Gehen Sie rein!» Die Ordnungshüter aber schienen vor allem damit beschäftigt zu sein, die Eltern unter Kontrolle zu halten. Dieses Verhalten widerspricht dem Standardvorgehen während eines Massakers.

Laut den immer noch unvollständigen Zeugenberichten soll sich der Amokläufer bis zu 60 Minuten in der Schule aufgehalten haben. Der junge Mann, bewaffnet mit einem halbautomatischen Schnellfeuergewehr, habe sich am Dienstag kurz vor dem Mittag in einem Schulzimmer verbarrikadiert, in dem 4. Klässler unterrichtet wurden, hiess es von Behördenseiten. Sämtliche seiner Opfer befanden sich in diesem Raum. Sie wurden wohl innerhalb weniger Minuten getötet, meldete die «New York Times» am Donnerstag unter Berufung auf Ermittlungskreise. Augenzeugen sprachen von einem furchtbaren Blutbad.

Gouverneur sagt: «Es hätte noch schlimmer kommen können»

Das Verhalten der Sicherheitskräfte ist umso erstaunlicher, als dass die Primarschule in der texanischen Provinzstadt eigentlich gut bewacht war – und die Schulbehörde die meisten Ideen bereits umgesetzt hatte, mit denen Politiker normalerweise auf Massaker in Bildungsstätten reagieren. So verfügte der Schulbezirk von Uvalde über eine eigene Polizeiabteilung. Der bewaffnete Beamte konnte den Attentäter aber nicht davon abhalten, die Schule durch eine Hintertür zu betreten.

In offiziellen Stellungnahmen wurde das Vorgehen der Polizei als Erfolg dargestellt. So sagte Gouverneur Greg Abbott: «So schrecklich wie das, was passiert ist, auch ist, es hätte schlimmer kommen können.» Die Sicherheitskräfte hätten den Amokläufer in einem Schulzimmer festgehalten, hiess es am Mittwoch an einer Pressekonferenz, während sie Hunderten von Schülern halfen, die Robb Elementary School zu verlassen. Erst als das Gebäude fast leer war, konfrontierten sie den Mörder und töteten ihn.

Verzweifelte Angehörige

Fassungslos versuchten die Angehörigen der Opfer derweil, zu verstehen, was in ihrer kleinen Stadt geschehen ist. «Warum? Warum er? Warum die Kinder?» wurde der Grossvater des ermordeten Xavier Lopez (10) in der «Washington Post» zitiert. «Ich habe zwei verloren, meinen Enkel und eine Nichte», sagte ein anderer Grossvater. In der Nacht auf Donnerstag versammelten sich mehr als 1’000 Menschen in einer Messehalle, um den Verstorbenen zu gedenken. «Gott ist mit uns», sagte der Pfarrer einer evangelischen Kirche. «Gott liebt Sie immer noch und Gott liebt diese kleinen Kinder immer noch.»

Derweil wird weiter über das Motiv des 18-jährigen Täters spekuliert. Und darüber, ob sein Amoklauf geplant war. Wie aus Online-Nachrichten hervorgeht, die der junge Mann einer Zufallsbekanntschaft schickte, nervte er sich am Dienstagmorgen über seine Grossmutter, in deren Haus er nach einem Streit mit seiner Mutter lebte. «Ich habe gerade meine Grossmutter in den Kopf geschossen.» Die nächste Nachricht, abgeschickt um 11 Uhr 21 Lokalzeit, lautete: «Nun werde ich in einer Primarschule herumballern.»