Andrés Manuel López Obrador wird am Samstag Mexikos neuer Präsident. Faktisch regiert er das Land seit sechs Monaten. Seine bisherigen Entscheidungen sorgen aber für Zweifel – manche haben das Vertrauen in Obrador bereits wieder verloren.
Am Samstag tritt Mexikos neuer Präsident Andrés Manuel López Obrador, auch bekannt als Amlo, sein Amt an, doch regiert hat er schon die letzten sechs Monate. Die scheidende Regierung, verstrickt in Korruptionsskandale, hat dem 64-jährigen Linkspopulisten die Bühne vorzeitig überlassen.
Die Zeichen, die er bisher setzte, haben viele enttäuscht, die in ihm mitten im konservativen Rechtsruck Lateinamerikas einen Fackelträger für eine progressive Erneuerung sahen. Mit einem umstrittenen, von Parteigängern organisierten Plebiszit, hat er den im Bau befindlichen und dringend notwendigen Hauptstadtflughafen gestoppt. Einer von Menschenrechtlern angestrengten, unabhängigen Staatsanwaltschaft erteilte er eine Absage; das Militär soll weiter den Drogenkrieg führen.
Seine Parlamentarier wollten Pensionsfonds verstaatlichen und Bankgebühren streichen – was López zwar mit einem Machtwort stoppte, der Währung und der Börse aber Rekordverluste einbrachte. Das Vertrauen der Wirtschaftselite ist damit schon vor dem Amtsantritt erschüttert. Dass bei der Zeremonie vor allem die Kommunistische Internationale anwesend sein wird – von Venezuelas Präsidenten Nicolas Maduro über den kubanischen Staatschef Miguel Diaz Canel bis zum chinesischen Präsidentin Xi Jinping, ist für Andrés Oppenheimer vom «Miami Herald» «ein Auftakt mit dem linken Fuss». Worin die versprochene «vierte Transformation» des Landes besteht, ist weiterhin ein Rätsel.
López Obrador ist ein Vollblutpolitiker aus bescheidenen Verhältnissen. Geboren wurde er in einer kinderreichen Familie eines Kramladenbesitzers im südlichen Bundesstaat Tabasco. In seinem Heimatdorf gab es weder eine geteerte Strasse noch eine Schule. Unter den Fittichen eines engagierten Lehrers erkannte der aufgeweckte Junge in der Politik eine Möglichkeit zum sozialen Aufstieg und schloss sich der damaligen Einheitspartei PRI an.
Nach seinem Politikstudium in Mexiko-Stadt arbeitete Amlo in indigenen Landgemeinden und verschaffte sich Respekt, weil er zupackte und mit seiner Familie in einer ähnlich armen Hütte hauste wie die Indigenas. 1988 schloss er sich den linken Rebellen der PRI an, die eine neue Partei der Demokratischen Revolution (PRD) gründeten. Die PRD wurde in den Anfangsjahren brutal verfolgt. Aus dieser Zeit stammt sein misstrauischer Charakter ebenso wie seine Vorliebe für Massenmobilisierungen als politisches Druckmittel – etwa, als er 1994 die von Betrugsvorwürfen überschattete Gouverneurswahl in Tabasco verlor.
Für die PRD fungierte er von 2000 bis 2005 als Hauptstadtbürgermeister. In der Millionenstadt verschaffte er sich mit öffentlichen Bauten und einer Mindestrente für Senioren grosse Popularität. Seine Gegner versuchten damals, ihn auf dem Rechtsweg von der Präsidentschaftskandidatur abzuhalten. Wegen einer juristisch nicht korrekten Enteignung eines Geländes für den Bau eines Krankenhauszubringers strengte das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren an. Der geschickte Politprofi mobilisierte Hunderttausende für Unterstützungsdemos und präsentierte sich als Opfer autoritärer Machenschaften. Schliesslich wurde er doch zugelassen – und unterlag 2006 knapp dem konservativen Felipe Calderón, den er als «illegitimen Usurpator» brandmarkte.
Fortan bereiste Amlo das Land – er brüstet sich, schon in jedem Bezirk gewesen zu sein – und bereitete sich auf die neuerliche Präsidentschaftskandidatur vor. Doch auch 2012 unterlag er, diesmal dem smarten Jungpolitiker Enrique Peña Nieto, der die PRI nach zwölf Jahren wieder in den Präsidentenpalast katapultierte.
Kurz darauf brach Amlo mit der PRD, weil diese mit Peña die Abschaffung des Erdölstaatsmonopols paktierte. Parteifreunde warfen ihm Starrsinn vor oder hielten seine Entscheidung, 2014 eine eigene, ganz auf seine Person zugeschnittene Bewegung zur Nationalen Erneuerung (Morena) zu gründen, für riskant. Doch der allgemeine Verdruss über die korrupten Altparteien spielte Morena in die Hände.
Mit Sprüchen wie «ich bin ein Christ; auch Jesus wurde von den Mächtigen verfolgt und gekreuzigt» reizt der rüstige Senior mit dem adrett gescheitelten weissen Haar zu Widerspruch. Der linke Soziologe Roger Bartra hält Amlo für einen Nostalgiker, der an die Zeiten des autoritären Staatskapitalismus anknüpft. Ehemalige Parteigenossen sehen in ihm einen Verräter, der reihenweise korrupte Altpolitiker, fundamentalistische Evangelikale und opportunistische Gewerkschafter um sich geschart habe.
Und viele junge Leute fragen sich, wie ein Mann, der nicht reist und diese Tatsache stolz als «Patriotismus» präsentiert, die Geschicke eines mit der Weltwirtschaft hochgradig vernetzten Landes führen will. Ihnen kann der in zweiter Ehe mit der Journalistin Beatriz Gutiérrez verheiratete, vierfache Vater nun zeigen, wie der versprochene Ausgleich zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und sozialem Fortschritt funktionieren soll.