KOMMENTAR
Regierungskrise in London: Irgendwann sind auch die sieben Leben des Boris Johnson aufgebraucht

Wie eine Katze landete der britische Premier trotz zahlreicher Skandale immer wieder auf seinen Pfoten. Doch diesmal wird es schwierig, seinen Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen.

Remo Hess, Brüssel
Remo Hess, Brüssel
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Schwierig, sich aus dieser Krise nochmals herauszuwinden: Der britische Premier Boris Johnson steht unter Druck.

Schwierig, sich aus dieser Krise nochmals herauszuwinden: Der britische Premier Boris Johnson steht unter Druck.

Keystone

Aber diesmal wirklich: Nach zahlreichen Skandalen um Lockdown-Partys, notorischem Lügen und einer Regierungsführung, die so chaotisch ist wie die Frisur auf seinem Kopf, wird es nun definitiv eng für Boris Johnson.

Gestern verliessen den britischen Premierminister mit Schatzkanzler Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid im Abstand von nur zehn Minuten zwei Schwergewichte. Sie könnten den Glaubwürdigkeitsverlust, den die britischen Konservativen unter Johnson erlitten haben, nicht mehr mittragen, so die Begründung in ihrer Rücktrittserklärung. Der neuste Skandal um sexuelle Belästigungen eines führendes Tory-Mitglieds, über die Johnson informiert war, aber es «kurzfristig vergessen» haben will, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Am Mittwoch traten mit Will Quince und Robin Walker zwei weitere Minister aus Johnsons Kabinett zurück.

In Brüssel geizen EU-Beamte nicht mit beissenden Kommentaren. Zum ersten Mal sei in Westminster das Vertrauen in die Regierung gleich tief, wie es in Brüssel schon lange sei, heisst es. Politanalysten in London sind sich einig, dass die Zeit des Premiers nun definitiv abgelaufen sei. Bereits sind seine Parteikollegen dran, nach dem knapp überstandenen Misstrauensvotum im Juni einen erneuten Absetzungsversuch vorzubereiten. Selbst das Brexit-Thema oder der Ukraine-Krieg, mit dem Johnson jeweils von innenpolitischen Problemen wie den stark gestiegenen Lebenskosten abzulenken versuchte, können ihn nicht mehr retten.

Sicher? Boris Johnson wurde schon so viele Male totgesagt, dass auch dieses Mal Vorsicht geboten ist. Wie eine Katze landete er nach jedem Absturz wieder auf seinen Pfoten. Für ihn spricht, dass ihm andere zentrale Figuren der Regierung wie Aussenministerin Liz Truss, Verteidigungsminister Ben Wallace oder Vize-Premier Dominic Raab die Stange halten. Es ist auch riskant, den Chef in einer Zeit abzusetzen, in der die Popularitätswerte der Partei im Keller liegen und die Inflation auf elf Prozent hochschiesst. Auf der anderen Seite: Irgendwann ist auch das letzte von Johnsons sieben Leben aufgebraucht.