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Miguel Diaz-Canel ist der neue Präsident der sozialistischen Karibikinsel. Gelingt ihm die Modernisierung des Landes?
Seit sechs Jahren schon taucht sein silbergrauer Haarschopf regelmässig in den Staatsmedien auf. Raúl Castro delegierte an seinen Vize immer häufiger öffentliche Auftritte – und für die im Kaffeesatzlesen gewieften Kubaner war rasch klar: Miguel Díaz-Canel war der Auserwählte, der die Staffel der Revolution von der historischen Riege erben würde.
Kurz vor seinem 58. Geburtstag nun wurde der grosse, verschlossen wirkende Ingenieur mit den durchdringenden grüngrauen Augen vom Parlament zum neuen Präsidenten Kubas gewählt. Es ist die Krönung einer langen Parteikarriere, aber auch ein vergiftetes Geschenk, denn die Insel steht vor grossen Herausforderungen, die Diaz-Canel ohne eigene Machtbasis und in einem schwierigen wirtschaftlichen und aussenpolitischen Umfeld angehen muss.
«Er ist kein improvisierter Neuling, sondern ein loyaler, ideologisch gefestigter Kamerad», lobte Castro seinen Kronprinzen. Er selbst hatte ihn 2009 nach Havanna geholt und zum Bildungsminister ernannt, um ihn zu testen. Denn anders als die bisherige Führungsspitze ist der in Villa Clara geborene, gelernte Ingenieur kein Militär. Er kennt die Heldentaten der Revolutionäre nur aus Büchern und begann seine Karriere in der Provinz. Seine Mutter war Lehrerin und entstammte einer bürgerlichen Familie, sein Vater war Ingenieur in einer Fabrik.
1983 bis 1985 erledigte Diaz-Canel seinen Militärdienst, 1987 trat er der Kommunistischen Jugend bei und reiste öfter ins revolutionäre Bruderland Nicaragua. 1994 wurde er Parteisekretär in seiner Heimatprovinz Santa Clara, anschliessend in Holguín, wo er eine Fussgängerzone und Parks bauen liess und im korrupten Parteibüro aufräumte. 2003 wurde er zum jüngsten Mitglied in der Geschichte des Politbüros und einer der Ersten, die Laptops benutzten.
Doch Diaz-Canel hat zwei Gesichter: Das des hölzernen Funktionärs, der bei öffentlichen Auftritten vaterländische Parolen vom Blatt abliest, und das eines humorvollen, aufgeschlossenen Menschen, an den sich Bekannte erinnern. «Bei uns war er oft zu Gast und hat die schützende Hand über uns gehalten», erinnert sich Ramón Silverio, Gründer der Schwulen- und Lesbenbar Menjunje in Santa Clara. Unter dem damals langhaarigen Beatles-Fan und Theatergänger erlebte die zentralkubanische Region einen kulturellen Frühling mit Rockfestivals, während in Havanna bleierne Intoleranz herrschte. Die Revolution müsse die Menschen emotional erreichen, lautete seine Devise.
Diaz-Canel lebt zurückgezogen mit seiner zweiten Frau, der Kulturwissenschaftlerin Liz Cuesta, in Havanna. Aus erster Ehe hat er zwei erwachsene Kinder. «Er ist jung und genug gebildet, um international nicht den Kasper zu machen, und ansonsten unauffälliges Mittelmass», schreibt Juan Orlando Pérez im kritischen Portal «Cibercuba».
Ob Diaz-Canel Charisma und Machtinstinkt entwickelt, ob es ihm gelingt, die Revolution zu modernisieren, oder ob er ein farbloser Übergangspräsident bleiben wird, ist offen. Wichtig wird sein, ob er den Rückhalt der Streitkräfte gewinnt, die die Wirtschaft kontrollieren. «Was er wirklich vorhat, werden wir erst wissen, wenn die alte Garde das Zeitliche gesegnet hat», twitterte Dissidentin Yoani Sánchez. Noch aber wird Raúl Castro als Parteichef über seinen Nachfolger wachen.