In seiner Analyse zur US-Entscheidung: Warum Bonn — Berlin nicht Tel Aviv — Jerusalem sein kann, schreibt Christoph Bopp: «Jeruschalajim – die Stadt des Friedens – ist nicht nur eine Stadt, sondern eine Stätte der Verheissungen.»
Wir in der Schweiz haben ein entspanntes Verhältnis zu unserer Hauptstadt. Wir haben nämlich gar keine. Bern ist nicht die Hauptstadt der Schweiz, sondern nur Bundesstadt, der Sitz der Bundesbehörden und Verwaltungen. Waren die 1848er-Schweizer weise, als sie sich vor der Entscheidung drückten? Zürich, Bern und Luzern hatten sich beworben, allesamt sogenannte «Vororte» der Eidgenossenschaft, deren Zentralbehörde ja an keinen bestimmten Ort gebunden war. Die Tagsatzung tagte gerne in Baden, weil es zentral gelegen und Baden war.
Die Hauptstadt Kaliforniens ist nicht San Francisco und auch nicht Los Angeles, sondern ...? Richtig: Sacramento. Die Amis waren sowieso pragmatisch und bauten gleich mit Washington D. C. eine neue Hauptstadt, als sie die USA gründeten. So könnte man das ganze Drum und Dran mit Jerusalem als Hauptstadt ja einfach abtun als Petitesse. Das gibt sich.
Es gab allerdings schon einmal einen gewissen Lärm um eine Hauptstadt. Nicht ohne Parallelen zu Israel und Jerusalem. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte man Bonn zur Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Bonn war ein eher verschlafener Ort am Rhein. Das konnte nur ein Provisorium sein. In den 1990er-Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt und Berlin gehörte auf einmal wieder dazu.
Gegen die Wiederernennung von Berlin als Hauptstadt Deutschlands gab es Bedenken. Berlin war die Zentrale des Nazi-Reiches gewesen, dass es Hitler zu «Germania» umtaufen wollte, änderte daran nichts. Berlin assoziierte man mit Preussentum, Grössenwahn und Reichsfantasien. Diese schlechten Gefühle konnte man zerstreuen. Und heute ist Berlin hip und alle wollen hin, obwohl es die Hauptstadt Deutschlands ist.
Berlin hatte nach dem Sieg über Hitler für die Alliierten einen ähnlichen Status wie Jerusalem. Es wurde unter die Kontrolle aller vier Besatzungsmächte gestellt (Wien übrigens auch). Berlin zu entpolitisieren, gelang allerdings nicht. Die DDR und schliesslich die Mauer standen dem im Weg.
«Let them come to Berlin!», rief US-Präsident John F. Kennedy am 26. Juni 1963, bevor er sich bekannte, auch «ein Berliner» zu sein. Berlin stand für Freiheit und Kapitalismus, die Leute sollten den Vorposten des Westens besichtigen kommen. JFK machte die gewagte Verbindung zum Civis romanus, der in der Antike ein Botschafter der Kultur gewesen sein sollte. Berlin wurde zur Stadt der Werte.
Auch die Juden verabreden sich in Jerusalem. Der Neujahrswunsch «Nächstes Jahr in Jerusalem» ist aber keineswegs (nur) wörtlich gemeint. «Jeruschalajim» – heute hat man sich auf «Stadt des Friedens» geeinigt – ist nicht nur eine Stadt, sondern auch die Stätte der Verheissungen.
Die symbolische Aufladung von Berlin ist nachvollziehbar. Die von Jerusalem ist historisch komplexer. Der Verweis aufs Alte Testament hat seine Tücken. Dort ist die Rede von einem vereinigten Königreich, Juda im Süden um Jerusalem und Israel im Norden. Historisch mehr als umstritten, das gab es wahrscheinlich nie. Die judäischen Autoren des AT in Jerusalem bauten nach dem Zusammenbruch des Nordreichs die Erzählungen um Saul aus dem Norden in ihre Ursprungsmythen um David und Salomo ein. Die Holprigkeiten in den Büchern Samuel, Richter, Könige und Chronik sind unübersehbar. Jerusalem kam bereits ideologie- und symbolbeladen in die Weltgeschichte.
Das Symbolische um Jerusalem verschafft Trump den Dampf, den er innenpolitisch braucht. Er hat die Nahost-Politik wieder ins Reich der Symbole versetzt. Wo es fast unmöglich ist, sich zu finden. Diese Hyper-Symbolisierung der Weltpolitik ist Gift. «Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, möge meine rechte Hand verdorren», dichtet der Psalmist (Ps. 137). Andere Religionen werden ähnliche Bekenntnisse auf Lager haben. Politische Lösungen gedeihen auf diesem Boden nicht. Die Seder-Botschaft ist nichtlokal. Denn wir sind alle Jerusalemer.