Ahmed Naser Al-Raisi will Präsident der Polizeibehörde Interpol werden. Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm.
Ahmed Naser Al-Raisi sieht sich als Reformer. Als Präsident der internationalen Polizeibehörde Interpol werde er die Behörde modernisieren und für den Kampf gegen das internationale Verbrechen rüsten, sagt der Generalmajor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Kommende Woche stellt sich Al-Raisi bei der Generalversammlung von Interpol in Istanbul zur Wahl für den Chefposten. Er will oberster Polizist der Welt werden.
Als Generalinspekteur im Innenministerium der Emirate hat er zwar viel Erfahrung – doch die besteht nach Meinung von Kritikern vor allem in der Verfolgung Andersdenkender. Sie befürchten, dass Interpol unter seiner Leitung zum Instrument autokratischer Regierungen werden könnte.
Die Bewerbung passt zum aussenpolitischen Konzept der Emirate unter ihrem De-facto-Herrscher und Kronprinzen Mohammed bin Zayed. MBZ, wie der Prinz genannt wird, will sein Land in die erste Liga der internationalen Mächte bringen.
Al-Raisi soll ihm dabei helfen – als Nachfolger des derzeitigen Interpol-Präsidenten Kim Jong Yang aus Südkorea. Al-Raisis Bewerbung wird seit langem systematisch vorbereitet: Schon 2017 überwiesen die Emirate eine Spende von 50 Millionen Euro an Interpol. Die Summe entspricht mehr als einem Drittel des Interpol-Jahresetats.
Reich, modern, tolerant – kein anderes arabisches Land hat einen so gut Ruf wie die Emirate. Mit der Glitzerstadt Dubai ist das Land ein Zentrum der internationalen Luftfahrt und Finanzwirtschaft, das Ausländern einen westlichen Lebensstil ohne islamische Einschränkungen etwa beim Alkoholkonsum garantiert.
Nach Ansicht von Kritikern geht die Emirate-Regierung jedoch mit rabiaten Mitteln gegen alle vor, die sich dem Willen der Mächtigen entgegenstellen. Als hoher Polizeioffizier helfe Al-Raisi dabei mit, kritisiert etwa die Organisation Human Rights Watch. Seine Kandidatur sei der Versuch der Emirate, sich internationales Ansehen und einen Persilschein für ihre Menschenrechtsverletzungen zu kaufen, erklärte die Organisation.
Dass die arabischen Herrscher keinen Widerspruch dulden, ist bekannt. Prominentestes Beispiel ist Prinzessin Latifa bin Mohammed bint Raschid Al Maktum, Tochter des milliardenschweren Herrschers von Dubai. Sie hatte 2018 vergeblich versucht, vor ihrem Vater, Scheich Mohammed bin Raschid Al Maktum, aus Dubai zu fliehen.
Latifa wurde jahrelang festgehalten, bis sie Anfang des Jahres per Video Hilferufe an die Öffentlichkeit schickte. Seitdem ist die Prinzessin zwar in der Öffentlichkeit gesehen worden – inwieweit sie selbstbestimmt leben kann, ist aber weiter unklar.
Al-Raisi sei ein «Hauptverantwortlicher» für solche Menschenrechtsverletzungen in den Emiraten, sagt der hessische FDP-Bundestagsabgeordnete und Rechtsexperte Peter Heidt. «Seine Wahl wäre das falsche Signal», erklärt Heidt auf Anfrage. «Menschenrechtsverletzer sollten nicht auf solche Posten kommen.» Mit dem Offizier an der Spitze von Interpol könnte die Polizeibehörde benutzt werden, um weltweit Gegner autokratischer Regime zu jagen, sagt Heidt:
«Ich kann mir gut vorstellen, dass das dann nicht nur für die Emirate gemacht würde, sondern auch für andere Staaten.»
Opfer der Politik der Emirate sehen das ähnlich. Zu ihnen gehört der britische Akademiker Matthew Hedges, der 2018 ein halbes Jahr wegen Spionagevorwürfen in den Emiraten inhaftiert war und nach eigenen Angaben gefoltert und mit Drogen gefügig gemacht wurde. Al-Raisi soll dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Sollte er nun zum Chef von Interpol gewählt werden, würde dies die Werte der internationalen Polizeibehörde untergraben, sagte Hedges der britischen Zeitung «Daily Express».
Die arabische Menschenrechtsorganisation GCHR hat nach dem Weltrechtsprinzip über einen Anwalt in Frankreich eine Strafanzeige gegen Ahmed Naser Al-Raisi wegen Verhaftung und Folter stellen lassen. Wenn dies zu einer Anklage gegen Al-Raisi führen sollte, könnte er bei der Einreise nach Frankreich festgenommen werden. Dann wäre er nicht in der Lage, sein Büro in der Interpol-Zentrale in Lyon zu beziehen.
Kritik kommt auch aus dem EU-Parlament. Im September forderten die Abgeordneten, die Vorwürfe gegen Al-Raisi wegen seiner angeblichen Verwicklung in Menschenrechtsverletzungen müssten untersucht werden.