Zeitzeugen
Vor 40 Jahren stürzten Terroristen die Olympischen Spiele ins Chaos

Das Olympia-Attentat vor 40 Jahren hallt bei den israelischen Sportlern bis heute nach. In dieser Woche jährt sich das Attentat zum vierzigsten Mal. Ein Augenschein in München.

Daniel Fuchs, München
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Der elfte Tag - Die Überlebenden von München 1972
13 Bilder
Im Olympischen Dorf vor dem Haus Connollystrasse 31
Die Überlebenden nach 40 Jahren am Tatort
Dan Alon, Avraham Melamed, Yehuda Weinstein, Shaul Paul Ladany
Leichtathlet Shaul Paul Ladany kehrt nach München zurück
Ringer Gad Tsabary
Schwimmer Avram Melamed vor dem Denkmal
Sportschütze Zelig Shtorch
Florettfechter Dan Alon
Die israelischen Olympioniken gedenken ihrer Kollegen
Sportschütze Henry Hershkovitz
Eine Kerze für die Opfer des Attentats
Die Überlebenden im Olympiastadion von Müchen

Der elfte Tag - Die Überlebenden von München 1972

The Biography Channel

Die Eingangstafel mit einem Plan des olympischen Dorfs weist den Besuchern den Weg zu den Wohnungen, wo die Olympiateilnehmer 1972 logierten. So, wie sie auch jenen palästinensischen Terroristen den Weg zu den israelischen Athleten gewiesen hätte, hätten sie denn darauf geschaut. Doch die Terroristen des «Schwarzer September» planten ungenau, sie hielten zuerst Sportler aus Hongkong gefangen, ehe sie sich zwölf israelische Sportler als Geiseln nahmen.

Dabei begann alles so fröhlich. Die Olympischen Spiele von München sollten ganz anders sein als jene der Vergangenheit auf deutschem Boden im Berlin der Nazis 1936. Nichts sollte nur annähernd an die martialisch inszenierten Spiele Hitlers erinnern. In München sollte alles offen, fröhlich, bunt und transparent sein. Wie es die Münchner Stadträtin Barbara Scheuble-Schäfer heute ausdrückt, setzte man auf einen «emotionalen Schutzwall». Er allein sollte vor Gewalt schützen. Polizisten ohne Waffen, die Apartments der israelischen Sportler an der Connollystrasse blieben unbewacht – so das Dispositiv. Es war das falsche, wie sich zeigen sollte.

Verfolgungswahn bis heute

Auch vierzig Jahre danach finden Besucher schnurstracks die Connollystrasse Nr. 31. Der ebenerdige Gebäudekomplex wird nun von Familien bewohnt. Eine Gedenktafel neben der Haustüre erinnert an das Massaker. Dan Alon war damals 27 und als Fechter nach München gereist. Ihn und sechs andere Teilnehmer hat eine Filmcrew von «The Biography Channel» vierzig Jahre nach dem Terroranschlag für einen Dokumentarfilm in die Stadt zurückgeholt. Alle sieben entkamen nur knapp den Geiselnehmern. Dan Alon gelang die Flucht durch den Garten. Er erinnert sich, wie er mit seinem Trainer vor den restlichen Delegationsteilnehmern nach München reiste, um zu trainieren: «Es war alles so offen. ‹Wer beschützt uns?›, fragte ich meinen Trainer.» Auch der damalige Delegationsleiter war besorgt. Doch weder auf deutscher noch auf israelischer Seite gingen Sicherheitsverantwortliche auf seine Bedenken ein.

Wer wollte, konnte das Apartment, in dem das Drama später seinen Lauf nehmen sollte, nach Lust und Laune betreten. Dan Alon betrat die Wohnung nach dem Attentat noch einmal. Er geleitete die Witwe seines ums Leben gekommenen Trainers zurück: «Alles war voller Blut, ein gewaltiges Chaos», erinnert sich Alon an die schrecklichen Bilder, die ihn seither nicht mehr loslassen. Er ist ein gebrochener Mann, der seinen Sport nach Olympia an den Nagel hing: «Vorher war ich stark. Ich war ein Kämpfer, nahm an zwei Kriegen teil. Verfolgungswahn treibt mich seit dem Attentat durchs Leben. Ich fühle mich nirgendwo mehr sicher – auch nicht in München.»

Terrorist am Leben gelassen

Alon und die anderen ehemaligen Sportler sind sichtbar gezeichnet, nachdem der jüdischstämmige Regisseur Emanuel Rotstein seinen Film «Der elfte Tag» gezeigt hat. Es ist Montagabend. «The Biography Channel» hat zur Filmvorführung und zum Bühnengespräch mit den Überlebenden eingeladen. Die Woche, in der sich das Attentat zum vierzigsten Mal jährt, hat gerade begonnen. Dem 63-jährigen Zelig Shtorch, einem der Protagonisten, hat der Film vorerst die Sprache verschlagen. Der ehemalige Sportschütze hat ihn zum ersten Mal überhaupt gesehen. Shtorch kämpft mit dem Erlebten. Denn der Schütze hatte eine Waffe zur Hand, es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, den Anführer der Palästinenser damit zu erschiessen, als er vor seinen Augen mit den Polizisten verhandelte. Doch aus Angst um seine Kameraden verzichtete Shtorch darauf: «Ich nahm die Kugel aus dem Lauf und verstaute die Waffe unter der Matratze.» Dann floh er mit anderen Teamkollegen.

Am Vorabend hatte nichts auf die Tragödie hingedeutet, welche die Sportler ereilen sollte. Auf Einladung des jüdischen Schauspielers Shmuel Rodensky verbrachten die Israelis den Abend im Theater. Es war 23 Uhr, als Dan Alon, Zelig Shtorch und ihre Kollegen ins olympische Dorf zurückkehrten. Dann brach der elfte Tag an.

Freies Geleit garantiert

In der Nacht auf den 5. September drangen die acht Terroristen von «Schwarzer September» über den nur zwei Meter hohen Zaun in das olympische Dorf ein. An der Connollystrasse brachten sie schliesslich zwölf Athleten und Trainer der israelischen Mannschaft des einen Apartments in ihre Gewalt. Ein Sportler konnte fliehen, zwei starben noch in der Wohnung, nachdem die Terroristen ihnen Kugeln verpasst hatten. Den übrigen Sportlern und einem Begleiter der anderen Apartments gelang die Flucht.

Die Terroristen forderten die Freilassung 200 in Israel inhaftierter Palästinenser sowie der RAF-Terroristen Ulrike Meinhof und Andreas Baader. Nach zwei misslungenen Befreiungsversuchen versprach die Polizei den Geiselnehmern und ihren Geiseln freies Geleit in zwei Helikoptern auf den Militärflughafen Fürstenfeldbruck, von wo sie nach Kairo hätten ausgeflogen werden sollen. Es sollte eine Falle werden, die aber misslang. Die Terroristen witterten das Komplott. Es kam zum folgenschweren Schusswechsel, bei dem alle verbliebenen israelischen Geiseln, fünf Geiselnehmer und ein Polizeibeamter ihr Leben liessen. Weitere Polizisten und drei der Attentäter wurden dabei verwundet.

Die Nachricht über das Fiasko gelangte erst in den Morgenstunden des Folgetages an die Öffentlichkeit. Vorher verkündeten die Medien noch, dass die Geiseln die Befreiungsaktion überlebt hätten. «Wir waren so was von erleichtert», sagt einer der Überlebenden im Film, «doch es kam keiner unserer Kameraden zurück». Der Tod der israelischen Olympiateilehmer war ein Schock. Die ganze Welt trauerte. Doch der IOC-Präsident, Avery Brundage, verkündete noch während der Trauerfeier im Olympiastadion: «The games must go on.»

Der Film «Der elfte Tag» läuft heute um 20 Uhr auf dem «Biography Channel». «ZDFinfo» zeigt ihn um 23.30 Uhr.