«A Multitude of Angels» enthält die abendfüllenden Konzerte des Improvisators auf dem Höhepunkt seiner Kunst.
Stilbildende Jazzmusiker haben sich meist durch eine einzige, den Jazz prägende Idee unsterblich gemacht. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Duke Ellington und Miles Davis, welche die Jazz-Entwicklung gleich mehrmals veränderten. Der grandiose Pianist Keith Jarrett dürfte mit der Neuerfindung des Jazz-Rezitals in abendfüllenden Solokonzerten in die Annalen des Jazz eingehen.
Seine Kunst machte Jarrett weit über den engen Kreis der Jazz-Aficionados hinaus berühmt und weltweit bekannt. Hervorragend dokumentiert in geradezu symbiotischer Zusammenarbeit mit ECM lässt sich Jarretts konzertant-solistischer Werdegang verfolgen, von den «Solo Concerts Bremen/Lausanne» (1973) über das berühmte «Köln Concert» (1975) bis zu den soeben erschienenen vier Konzerten anno 1996 in Modena, Ferrara, Turin und Genua.
Doch diese finalen Konzerte markieren eine Zäsur in Jarretts Vita: Ein rätselhaftes chronisches Müdigkeitssyndrom hielt ihn danach für zwei Jahre von jeder musikalischen Tätigkeit fern. Jarrett kehrte zwar auf die Bühne zurück, ersetzte aber fortan die zuvor ununterbrochenen Konzerthälften durch mehrere Kurzimprovisationen.
«A Multitide of Angels» ist gleichsam «Jarrett total von A bis Z», zeichnet der Maestro doch in Personalunion als Pianist, als Ingenieur für die Tonaufzeichnung auf seinem DAT-Recorder, als Produzent der 4-CD-Box und als Verfasser des CD-Begleittextes. Und Jarretts Talent zur «creatio ex nihilo», zur spontanen Schöpfung ohne Vorgabe aus dem Moment heraus, erweist sich erneut als so verblüffend einfallsreich wie einmalig. Spannend, überraschend und auch mal verstörend ist nachzuvollziehen, was an erratischem Geschiebe aus Jazz, aus der Konzertmusik von Vorklassik bis Charles Ives, der Gospel- und Countrymusik in Jarretts «stream of conciousness»-Ansatz auftaucht, verarbeitet und wieder entsorgt wird.
Als hilfreich zur Annäherung an das Phänomen Jarrett erweist sich sein Begleittext im Booklet zur CD-Box: Seine Weltsicht aus Mystik, Esoterik, Engel- und Dämonenglaube, aus Pantheismus, Sufismus und populärphilosophisch schlichtem Stückwerk mutet so eklektisch, so erhellend, verstörend-rätselhaft und faszinierend an wie seine Exerzitien am Klavier.
Keith Jarrett A Multitude of Angels (ECM).