Grosseltern zu haben, ist ein grosses Glück. Davon erzählt die aktuelle Kinderliteratur —und verschweigt dabei auch die Schattenseiten des Älterwerdens nicht.
Das Gute an Grosseltern ist: Sie haben Zeit. Ganz im Gegensatz zu den Eltern, die häufig durch den Alltag hetzen, um zwischen Beruf, Supermarkt und Abendessen noch den Nachwuchs zu versorgen. Da ist es für Eltern hilfreich und für die Kinder bereichernd, wohnen die Grosseltern gleich um die Ecke und können auch mal einspringen.
«Mein Opa hilft kleinen Möpsen über die Strasse und hat sogar noch Zeit, mich vom Kindergarten abzuholen», stellt der namenlose Icherzähler in Catarina Sobrals Bilderbuch «Mein Opa» bewundernd fest. Flächige Bilder in den Grundfarben Rot, Grün und Schwarz erzählen gemeinsam mit kurzen Sätzen aus dem Alltag des Grossvaters und seines Nachbarn Dr. Sebastian. Der hat ganz im Gegensatz zum Opa nie Zeit und ist ständig gehetzt. «Mein Opa» ist ein Loblied auf das bewusste Erleben von gemeinsamer Zeit mit dem Grossvater.
In Alice Melvins «Omas Haus» scheint die Zeit stehen zu bleiben. Nichts verändert sich, alles hat seinen festen Platz: das Milchkännchen in Kuhform, die Standuhr, der Schaukelstuhl. Das weckt bei der Enkelin ein Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit. Das Haus der Oma ist wie ein Schatzkästchen, das es zu bewahren gilt. Und das immer neu zu entdecken ist. Denn die Seiten dieses Bilderbuchs stecken voll Details und Überraschungen, die hinter den eingearbeiteten Einblicken und Klappen auf die Enkelin und die Leser warten.
- Alice Melvin: «Omas Haus». Kunstmann, ab 4 Jahren.
- Andreas Steinhöfel: «Wenn mein Mond deine Sonne wäre». Mit Bildern von Nele Palmtag. Carlsen, ab 8 Jahren, mit CD.
- Birgit Unterholzner: «Auf meinem Rücken wächst ein Garten». Mit Bildern von Leonora Leitl. Picus, ab 5 Jahren.
- Catarina Sobral: «Mein Opa». Knesebeck, ab 4 Jahren.
- Mikael Engström: «Kaspar, Opa und
- der Schneemensch». Mit Bildern von Peter Schössow. DTV Reihe Hanser, ab 9 Jahren.
- Sarah Michaela Orlovský: «Ein Schnurrbart erobert die Welt». Bilder von Michael Roher. Picus, ab 6.
- Stefan Boonen: «Hier kommt Oma». Mit Bildern von Melvin. Arena, ab 8.
Manchmal ist die Zeit mit den Grosseltern nicht nur etwas Besonderes und Wertvolles, sondern auch ein grosses Abenteuer. In Mikael Engströms Kinderbuchreihe um Kaspar und seinen Grossvater, in der gerade der zweite Band erschienen ist, ist immer etwas los, von Alltagstrott keine Spur. Ihre Abenteuer brillieren dabei nicht nur mit klugem Humor, sondern zeugen auch von einer tiefen Verbundenheit der beiden Figuren.
Ein enges Band verbindet auch Jojo und seinen Opa in «Ein Schnurrbart erobert die Welt». Der Grossvater, der sonst immer ein richtiger Macher war, fällt nach dem Tod der Grossmutter in ein tiefes Loch und sitzt mit einem Mal nur noch vor seiner Zeitung, sodass sich der Enkel um ihn sorgt. Doch glücklicherweise findet der Opa bald ein neues Ziel, das er gemeinsam mit seinem Enkel verfolgen und verwirklichen kann: Er wird Schnurrbartweltmeister. Mit viel Gespür begleiten Michael Rohers Zeichnungen und Sarah Michaela Orlovskýs Text Grossvater und Enkel durch die Trauer auf dem Weg zurück in eine zugegeben nicht ganz normale Normalität.
Bewusst schräg und abgedreht geht es in Stefan Boonens und Melvins «Hier kommt Oma» zu. Das alljährliche Wochenende mit der rüstigen alten Dame, die sich um keine Regeln kümmert, ist das absolute Highlight im Kinderalltag. Hier werden der Fantasie keine Grenzen gesetzt und Konventionen einfach über Bord geworfen. Trotz skurrilem Humor, der Bild und Text auszeichnet, kommen aber auch hier die Gefühle nicht zu kurz. Selbst die verdrehte Oma schenkt Geborgenheit, macht Mut und ist offen für die Sorgen ihrer Enkel.
Allzu oft sind es jedoch nicht mehr nur die Sorgen der Enkel, die im Vordergrund stehen, wenn die Grosseltern alt werden. Bücher wie «Wenn mein Mond deine Sonne wäre» oder «Auf meinem Rücken wächst ein Garten» nehmen behutsam das Thema Altersdemenz auf. Zeigen, was es bedeutet, wenn Grosseltern «nicht mehr alle Murmeln im Schälchen» haben und plötzlich selbst Fürsorge benötigen und Hilfe bei ganz einfachen Dingen brauchen, etwa dann, wenn sie über die Strasse wollen.
Beiden Büchern gelingt es dabei in Wort und Bild, sowohl die Tragweite des Älterwerdens und des Vergessens als auch die Gefühlswelt der Enkel einzufangen und nachvollziehbar zu machen. Selbst oder gerade dann, wenn Max in «Wenn deine Sonne mein Mond wäre» seinen Opa aus dem Altersheim entführt.