Der deutsche Schriftsteller, der mit dem Roman «Der Vorleser» berühmt geworden ist, spielt im Stück «20. Juli» den Mord an einem heutigen rechtspopulistischen Politiker durch – auf der Vorlage des Hitlerattentats.
Gibt es Verhältnisse, die Gewalt legitimieren? Ist es erlaubt, jemanden zu töten, wenn man damit das Leben anderer retten kann? Ferdinand von Schirach verhandelte das Problem 2015 im Stück «Terror», in dem es darum ging, ob ein entführtes Passagierflugzeug, das Kurs auf ein voll besetztes Stadion nimmt, abgeschossen werden darf.
Bernhard Schlink, der wie Schirach als Jurist arbeitete, bevor er als Autor von «Der Vorleser» berühmt wurde, zieht jetzt nach und veröffentlicht mit «20. Juli» sein erstes Theaterstück. In fünf Szenen spielt er den Gedanken durch. Weil die Rechtspartei «Deutsche Aktion» mit ihrem Spitzenkandidaten Rudolf Peters bei Landtagswahlen 37 Prozent geholt hat, und der letzte Schultag seiner Abiturklasse auf den 20. Juli fällt, diskutiert Lehrer Ulrich Gertz mit seinen Schülern das gescheiterte Hitler-Attentat.
Schnell sind sich alle einig, dass der Anschlag von Graf Stauffenberg in der Wolfsschanze 1944 zu spät stattfand. Wäre er 1931 erfolgt und erfolgreich gewesen, hätten sich Zweiter Weltkrieg und Holocaust verhindern lassen. Was folgt daraus? «Wenn es 1931 richtig war, Hitler umzubringen, damit er Jahre später kein Unheil anrichtet, ist es heute richtig, Peters umzubringen, damit er Jahre später kein Unheil anrichtet.»
Und weil die Schüler einander geschworen haben, keine «kleinen Brötchen» zu backen, dass im Leben «mehr drin sein muss als Studium und Beruf und Familie» und es etwas geben müsse, «wofür sich lohnt, aufs Ganze zu gehen», beschliessen sie, den Rechtspopulisten umzubringen. Auch, wenn sie dabei Schuld auf sich laden. Was würde sich besser eignen als eine Bühne, um den Konflikt durchzuspielen, in dem sich Lehrer Gertz befindet, als er beim abendlichen Grillfest feststellt, dass seine Schüler es ernst meinen, er die Geister, die er rief, nicht mehr bannen kann. Dass eine der Schülerinnen von ihm schwanger ist, stärkt ihn als moralische Instanz nicht gerade.
Schlink führt das alles in einem dicht gewirkten Kammerspiel vor, ohne Partei zu ergreifen. Die Schüler und Schülerinnen stehen für unterschiedliche Positionen: Fabian will Journalist werden, Niklas hat sich an der Uni für Geschichte eingeschrieben, Paul für Ingenieurwissenschaften, Esther will Jura studieren und Maria Medizin. Was wie ein Lehrstück daherkommt, wird aber nie zu plakativ oder moralisierend. Der Politiker Peters steht als Schattenfigur am Bühnenrand, schaltet sich ein, wenn es populistische Parolen abzuspulen gilt. Gut vorstellbar, dass dieses Stück ein Renner wird, sobald es die Corona-Situation zulässt.
Sowohl als Jurist als auch als Schriftsteller hat Schlink die deutsche Schuld umgetrieben. Schlink nennt in «20. Juli» keine realen Parteien. Gegen wen er zielt ist aber offensichtlich.
Bernhard Schlink: 20. Juli. Ein Zeitstück. Diogenes, 96 Seiten