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Sechs Jahre nach seinem Tod gibt es ein Lebenszeichen des Königs der entspannten Grooves. Es erscheint «Stay Around» von J. J. Cale, ein Album mit unveröffentlichten Songs. Eine Sensation.
Anti-Stars wie J. J. Cale sind durch ihre unspektakuläre Arbeits- und Lebensweise kein Stoff für Legenden. Trotzdem können sie auf ihre stille Weise die Kulturgeschichte beeinflussen. Manchmal nach ihrem Ableben, in seltenen Fällen sogar mit taufrischem Material. Am 26. April erscheint «Stay Around», das postume Album von John Weldon Cale, besser bekannt als J. J. Cale. Keine aufgewärmte Suppe, keine halbfertigen Demos; es sind vom Meister persönlich produzierte, nie gehörte, vorzügliche Aufnahmen. Für Cale-Fans eine Sensation – für alle andern der Moment, seine traumhafte Americana-Kunst wahrzunehmen.
Am 26. Juli 2013, mit 74 Jahren, erlag J. J. Cale einem Herzinfarkt. Bei Stars aus der Mythen-Liga dauert es in der Regel Wochen, bis die schubladenfertige Biografie im Handel erscheint – bei J. J. Cale herrscht seit sechs Jahren Stille. Es wird seine Grabesruhe kaum stören, denn um den grossen Erfolg hat sich der kauzige Einzelgänger nie gekümmert. «Schick einfach das Geld, und lass die Jungen berühmt werden», soll er gesagt haben, als sein Produzent Audie Ashworth ihn einmal pushen wollte.
Es gibt schlicht niemanden, der über J. J. Cale jemals etwas Schlechtes erzählt hätte.
(Quelle: Mike Kappus, Manager)
Das Geld kam; vor allem durch Stars wie Eric Clapton oder Lynyrd Skynyrd, die seine Songs aufnahmen, aber auch durch 17 eigene Alben, die ihm eine treue Fangemeinde bescherten. Genug, um entspannt leben zu können – während Jahren in einem Wohnwagen, wo der Mann ohne Bankkonto seine Ersparnisse versteckte, später in einem bescheidenen Haus im Süden Kaliforniens. Noch mehr als Geld hagelte es Lob. «Es gibt schlicht niemanden, der über J. J. Cale jemals etwas Schlechtes erzählt hätte», meint sein langjähriger Agent und Manager Mike Kappus. Einer der Guten, den man einfach lieben musste – auch wenn er als Interviewpartner ziemlich wortkarg sein konnte.
Cales Beitrag zur amerikanischen Musik war dagegen alles andere als karg. Mit seinem abgeklärten Mix aus Blues, Rockabilly, Country und Jazz, dem sogenannten Tulsa Sound, ist er ohne Zweifel einer der einflussreichsten Songschreiber und Gitarristen des vergangenen Jahrhunderts. Die Grössten der Rock-, Pop- und Country-Musik gingen vor ihm auf die Knie. Allen voran Eric Clapton; in seiner Autobiografie nennt er Cale «einen der bedeutendsten Künstler, der in aller Stille den grössten Wert darstellt, den sein Land je hatte». Clapton verdankt ihm viel – Cale zeigte Slowhand Anfang der 70er-Jahre den Weg aus der Sackgasse als Rock-Guitar-Hero. Als Gegenleistung spielte Clapton für sein Vorbild den Lebensversicherer (mit ertragreichen Coverversionen von «After Midnight» und «Cocaine») und koproduzierte 2006 Cales kommerziell erfolgreichstes Album «Road To Escondido». Scharen weiterer Giganten bewunderten Cale. Tom Petty (1950– 2017), Johnny Cash (1932–2003), Carlos Santana oder Neil Young («Cales Gitarrenspiel war für mich ein grosser Einfluss, eine unbeschreibliche Berührung», schwärmt Young in seiner Autobiografie). Auch jüngere sind dabei; Beck zum Beispiel, der Cales «Mühelosigkeit, sein musikalisches Unterstatement» als «sehr mächtig» bezeichnet («L. A. Times»).
Überall auf der Welt sind J.-J.-Jünger gross geworden, auch hierzulande: Nach Cales einzigem Schweizer Konzert (1994 in der Eulachhalle Winterthur) stürmte Hank Shizzoe mit einem Kassettengerät in des Meisters Garderobe, um ihm seine Version von «Mona» vorzuspielen; und vor jeder Aufführung des Zürcher Musikers und Kabarettisten Blues Max klingt aus dem Saal-Lautsprecher Übervater J. J.s Debütalbum «Naturally». Vom grössten Cale-Fan haben wir noch nicht gesprochen: Mark Knopfler. Bei den ersten Alben von Dire Straits ist der Einfluss von Cales frühen Werken beinahe unheimlich gross. Nur ein kleiner Teil der Knopfler-Fans ist sich bewusst, dass ihr Gitarrengott ohne Cale nie so klänge.
Es ist typisch – Cale war während 40 Jahren ein «under-the-radar-giant» («New York Times»). Am meisten unterbewertet ist vielleicht sogar sein Gesang. Welch eine Gesangsästhetik! Diese nuancenreiche, intime Stimme, das raffinierte Konzept, sie im Mix so zu platzieren, dass sie die Musik nicht überragt und man dennoch den Eindruck hat, Cale würde einem direkt ins Ohr flüstern – das macht ihm keiner nach.
Und das neue Album? Schlechte J.-J.-Cale-Platten gibts keine. Unzählige Songperlen hat er produziert; kleine Meisterwerke der Laidback-Kunst, zeitlose, impressionistische Kurzgeschichten. Nun sind fünfzehn neue dazugekommen – ausgewählt von seiner Witwe und Mitmusikerin Christine Lakeland sowie von seinen langjährigen Wegbegleitern Mike Kappus und Jim Karstein. Unberührte Songs, von Cale aufgenommen und gemischt.
Warum sie jetzt erst ans Tageslicht kommen? Für ihn nicht ungewöhnlich; er hatte offenbar regelmässig gewisse Songs für spätere Platten reserviert. Das fantastisch groovende «Chasing You» und der zarte Love-Song «Stay Around» wurden als Single bereits vorveröffentlicht. Auch der Rest ist eine glaubwürdige und berührende Cale-Mischung – mit allem, was ihn auszeichnete. Traumhaft treffsichere Gitarrentöne, federleichte Grooves, mal abgehangen, mal vorwärtstreibend, bewusst arrangierte Natürlichkeit, quasi solo und dann wieder mitten in einer Band voller Freunde. J.-J.-Cale-Fans sind Albumhörer und können kaum verbindliche Song-Tipps geben – ganz unverbindlich dennoch: «Tell You Bout Her», «Tell Daddy», «Girl Of Mine», «If We Try» und natürlich das von seiner Frau Christine geschriebene Stück «My Baby Blues», welches die beiden vor über 40 Jahren gemeinsam aufnahmen. Oder doch das ganze Album?
* Richard Koechli: Der Musiker, Buchautor und Swiss-Blues-Award-Gewinner Richard Koechli ist ein weiterer J.-J.-Jünger aus der Schweiz. Das Erbe des Meisters weitertragen will er auch literarisch; der 57-jährige Luzerner schreibt seit einem Jahr an einer romanartigen Biografie über J. J. Cale. Das Buch wird voraussichtlich diesen Herbst erscheinen.
J. J. Cale: Stay Around (Warner). Erscheint am 26. April.