Mit ihrem Rock-Kracher «Zitti e buoni» hat die italienische Band Maneskin den European Song Contest gewonnen. Im Interview sagt ihr Sänger: «Liveenergie ist durch nichts zu ersetzen.»
So sehen also Sieger aus: Damiano David (22, Gesang), Victoria De Angelis (21, Bass), Thomas Raggi (20, Gitarre) und Ethan Torchio (20, Schlagzeug). Sie sitzen zusammengepfercht auf einem Sofa in ihrem römischen Proberaum und wirken trotz in rockmusikalischen Kreisen ambitionierten 11 Uhr schon ziemlich ausgeschlafen. Einige Wochen sind vergangenen, seit die Band mit «Zitti e Buoni» und einem an Led Zeppelin angelehnten Auftritt überlegen den Eurovision Song Contest gewonnen hat. Im Gespräch stellt sich bald heraus, dass nur Victoria und Damiano reden, das aber mit einer ordentlichen Portion an Passion.
Sex, Drugs & Rock’n’Roll. Dass Sie keine Drogen nehmen, ist ja nun bekannt. Was bleibt also noch?
Damiano David: Na, die Antwort ist einfach: Sex und Rock’n’Roll (lacht). Und ganz viel üben. Üben, üben, üben.
Die letzten Wochen waren wahrscheinlich schlaflos. Wie geht es Ihnen jetzt?
Victoria De Angelis: Wir schreiben gerade neue Musik, um ein bisschen Abstand zu gewinnen und wieder runterzukommen. Und uns in etwas ruhigerem Rahmen weiter zu freuen.
David: Es beruhigt auch meine Mutter, wenn wir es jetzt mal etwas langsamer angehen lassen. Sie war ein wenig besorgt und hat mich immer gefragt, ob ich nicht zu sehr unter Druck stehe und zu viel Arbeit habe. Aber meine Mutter macht sich sowieso immer Sorgen um mich, Müttersorgen halt.
Wie hat sie reagiert, als Sie ihr sagten, Rockstar werden zu wollen?
David: Sie meinte, so lange ich gute Noten in der Schule hätte, könnte ich machen, was ich will.
Haben Sie?
David: Nein (lacht).
De Angelis: Für die guten Zensuren war ich in der Band zuständig.
Die ersten Konzerte haben Sie in den Strassen und auf den Plätzen Roms gespielt.
De Angelis: Wir kamen mit dem Bus, hatten unsere Instrumente dabei und legten los. Wir sahen aus wie glückliche Freaks. Manche Leute fanden uns unerträglich und holten die Polizei, aber die meisten liebten uns.
2017 haben Sie bei «X Factor» mitgemacht, dieses Jahr erst das Festival in Sanremo gewonnen und sind als Favoriten beim ESC angetreten. Was hat Europa in Ihnen gesehen?
De Angelis: Unser Auftritt war anders. Roh. Erfrischend. Wir hatten keine Tänzer und sonstige Attraktionen auf der Bühne, sondern nur uns. Wir haben den Leuten den Rock’n’Roll gegeben, den sie so vermissen im Moment. Die Live-Energie ist durch nichts zu ersetzen und einfach das Geilste, was es gibt. Auf der Bühne lassen wir uns gehen und haben ohne Ende Spass dabei.
Auf dem Album «Teatro d’Ira Vol. I» gibt es Rockballaden wie von Aerosmith, aber auch harte Nummern, die an Rage Against The Machine erinnern.
De Angelis: Rock’n’Roll hat so viele verschiedene Farben und Schattierungen. Sie alle und auch unsere ganzen, teils widersprüchlichen, teils verwirrenden Gefühle wollen wir in unserer Musik ausdrücken. Deshalb kommen so viele ganz unterschiedliche Songs dabei raus.
Aus Italien kennt man bei uns eher Balladenmeister wie Eros Ramazzotti, im Rockbereich Gianna Nannini. Wollten Sie der Welt ein neues Italien präsentieren?
David: Die Vorurteile sind hartnäckig, aber wir kriegen sie schon klein. Auch bei uns in der Heimat mussten wir erst Überzeugungsarbeit leisten. Wir mussten uns anhören, dass man in Italien einfach keinen Rock’n’Roll hören will, dass wir kein Publikum finden, keine Platten verkaufen, dass es einfach nichts wird mit uns. Ich denke, wir haben den Zweiflern gezeigt, dass sie keine Ahnung hatten.
De Angelis: Entscheidend ist die Qualität der Musik, nicht das Genre.
Manche Ihrer Lieder sind auf Englisch, manche auf Italienisch. Warum das?
De Angelis: Am Anfang hatten wir nur englische Songs, weil wir halt auch nur englischsprachige Bands hören. Aber im Radio läuft bei uns nichts Englisches, also sind wir diesen einen Kompromiss eingegangen – so erreichen wir das grosse Publikum in aller Welt und auch unser Heimatland.
Was ist eigentlich die Botschaft von «Zitti e Buoni»?
David: Der Song sagt aus, dass du nichts geben sollst auf die Urteile anderer. Sondern dass du an dich glauben, weiter an dem arbeiten, was du liebst und so leben sollst, dass es dich glücklich macht. Den Hassern den Stinkefinger zeigen, das ist unser Manifest.
Dazu braucht man viel Selbstvertrauen.
David: Das haben wir uns erspielt. Wir waren sehr, sehr jung, als wir in ersten kleinen Clubs auftraten, so zwischen 15 und 17. Deinen Job professionell zu machen, bedeutet eben auch, negative Kommentare bis hin zu üblen Beschimpfungen zu ertragen. Heute schockt und blockiert uns die Negativität nicht mehr. Sie spornt uns an.
Italien gilt als das Land mit der Dauerkrise. Insbesondere junge Leute finden keine Jobs, schon gar keine auskömmlich bezahlten, viele leben mit 30 noch bei den Eltern. Und dann auch noch das Virus. Wollten Sie dagegenhalten und inspirieren?
De Angelis: Ja, der Jugend ein bisschen mehr Hoffnung zu machen, ist wichtig. Aber nicht leicht. Mit unserer Musik können wir nicht alles verändern. Wir können den Menschen jedoch dabei helfen, sich weniger unverstanden und allein zu fühlen. Wir sind eine Aufmunterung in einer Gesellschaft, die jede Aufmunterung nötig hat.
David: Wir wollen die Kids nicht erziehen, aber wir können sie unterstützen.
Nicht nur Ihre Songs rufen die 70er in Erinnerung, auch Ihr Style. Jemand wie David Bowie spielte schon mit Genderstereotypen, als es dafür noch gar keinen Namen gab. Seht Sie sich in dieser Tradition?
David: Ja! Wir lieben den androgynen Stil, und wir halten es für wichtig, einen Teil zur gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen. Wir kleiden und geben uns nicht so, um Aufmerksamkeit zu erzeugen oder zu provozieren, sondern weil wir das Spiel mit den vermeintlichen Geschlechternormen lieben. Warum denn sollen Jungs kein Make-up und keine Kleider tragen?
De Angelis: Wir wollen alle Konzepte umstossen, die dich zu irgendetwas zwingen. Viele leiden darunter. Wir fordern, dass alle Menschen die Freiheit haben, genau so sein zu dürfen, wie sie sind.
Aktuelles Album «Teatro d’Ira Vol. I»