Für Christoph Schwegler, den Erfinder der Schweizer Hitparade, wars «ein Schock», als die Superschnulze «Monia» im bewegten Jahr 1968 wochenlang Platz 1 besetzte. Er habe sich «im Geschmack des Schweizer Publikums gewaltig geirrt». Noch schlimmer wars in Deutschland.
Nicht die Beatles, nicht die Rolling Stones und schon gar nicht Gitarrengott Jimi Hendrix beherrschten die Hitparaden, sondern Kinderstar Heintje. Der Gegenentwurf zu den Hippies belegte mit «Mama», «Du sollst nicht weinen» und «Heidschi Bumbeidschi» drei der ersten vier Plätze der Jahreshitparade. Horror!
Irritierend auch die Top-Platzierung in England. Statt «Hey Jude» oder «Jumpin’ Jack Flash» stand dort Louis Armstrong mit «What A Wonderful World». Man muss sich das vorstellen: Ein schwarzer Amerikaner erklärt den Briten, wie schön die Welt doch sei. Auch ein Statement! Wie in der Schweiz und Deutschland wollte offenbar eine Mehrheit der Briten nichts von Rebellion wissen.
Mein Bild von 68 wankt. Für mich war 68 verbunden mit «Jumpin’ Jack Flash», «Sympathy For The Devil» und «Street Fighting Man» von den Stones. Oder mit den Beatles, die in «Revolution 1» die Pariser Mai-Revolten thematisierten, mit «Back in The USSR» die kalten Krieger provozierten und mit «Helter Skelter» so etwas wie den ersten Metal-Song aufnahmen. Dazu war Jimi Hendrix daran, die Gitarre neu zu erfinden.
Miles Davis wurde elektrisch-rockig, der radikale Free-Jazzer Peter Brötzmann feuerte seine Saxofonsalven ab. Weiter wurden die epochalen Rock-Bands Led Zeppelin, Black Sabbath und Deep Purple gegründet. Während die Schweiz im «Heavenly Club» der Sauterelles feierte, bereitete sich Joe Cocker mit «With A Little Help From My Friends» auf Woodstock vor. Und Janis Joplin war seit dem «Summer of Love» in einem Zustand der höheren Art. Das ist mein 68, mein Soundtrack des bewegten Jahres. Ist nun alles Fake?
Die US-Charts retten mein Bild. «Hey Jude» ist dort vor «Sunshine Of Your Love» der Supergroup Cream rangiert. Meine Geschichte von 68 muss also doch nicht ganz revidiert werden. Der Sound der neuen Generation ist in Europa einfach etwas verspätet angekommen. Und überhaupt: Wer will heute noch Heintje hören? Und wer ist eigentlich Roland W.? Meine 68er-Playlist dagegen ist aktuell und frisch wie eh und je.