Rock
Die Toten Hosen im Letzigrund: Ooooohh-o! Auf uns! Auf das Leben!

Der Stadionkonzert-Sommer geht weiter: Am Sonntagabend begeisterten die Toten Hosen im Zürcher Letzigrund mit einer sympathisch schnickschnackbefreiten Show.

Michael Graber
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So begeistert die Kultband im Stadion.

Beitrag: Katja Jeggli

Es ist ein bisschen der Abend der Illusionen. Am Gin-Stand, so klagt die enervierte Besucherin, gebe es nur noch alkoholfreien Gin. Drinnen im Letzigrund, da spielen die Toten Hosen, die sind ein bisschen die Illusion einer Punkband. Böse gesagt: Die alkoholfreie Variante davon.

Etwas diplomatischer formuliert: Eine gute, laute, Rockband, die irgendeine verbindende Kraft zu haben scheint. Rund 45’000 Fans haben sich am Sonntagabend im Letzigrund eingefunden. Sie wollen zusammen singen, jubeln und sich und die Band feiern.

Es gibt da ja auch einiges zu feiern. Die Toten Hosen werden 40-jährig, Sänger Campino hat eben erst die 60 übersprungen, und dann ist die Pandemie je nach nach Lesart vorbei oder zumindest gerade in der Pause.

Prost. Auf das Leben! Auf uns! Auf die Toten Hosen! Die legen nicht nur wahnsinnig pünktlich, sondern auch mit grossem Druck los. Campino, Kuddel, Andi, Breiti und Vom haben Präsenz, Dichte und einen klaren, lauten Sound. Nach «Alle sagen das» als Opener (darin geht es auch um den ewigen Anwurf, dass die Hosen nicht mehr Punks seien) finden sich bereits im ersten Konzertviertel Hits wie «Bonnie & Clyde» und «Paradies».

Campino am Sonntagabend im Zürcher Letzigrund.

Campino am Sonntagabend im Zürcher Letzigrund.

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Die Hosen können Hits

Aber eigentlich sind (fast) alles Hits an diesem Abend. Denn wenn die Hosen eines können, dann sind es Hits. Jeder Song ist in der Bauart ähnlich: Nach einem munteren Anstampfen eskaliert es auf einen mitsingtauglicher Refrain. Mal sind sie nachdenklicher, mal wieder spassig. Alle klingen sie nach Euphorie, duften nach Schweiss und fühlen sich immer irgendwie nach Fussballstadion an – was auch dem zahlreichen Gebrauch von Pyrofackeln im Publikum geschuldet ist.

Über 40'000 Besucherinnen und Besucher kamen am Sonntagabend in den Letzigrund.

Über 40'000 Besucherinnen und Besucher kamen am Sonntagabend in den Letzigrund.

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Ist das etwas einförmig? Vielleicht. Ist es deswegen schlecht? Nein! Es ist beeindruckend, wie Campino und Band es schaffen, ihre Energie direkt ab der Bühne ins – eben – Fussballstadion zu schleudern. In der Startdreiviertelstunde rotzen sie einfach mal 12 Lieder hin. Bei «Du lebst nur einmal» schaffen sie das Husarenstück, dass sogar auf den solid gefüllten Sitzplätzen alle ihre Arme von rechts nach links und wieder zurückschwingen. Es ist eine sympathisch schnickschnackbefreite Show.

Feiern ja, aber bitte mit etwas Dankbarkeit

Und sie kommt auch ohne Peinlichkeiten aus. Campino schafft es, ohne oberlehrerhaft zu wirken, auch noch den Bogen zum Ukraine-Krieg zu schlagen. Feiern angesichts des Weltelends sei zwar schwierig, aber möglich. So lange es zumindest nicht mit einer Selbstverständlichkeit hingenommen werde.

Es ist ein ziemlicher fragiler Moment in einer Show, in der sonst alles mindestens in Autobahnbreite ab der Bühne serviert wird. Und der Spagat gelingt. Kurz danach «Steh auf, wenn Du am Boden bist», diese pathosbesoffene Durchhaltehymne. An der Grenze zum Kitsch, gewiss, aber wohl genau deswegen schön.

Spätestens da ist es eh passiert. Die Sonne ist endgültig verschwunden, und aus dem Konzert wird ein Fest. «Alles aus Liebe», «Wünsch dir was», «Hier kommt Alex». Hosen-Klassiker inmitten eines sonst schon Best-of-Hosen-Konzerts. «Kann es endlich losgehen?», schreit Campino in den Letzigrund. Es wird gehüpft, gesprungen, gesungen. Ziemlich gut. Das Fehlen an Zwischentönen bemerkt da längst keiner und keine mehr. Ooooohh-o. Auf uns! Auf das Leben!

Die Toten Hosen aus Düsseldorf sind eine sehr solide Rockband.

Die Toten Hosen aus Düsseldorf sind eine sehr solide Rockband.

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Zurück zur Einstiegsfrage: Ist das noch Punk? Das sei die «unwichtigste Frage überhaupt», sagte Campino jüngst in einem Interview mit CH Media. Und nach 140 Minuten Konzert sind wir geneigt zu sagen: Er hat recht. Ist ja eigentlich wurst. Vielleicht gehört es ja zu den grössten Illusionen unserer Zeit, dass wir alles in eine Schublade stecken können. Einen alkoholfreien Gin-Tonic trinken wir trotzdem nicht.