Marie Sophie Hingst baut aus Wurst, Käse und Toast berühmte Meisterwerke nach. Hunderte folgten auf Twitter ihrem Beispiel. Daraus ist nun ein charmantes Büchlein entstanden.
«Mit Essen spielt man nicht!» werden Kinder ermahnt. Dabei können am Esstisch lustige Kunstwerke entstehen. Das beweist die Bloggerin und Historikerin Marie Sophie Hingst. Sie hat das belegte Brot als kreatives Medium entdeckt. Auf ihren ersten «Kunst-Toast» drapierte die 31-Jährige ein geometrisches Bild von Mondrian aus Tomatenscheiben, Heidelbeeren und Käse. Aus einer Laune rief sie vergangenen Sommer den Hashtag #KunstGeschichteAlsBrotbelag ins Leben. Er landete binnen weniger Tage auf Platz eins der deutschen Twitter-Trends.
Hunderte Gleichgesinnter beteiligten sich an der Aktion und posteten farbenfrohe Brotkunstwerke. Daraus ist nun das Buch «Kunstgeschichte als Brotbelag» geworden. 49 Brotkünstlerinnen und -künstler haben daran mitgearbeitet. Sie laden ein zu einem inspirierenden Rundgang durch die Kunstgeschichte auf dem Toastbrot: von den Pferden aus den Höhlenmalereien von Lascaux bis hin zu einem Selbstporträt von Frida Kahlo und einem Yves-Klein-Toast, der mit schlumpfblauer Lebensmittelfarbe beschmiert ist.
«Der Kühlschrank ist eine unerschöpfliche Quelle von Kunstmaterial», sagt Marie Sophie Hingst, die als «@ Fräulein Read On» twittert. Ihr Blog «Read On my Dear Read On» wurde 2017 als bester deutschsprachiger Blog ausgezeichnet. Dort schrieb sie täglich eine Postkarte an den deutschtürkischen Journalisten Deniz Yücel, der in der Türkei inhaftiert war.
Mit den Kunstbroten will die Bloggerin nun zeigen, dass viele das Internet nicht bloss passiv nutzen oder um zu pöbeln, sondern auch, um gemeinsam etwas Kreatives zu erschaffen:
Hingst, die in Berlin studiert hat und heute in Irland bei einem Technologiekonzern arbeitet, wird von deutschen Freunden oft gefragt, ob ihr das Brot aus der Heimat denn nicht fehle. «Dabei bin ich gar keine grosse Brotesserin», sagt sie. Ein paar Kunstbrote habe sie verzehrt, «aber die meisten hat mein Hund bekommen».
Jedenfalls wurde ihr bewusst: «Das Brot und die Deutschen, das ist eine besondere Beziehung.» Wie sie im Vorwort schreibt, zählt das deutsche Brotregister über 3200 Sorten. Künstler nutzten schon vor der Erfindung des Radiergummis Brotkrumen, um ihre Skizzen zu korrigieren. Zudem sei die Redewendung «brotlose Kunst» kein Klischee: Die meisten Künstler sind auf einen Brotberuf angewiesen.
Das Spektrum an Materialien und Techniken der kreativen Marmeladenbrote und Wurstschnitten ist breit: Es reicht von pastosem Frischkäseauftrag über akkurate Avocadoanordnung bis hin zu filigraner Gurkenschnitzerei. Einer experimentierte stundenlang mit Sauerkirschenmarmelade, um den perfekten Schwarzton nachzubilden.
Aus Fleischwurst und Birne auf Vollkorn wird Vermeers «Mädchen mit dem Perlenohrring» – mit einem Tic Tac als Ohrring. Eine Bananenscheibe wird zu Munchs «Schrei», eine Brombeere zu einem Kopf von Klimts «Kuss». Die Liebenden tragen goldgelbe Kleider aus Senf, Quark und Karottenstücken. In einem anderen Brotkunstwerk wird eine schlappe Gurkenscheibe zur weichen Uhr, die auf Dalís berühmtesten surrealen Gemälde wie Camembert zerläuft. Wohl noch nie haben sich so viele Menschen so viel Mühe gegeben, ihre Brote zu belegen.
Marie Sophie Hingst (Hg): Kunstgeschichte als Brotbelag, Dumont, 112 Seiten, Fr. 20.–