Audi e-tron oder Tesla Model X: Mit welchem Stromer ist man auf Langstrecken entspannter unterwegs? Ein Erfahrungsbericht
Ein Auto muss nicht zuletzt auch das Bedürfnis nach Freiheit befriedigen können. Denn daran haben wir uns schliesslich gewöhnt. Nicht nur die täglichen Pendelfahrten müssen problemlos möglich sein, sondern auch lange Strecken, sei es für Geschäftstermine oder für die Fahrt in den Urlaub. Damit sich die E-Mobilität durchsetzen kann, müssen solche Einsätze auch mit Strom problemlos möglich sein. Das hat auch Audi erkannt – und bewirbt den neuen, rein elektrischen e-tron als «Benchmark auf der Langstrecke». Ob er dieses Versprechen einlöst, muss er auf einer Fahrt von Lenzburg nach Frankfurt beweisen. Und zwar im Vergleich mit einem Auto, das Audi mit dem e-tron als Gegner anvisiert: dem Tesla Model X.
Weil der Stromer aus Kalifornien schon länger am Markt ist, soll er den Anfang machen. Der Sechsplätzer tritt mit grossem 100-kWh-Akku an, aber noch ohne das kleine Facelift, dass man ihm kürzlich verpasst hat. Damit bekommt der SUV einen überarbeiteten Motor an der Vorderachse, der für tieferen Verbrauch und damit grössere Reichweite sorgt, und ein überarbeitetes, adaptives Luftfahrwerk.
Über Nacht wird der Tesla an einer öffentlichen Ladestation komplett geladen und prognostiziert eine Reichweite von 449 Kilometern. Von da an ist die Reise zum Flughafen Frankfurt schnell erzählt. Am grossen Touchscreen das Ziel eintippen und das Navi errechnet die optimale Route. 3:46 Stunden Fahrzeit und ein Ladestopp von 25 Minuten. Damit die beiden Stromer fair verglichen werden können, fahre ich exakt nach Tempolimit und genau nach den Vorgaben des Autos.
Nach 160 Kilometern schlägt das Model X bereits den geplanten Ladestopp vor, obwohl noch Strom für 268 Kilometer im Akku ist. Weil: So nutze ich die Zeit an der Ladesäule effizienter als im Stau auf der Autobahn. Am Tesla Supercharger wird das Auto eingesteckt – und regelt alles Weitere selbst. Keine Bestätigung per Chipkarte oder App ist hier nötig.
Bei sanfter Fahrweise korrigiert das Navi seine Prognosen laufend; 20 Minuten Ladezeit reichen aus. Genau nach der vorgeschlagenen Zeit vermeldet der Bordcomputer, dass die Batterieladung zur Weiterfahrt ausreicht. 121 Kilometer Reichweite wurden in dieser Zeit geladen, obwohl das Auto hier schon in den hohen Ladezustand kommt, wo das Laden verlangsamt wird.
Bei der Ankunft in Frankfurt vermeldet der Bordcomputer schliesslich eine verbleibende Reichweite von 159 Kilometern. Es hätte also auch ohne Zwischenladen gereicht, doch man muss schliesslich vom Ziel auch wieder wegkommen. Praktisch: Das Model X zeigt dem Fahrer immer an, mit wie viel Batterieladung er das Ziel voraussichtlich erreichen wird. So kann man gut abschätzen, ob man einen vorgeschlagenen Ladestopp überspringen möchte – oder lieber etwas mehr Strom mitnehmen möchte, weil danach noch weitere Ziele anstehen. Insgesamt gestaltet sich die Langstreckenreise so also kaum komplexer als mit einem Verbrennungsmotor – und auch kaum zeitaufwendiger. Ein Kaffeestopp ist für eine Reise von rund vier Stunden absolut angemessen.
Ein paar Tage später steht die selbe Reise mit dem Audi e-tron an. Die Bedingungen sind vergleichbar. Auch an diesem Tag ist die Strasse trocken, mit 24 Grad Aussentemperatur ist es vier Grad kühler als bei der Reise mit dem Tesla, wodurch die Klimaanlage im Audi etwas weniger gefordert wird.
Auch der Stromer aus Ingolstadt wird an der selben Ladestation vollgeladen. Während der Akku im Tesla rund 93 kWh nutzbare Kapazität bietet, kann der Audi aus seiner 95 kWh-Batterie nur etwa 80 kWh nutzen, der Rest wird als Sicherheitsreserve blockiert, um die Zellen zu schonen.
Während Tesla die verbleibende Reichweite mit einem fix eingespeicherten, realistischen Durchschnittsverbrauch errechnet, bezieht der Audi zahlreiche Bedingungen mit in diese Berechnung ein. So schwankt diese Angabe je nach Temperatur, Fahrweise und einprogrammierter Strecke im Navi. Das ist gut gemeint, sorgt aber aufgrund der Schwankungen eher für Verwirrung. 310 Kilometer verkündet der Bordcomputer bei vollem Akku – wird die Navigation gestartet, sind es nur noch 286 Kilometer. Also sucht der e-tron nach einer geeigneten Lademöglichkeit entlang der Route. Obwohl auf der Strecke zwei Ionity-Schnelllader, an denen der e-tron mit 150 kW Leistung laden könnte, stehen, schlägt das Navi einen Stopp an einer 50-kW-Säule vor. Hier dauert das Laden dreimal länger; 54 Minuten prognostiziert der e-tron. Das Ziel in Frankfurt erreiche man dann mit 20% Restkapazität. Das erscheint wenig sinnvoll; aber offenbar sucht das Navi erst nach Lademöglichkeiten, wenn der Akku leer ist und hat nicht die Route als ganze im Blick. Es rechnet genauso, wie es auch ein Auto mit Verbrennungsmotor tun würde. Trotzdem halte ich mich strikt an die Tempolimits und die Vorgaben des Autos. Auf der Autobahn wirkt der e-tron komfortabel, aber weniger spritzig als der Tesla. Das bestätigt auch der Blick aufs Datenblatt: Audi veranschlagt 6,6 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h, bei Tesla sind es 4,9 Sekunden. Zudem dürfte der Amerikaner bis 250 km/h weiterrennen, der Audi nur bis 200 km/h. Grundsätzlich wirkt der Audi etwas solider verarbeitet, aber auch deutlich weniger geräumig. Dass der Ingolstädter auch unübersichtlicher erscheint, liegt vor allem an den im Testwagen verbauten Kameras, die die Aussenspiegel ersetzen und ein Bild der Strasse auf einen kleinen Monitor an der Türinnenseite projizieren. Hier lassen sich Distanzen auch nach einiger Eingewöhnung nur schwer abschätzen.
Die angepeilte Ladestation liegt an der Raststation Brühl an der A5. Schon einige Kilometer vorher lotst das Navi von der Autobahn weg. Schlussendlich steht der e-tron gut 20 Meter von der Stromtankstelle entfernt. Dazwischen ein massiver Zaun. Ohne gröbere Missachtung der Verkehrsregeln ist der Stecker nicht zu erreichen. Also wieder zurück auf die Autobahn. Rund 50 Kilometer später steht dort eine schnelle Ionity-Ladesäule noch in Reichweite. Mit der mitgelieferten Karte lässt sich diese – allerdings erst im zweiten Anlauf – freischalten und lädt zügig; laut Anzeige im Auto bis zu 140 kW.
Wann man genug geladen hat, um das Ziel zu erreichen, kann man höchstens anhand einer grafischen Darstellung im Auto ungefähr nachvollziehen. Eine Benachrichtigung im Auto und auf der Smartphone-App wie bei Tesla gibt es beim Audi nicht. Nach rund 25 Minuten sind Zuversicht und Reichweite genügend gewachsen. Mit 200 Kilometern Restreichweite nehme ich die letzten 110 km in Angriff. Bei der Ankunft am Flughafen in Frankfurt sind laut Bordcomputer noch 82 km möglich.
Man kann also auch im Audi eine längere Reise antreten und wird in vernünftiger Zeit ankommen. Trotzdem erstaunt der Unterschied zum Tesla in vielen Bereichen. Trotz fast identischer Netto-Akkukapazität kommt der Audi mit dem Autobahn-Durchschnittsverbrauch von 25.9 kWh/100 km nur 308 Kilometer weit. Beim Tesla wären mit einem Durchschnittsverbrauch von 21,6 kWh/100 km 447 Kilometer möglich. Der höhere Verbrauch sorgt auch dafür, dass der Audi im Endeffekt trotz höherer Ladeleistung nicht schneller an Reichweite zulegen kann. Was aber schlussendlich den grössten Unterschied ausmacht: Audi traut sich nicht, sich gänzlich von den Gewohnheiten zu lösen. Der e-tron ist ein E-Auto, das nach den Vorgaben für ein Auto mit konventionellem Antrieb gebaut wurde. Das beginnt damit, dass er nicht auf einer eigens dafür konstruierten Plattform basiert und dadurch beispielsweise nur ein kleines Ablagefach unter der vorderen Haube bietet, wo der Tesla zusätzliche 187 Liter Stauraum offeriert. Vor allem aber ist es die Bordelektronik, die dafür sorgt, dass das Leben mit dem e-tron deutlich umständlicher ist.
Der Tesla zeigt dem E-Fahrer immer genau die Informationen, die er braucht, und ist zudem perfekt in sein Ladenetzwerk integriert. Das nimmt dem Fahrer die Denkarbeit ab – und macht Reisen so simpel, wie sie auch mit einem Diesel wären. «Benchmark auf der Langstrecke» kommt also nach wie vor aus Kalifornien.
Der Audi e-tron kostet ab 89 900 Franken, der Tesla Model X mit grossem Akku ab 105 600 Franken.