Suchmaschinen können Trefferlisten verzerren und Internetnutzer beeinflussen – ohne dass sie es merken. Mit dieser unlauteren Methode lassen sich Wähler gewinnen. Die Schweiz ist besonders gefährdet.
Ganz oben zu stehen, ist entscheidend. Nicht nur auf dem Siegerpodest, sondern auch bei Trefferlisten von Suchmaschinen. Denn bei über 90 Prozent der Suchanfragen wird auf den höchstgelisteten Link geklickt – Links, die hingegen erst auf der zweiten Seite auftauchen, werden kaum mehr angewählt. Welche Informationen im Netz wir also zu Gesicht bekommen, bestimmt zu einem grossen Teil der Suchmaschinenanbieter, dessen Dienst wir nutzen. Also zum Beispiel Google, Yahoo oder Bing.
Die Amerikanischen Forscher Robert Epstein und Ronald E. Robertson wollten herausfinden, ob die Suchanbieter durch Manipulation der Resultate fähig sind, den Ausgang einer Wahl zu verfälschen. Sie führten dazu verschiedene Studien durch. «Die Ergebnisse legen nahe, dass ein Suchmaschinenanbieter die Macht hat, eine erhebliche Zahl an Wahlen ungestraft manipulieren zu können», schreiben die Wissenschafter im Fachmagazin «PNAS».
Manipuliert man das Ranking einer Suchmaschine, können potenzielle Wähler dazu gebracht werden einen bestimmten Kandidaten zu wählen – ohne dass ihnen die Beeinflussung bewusst wird. Diese Manipulation funktioniert im Durchschnitt bei 20 Prozent der unentschlossenen Wähler. In einigen Teilgruppen war der Manipulationserfolg aber bedeutend höher. Das zeigten die beiden Forscher des American Institute for Behavioral Research and Technology in Vista (Kalifornien) in drei verschiedenen Studien.
Im ersten Experiment luden die Forscher rund 300 zufällig ausgewählte Amerikaner ins Testlabor ein. Dort liessen sie ihre Probaden während 15 Minuten über die australischen Premierministerwahlen von 2010 recherchieren. Die Teilnehmer wussten dabei nicht, dass die dafür zur Verfügung gestellten Suchmaschinen manipuliert waren. Bei einer Probandengruppe tauchten auf den vordersten Plätzen der Suchergebnisse Links auf, die zu Websites mit positiven Informationen zur Kandidatin Julia Gillard führten. In der zweiten Gruppe wurden Links zugunsten des Kandidaten Tony Abbott prioritär behandelt. Die dritte Gruppe nutzte eine neutral gewichtete Suchmaschine.
Nach der Recherche zeigte sich, dass die Teilnehmer der ersten Gruppe Julia Gillard überdurchschnittlich positiv gesinnt waren und jene der zweiten Gruppe ihre Gunst vermehrt Tony Abbott aussprachen. Die Wahlmanipulationskraft war enorm: Bis zu zwei Drittel liessen sich manipulieren. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen die Forscher in der zweiten Studie. Hierfür wiederholten sie das Experiment mit 2100 Teilnehmern in einer Online-Versuchsanordnung.
Mit einer dritten Studie wollten die Forscher herausfinden, ob sich der Manipulationseffekt auch bei einer bevorstehenden Wahl im eigenen Land einstellte. Um das herauszufinden, führten Epstein und Robertson ein Online-Experiment mit 2150 Teilnehmern im Vorfeld der letzjährigen Wahlen in Indien durch. Auch die indischen Teilnehmer liessen sich manipulieren. Die Wahlmanipulationskraft lag hier bei 9,5 Prozent. Allerdings liessen sich gewisse Teilgruppen bedeutend einfacher manipulieren. Zum Beispiel arbeitslose Männer aus Kerala zu 72,7 Prozent. Die Gruppe der 18 bis 24-Jährigen liess sich weniger leicht beeinflussen (8,9 Prozent) als die Gruppe der 45 bis 64-Jährigen (30,7) Prozent.
Dass Fernsehen und Zeitungen Wähler beeinflussen können, ist längst bekannt. Epstein und Robertson sind aber der Meinung, dass der Einfluss von verzerrten Suchresultaten viel grösser sein kann als jener von traditionellen Medien. Denn während in Demokratien mehrere politisch verschieden ausgerichtete Medien über Wahlen und politische Ereignisse berichten, dominiert in den meisten Ländern ein Suchanbieter stark über die anderen. In der Schweiz verwenden über 90 Prozent der Internetnutzer Google. Das macht unser Land für solche Manipulationen besonders anfällig.
«Google könnte im Prinzip die Politik in ganz Europa manipulieren», sagt Dirk Helbing, Soziologieprofessor und Spezialist für Big Data an der ETH Zürich, der nicht an der Studie beteiligt war. Die Frage sei also nicht, ob politische Manipulationen aufgrund von Suchmaschinen möglich sind, sondern wie oft solche Beeinflussungen schon stattgefunden haben.
Manipulationen in Suchalgorithmen nachzuweisen, ist äusserst schwierig. Denn Google und andere Anbieter personalisieren die Ergebnisse aufgrund der Präferenzen der Nutzer und deren bisheriger Suchanfragen. Jeder bekommt also auf ein und dieselbe Suchanfrage verschiedene Treffer geliefert. Wie genau der Algorithmus funktioniert ist unbekannt. Dieses Geheimnis hütet Google so gut wie Coca-Cola die Formel für die schwarze Zuckerlimonade.
Eine Manipulation aufgrund von Suchergebnissen kann sehr gezielt erfolgen. Der Suchanbieter weiss bestens über die Vorliebe seiner Nutzer Bescheid. Es wäre also ein Leichtes, genau jene potenziellen Wähler zu beeinflussen, die noch unentschlossen sind und sich aufgrund ihrer Persönlichkeit leicht manipulieren lassen. Dies, das zeigt auch die aktuelle Studie von Epstein und Robertson, ist möglich, ohne dass der Nutzer es merkt. Während der Wähler glaubt, dass er sich selbstständig entscheidet, wird er in Wahrheit sanft in die gewünschte Richtung gestossen. «Nudging» (vom Englischen «to nudge» für stupsen») wird das auch genannt.
«Die Demokratie kann so gehackt und unterwandert werden», sagt Helbing. «Propaganda und Manipulation sind im Digitalzeitalter sehr subtil, doch nicht weniger gefährlich als in den 1930er-Jahren».
Nachtrag:
Nach der Publikation des Artikels meldete sich Google bei der "Nordwestschweiz". Der Google-Sprecher meinte: «Relevante Suchergebnisse anzubieten ist seit jeher die Grundlage der Google Suche. Wenn wir davon abweichen würden, würde dies das Vertrauen der Menschen in unsere Dienste und unser Unternehmen untergraben.»