Ernährung
Ständig mit Schleckereien verwöhnt: Die Beziehung zu den Grosseltern ist zu süss

Enkel bekommen viel Liebe – und zu viel Zucker. Das zeigt nun auch eine Studie von Zahnärzten. Viele Mütter ärgern sich darüber, aber nur die Hälfte spricht die Grosseltern darauf an. Nützen tut das aber auch nicht immer.

Sabine Kuster, Ruben Schönenberger
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72 Prozent der Grosseltern füttern ihre Enkel mit Süssigkeiten.

72 Prozent der Grosseltern füttern ihre Enkel mit Süssigkeiten.

Getty Images

Oft hat es die Mutter versucht. «Keine Süssigkeiten beim Grossmami», sagte sie dem Sohn und der Tochter vor dem Übernachtungsbesuch. «Keine Süssigkeiten für die Kinder», sagte sie auch den Grosseltern. Insgeheim wussten alle in diesem Drei-Generationen-Austausch: Der Protest ist zwecklos. Bei den Grosseltern gab’s ein «Rümli» und in diesem immer «Chrömli». Das «Rümli» war eine Vorratskammer, «Chrömli» alles, was ungesund war, weit über Guetzli hinaus. «Grossmami, dörfi is Rümli?» war denn auch bloss Code für den Wunsch nach Süssem. Ein Nein war nie die Antwort.

Süsse Erinnerungen an die liebenden Grosseltern? Ja, im Nachhinein. Im Alltag gibt es in vielen Familien regelmässig Diskussionen zwischen Grosseltern und Eltern. Wo sich die Grossmutter nicht mehr traut, einen Kuchen mitzubringen, verstaut sie dafür Bonbons in ihrer Tasche, die es dann auf dem Spielplatz gibt – unbeaufsichtigt von den Eltern. Solche Geschichten hört man von klagenden Eltern.

Zur Häufigkeit dieser Konflikte gibt es nun Zahlen: Eine Studie, die im Journal der amerikanische Vereinigung der Zahnmedizin (ADA) erschien, zeigt, dass 72 Prozent der Grosseltern ihre Enkel mit Süssigkeiten füttern. Die befragten Mütter gaben meist an, dass die Mengen an Schleckzeug, Backwaren oder Süssgetränken gross sei und die Grosseltern den Konsum selten beschränken würden.

Nur die Hälfte der Eltern spricht mit den Grosseltern über den Zuckerkonsum

Aber nur die Hälfte der Mütter (Väter wurden nicht befragt) gab an, dass sie darüber auch mit den Grosseltern sprechen würden. Die übrigen gaben als Erklärung an, dass sie davon abhängig seien, dass die Grosseltern die Kinder hüten würden, sie die Beziehung nicht belasten möchten oder die Menge und Häufigkeit des Konsums nicht so schlimm fänden. Das Problem sprachen die Eltern seltener an, wenn die Grosseltern die Schwiegereltern und nicht die eigenen Eltern waren.

«Ich habe viele glückliche Erinnerungen daran, wie ich das Süssigkeitenglas im Haus meiner Grosseltern geplündert habe», sagt dazu ein Zahnarzt und Sprecher der ADA gegenüber der Studien-Agentur Eurekalert. «Deshalb habe ich als Vater selber gezögert, die Grosseltern darauf anzusprechen.» Dennoch müsse man bedenken, dass Löcher in den Zähnen die häufigste chronische Krankheit in der Kindheit sei, und mit der Zeit würde der Konsum von zu viel Zucker das Risiko für Übergewicht und Herz-Kreislauf-Krankheiten erhöhen.

Bekannt ist inzwischen auch, dass ein hoher Zuckerkonsum zu Diabetes führen kann und die Darmflora so verändert, dass es zu mehr Entzündungen kommen kann. Das zeigten jedenfalls Experimente mit Ratten.

Wenn es denn schon Süssigkeiten sein müssten, rät die ADA, dann besser pure Schokolade, weil der Speichel diese besser wieder auswasche als klebrige Süssigkeiten.

Keine süssen Zwischenmahlzeiten

Die Schweizerische Vereinigung für Kinderzahnmedizin SVK rät noch strenger: «Zwischenmahlzeiten dürfen keinen Zucker enthalten – weder in fester noch in flüssiger Form.» Nicht zahnfreundlich seien auch Bananen, Dörrobst und Obstwähen wegen ihrer klebrigen Mischung aus Zucker und Mehl. Zudem sollten Kinderzähne zweimal täglich gebürstet werden – einmal davon von den Eltern selbst durchgeführt.

Einen Rat hat auch die SVK: Wenn Süsses, dann alles aufs Mal. «Eine zuckerhaltige Speise – auf einmal genossen – ist für die Zähne weniger schädlich als die gleiche Menge in mehreren kleinen Portionen.»

Wie viele Grosseltern sich tatsächlich von den Beschwerden der Eltern beeindrucken lassen, sagt die genannte Studie nicht. Doch der Fall einer Mutter wird geschildert, die monierte, eine Nascherei sei keine Nascherei mehr, wenn sie immer stattfinde. Die Grossmutter willigte ein, dass es Süssigkeiten nur noch freitags geben sollte – was sie allerdings nur einen Monat lang einhielt.

Hilfe kommt in kleinen Schritten immerhin von der Lebensmittelindustrie: Letzte Woche wurde bekannt, dass zehn weitere Schweizer Unternehmen sich verpflichten, den Zuckergehalt in Getränken sowie in Quark zu reduzieren. Gemäss dem Bund sank der Gehalt an zugesetztem Zucker in Jogurts seit 2018 um über 5 Prozent, in Frühstücksmüesli um 13 Prozent.

Wir essen doppelt so viel Zucker, wie gesund wäre

Laut der WHO sollten höchstens 10 Prozent der konsumierten Kalorien in Form von Zucker eingenommen werden – im Durchschnitt sind das 50 Gramm pro Tag. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit geht davon aus, dass in der Schweiz meist die doppelte Menge konsumiert wird.

Etwas Nachsicht ist bei den grosszügigen Grosseltern dennoch angebracht: Manche waren selbst Kind, als Zucker rationiert war – jedenfalls gilt das für die über 80-Jährigen, die während des Zweiten Weltkriegs geboren wurden. Damals sackte der Zuckerkonsum pro Kopf und Jahr laut dem Bundesamt für Statistik auf 12 Kilogramm ab. Seit dem Krieg sind es unverändert rund 39 Kilogramm, also 110 g pro Tag. Und erst in den letzten Jahren bekam Zucker durch immer mehr Gesundheitsstudien seinen sehr schlechten Ruf.

So geht die heutige grosselterliche Zuwendung wohl nie ganz ohne Süsses. Den Beweis, es dereinst anders zu machen, müssen die heutigen Eltern erst noch erbringen.

Heute jedenfalls kann mancher Grossmutter eine typische Süssigkeit zugeordnet werden: jene, welche die besten Crèmeschnitten machte, die andere, welche jedes Jahr «Schenkeli» in die Sportferien schickte. Tanten sind schon weniger süss, das zeigt die Anekdote einer Familie, in der Dar-Vida-Kekse zu «Tante-Elsi-Guetzli» umgetauft wurden, weil die Kinder sie stets bei ihr bekamen.