Apfelwein, Most oder einfach vergorener Saft – sie alle galten bisher nicht unbedingt als edle Tropfen. Seit sie unter dem Namen Cider im Handel erhältlich sind, steigt die Nachfrage.
Klipp, klapp, klingt es durch den Obsthain in der Ebene von Bad Ragaz nahe des Rheins. Annelies und Hermann Kuppelwieser und ihre erwachsenen Kinder Jacqueline und Dominic sind am Schneiden ihrer Obstbäume. «Damit sie dann im Herbst viele Früchte tragen», meint Annelies Kuppelwieser lachend.
Gala, Topaz, Ecolette, Goldstar, Ladina oder Rustica wachsen hier in diesem Mikroklima auf sandigem Boden. Dank dem Föhn-Einfluss reifen sie sieben bis zehn Tage früher als etwa im Thurgau.
Die Niederstamm-Äpfel im Bio-Anbau werden dann nicht nur zum Essen geerntet, sondern auch zum Trinken. Die Kuppelwiesers verarbeiten seit letztem Jahr einen Teil davon in Cider. «Unsere Kinder haben uns darauf gebracht», erzählt die Obstbäuerin. Und weil sie demnächst einen Hofladen samt kleinem Café eröffnen werden, wollten sie auch neue Produkte anbieten.
Bis jetzt kann man ihren Cider nur direkt auf dem Hof und in ein paar ausgesuchten Restaurants der Region trinken. Der naturtrübe Öpfel Cider schmeckt frisch nach Äpfeln und hat eine angenehme Süsse. Er komme «uuheimli guet aa», meint Annelies Kuppelwieser stolz.
Nicht nur die Kuppelwiesers aus Bad Ragaz setzen auf das neue Modegetränk. Es ist in der Schweiz ein regelrechter Boom festzustellen. Als Cider oder Cidre hat das Getränk im ganzen einstigen keltischen Kulturraum von Spanien über die Normandie bis England und Irland eine lange Tradition.
Dabei ist Cider eigentlich nichts anderes als ein Saft ab Fass oder ein Most – und auch hierzulande mit Geschichte, die bis ins frühe Mittelalter zurückreicht. Nur wird der vergorene Saft nun mit einer neuen Etikette angeboten. Und es scheint, als würde die in der angelsächsischen Welt und der Normandie losgetretene Cider-Welle nun die Schweiz erfassen.
Die Mosterei Möhl im thurgauischen Arbon war eine der ersten, die auf Cider setzten. Ernst Möhl lancierte bereits 1995 zum 100-Jahr-Firmenjubiläum das Getränk Swizly – eine Mischung aus klarem Apfelwein mit einem Schuss Süssmost und Holundersirup, erklärt sein Sohn Christoph Möhl, der in 5. Generation im Betrieb als Leiter Marketing und Produktentwicklung arbeitet.
Lange Zeit sei das Getränk den Schweizern fremd gewesen, aber «seit ausländische Cider-Anbieter wie Strongbow in den Markt drängen, ist Bewegung in die Szene gekommen», stellt Christoph Möhl fest.
Das habe die Konsumenten erst auf das Getränk aufmerksam gemacht. Deshalb hat die Mosterei Möhl Ende März drei neue Produkte unter dem Label Möhl Cider Clan lanciert: einen Straight Apple Cider, einen Grape Apple Cider sowie einen Juicy Apple Cider.
Auch der Schweizer Obstverband will diese Marktnische fördern und führte erstmals eine Prämierung von Schweizer Fruchtsäften und Cider durch. «Es geht uns mit dem Wettbewerb darum, den Konsumenten bekannte traditionelle Getränke auf Basis von Äpfeln und Birnen in Erinnerung zu rufen sowie innovative Getränke, insbesondere Cider, zu präsentieren und deren Absatz und Stellenwert zu fördern», sagt Josiane Enggasser, Vizedirektorin des Schweizer Obstverbandes.
Noch werden hierzulande nur gut 100 000 Hektoliter Cider aus Schweizer Obst produziert. Sie unterscheiden sich je nach Produzent, Inhalt und Ausbau in Süsse, Aromatik, Alkoholgehalt und auch Perlage.
Allein schon die Auswahl der Apfelsorten ist für das Endprodukt von grosser Bedeutung – je nachdem, ob der Cider eher süsslich, säuerlich oder würzig sein soll. Gerade diese Vielfalt stösst bei den Konsumenten auf grosses Echo und hebt die Schweizer Produkte aus kleinen Manufakturen von der ausländischen Konkurrenz ab.
Eine solche Manufaktur ist die Mosterei Kobelt aus Marbach im Rheintal, die sich als «kleinste Mosterei der Schweiz» bezeichnet. Neben Apfelsäften und Edelbränden bietet sie seit über 15 Jahren den «Bartlis» an, einen Cider, der mit Bergamottesirup abgerundet ist.
Schliesslich wissen die Kobelts, wo der Bartli den Most holt, zieren doch drei verschiedene Obstlieferanten die «Bartlis»-Etiketten. Seit gut einem Jahr haben sie zudem den Bommet Cider im Sortiment, der mit Birnel verfeinert ist.
«Die meisten kennen noch vom Grossvater den sauren Most. Er war wirklich sauer, die heutigen Cider sind viel angenehmer, haben teilweise auch eine gewisse Süsse», sagt Geoffrey Kobelt. Er stellt fest, dass seit ein paar Jahren die Nachfrage nach Cider wächst.
«Die Konsumenten entdecken das Getränk als Alternative zu Bier oder zu Weisswein.» Mit drei neuen Produkten wollen die Moster aus Marbach eine neue Tür im Cidergeschmack öffnen. Sie werden als trockene Cider ohne Restsüsse produziert: Der Sappermost wird aus späten Birnensorten hergestellt und 16 Monate im Sherryfass gelagert, der Herrschaftina ebenfalls mit späten Birnensorten acht Monate im Rumfass ausgebaut, und der Sternabitzgi ist ein Apfel Ice Cider. Durch das Kühlen des vergorenen Ciders wird Wasser ausgefroren und der Alkoholgehalt erhöht. Anschliessend wird er im Bourbon-Fass ausgebaut.
Die Kobelts stellen nicht nur ihren eigenen Cider her, sondern produzieren auch für andere Anbieter, wie etwa für die Kuppelwiesers. Oder für Ingwer Soerensen aus Zürich. Er hat mit der Ostschweizer Most-Manufaktur den «Götti» entwickelt, der in Bars in und um Zürich angeboten wird.
Mit seinem neuesten Produkt, einem im Bourbon-Fass ausgebauten Cider mit 8 Prozent Alkohol, wurde er unlängst am Sagardo Forum, einem internationalen Wettbewerb, mit einer Silbermedaille ausgezeichnet. «Leider ist Cider in der Schweiz noch ein Nischenprodukt», meint Soerensen.
Er gibt dem Getränk aber viel Potenzial und glaubt, dass es sich hierzulande ähnlich entwickeln könnte wie die Craft-Biere. Dafür spreche der Trend weg von Massenprodukten, hin zu lokalen und in limitierter Auflage erhältlichen. «Man kann damit auch im Weinsegment wildern», glaubt Soerensen, «besonders wenn die Ciders in Fässern veredelt werden.»
Kult sind die Cidres von der Cidrerie du Vulcain in Le Mouret im Kanton Freiburg. Jacques Perritaz gründete 2006 das Unternehmen, dessen Markenzeichen fantasievoll verzierte Etiketten sind. Er verarbeitet nur typische alte Apfelsorten von Hochstammbäumen zu Cidres. Viele davon verkauft er in der Westschweiz und in den Export bis nach Schweden, Kanada und sogar China.
Nun hoffen die Cider-Produzenten vor allem darauf, dass es dieses Jahr eine gute Apfelernte gibt, mussten doch im vergangenen Jahr manchenorts Einbussen von rund 80 Prozent hingenommen werden. Dann steht dem erfolgreichen Feldzug des Cider nichts mehr im Weg.