Es ist vor allem eine Kindheitserinnerung: Süssholz. Aber man kann mit dem exotischen Holz mit Lakritzaroma auch köstliche Gerichte zubereiten. Sei es nun ein deftiger Schmorbraten oder eine süsse Versuchung.
Neulich, als ich für die Zubereitung eines Parfaits Zimtstangen in Zuckerwasser köcheln liess, um einen aromatischen Sirup zu erhalten, kam mir die Idee: Weshalb nicht auch mit Süssholz auf diese Weise verfahren?
Süssholz - das waren diese Stängel, die eigentlich ja Wurzeln sind, auf denen wir als Kinder – damals, als Kaugummi noch nicht so verbreitet war – so lange herumkauten, bis wir offene Lippen hatten oder die Stängel nur noch Stummel waren und bitter. In der Drogerie gab es für wenige Rappen Nachschub.
Dort kaufte ich auch ein paar Stängel, als ich zur Tat schritt und zu filetierten Orangenschnitzen statt eines Teeparfaits für einmal ein Süssholzparfait servierte.
Süssholz ist eine Staude, die bis zu zwei Meter hoch werden kann und im Mittelmeergebiet sowie in Westasien heimisch ist. Wie Klee oder Wicken zählt sie zu den sogenannten Schmetterlingsblütlern. Sie hat eine gelbe, holzige Wurzel, die viele unterirdische Ausläufer bildet. Die Wurzeln haben dank des enthaltenen Glycyrrhizin, einem Glykosid, 50 Mal mehr Süsskraft als Rohrzucker. Geraspelt oder geschabt werden aus ihnen seit dem Altertum Arzneien –unter anderem gegen Husten und Magenentzündungen – oder Süsswaren hergestellt oder verfeinert. Aus dem eingedickten Wurzelsaft entsteht schliesslich – vermischt mit Gelatine, Stärke, Agar-Agar, Anis, Fenchelöl, Pektin und Zuckersirup und teilweise Salmiak und Aromen – Lakritze.
Gerade früher kam die Pflanze als natürliches Süssungsmittel zum Einsatz. Dafür wurde die Wurzel geraspelt und zu der jeweiligen Speise gegeben. «Süssholz raspeln» wir also dann, wenn wir etwas süsser machen möchten. Genau so funktioniert auch die Redewendung: Es bedeutet, jemandem zu schmeicheln, etwas schönzureden, jemanden umgarnen, ihm oder ihr nach dem Mund reden – und dies alles in mehr oder weniger auffälliger, übertrieben-süsser Manier. Das wird dann gerne auch spöttisch kommentiert: «Hör mal den, wie der Süssholz raspelt!»
Das Ambivalente scheint dem Süssholz eigen zu sein: Einige seiner Wirkstoffe sind zwar gut gegen allerlei Gebresten, doch sollen – damit das hier auch gesagt ist – Schwangere und Leute mit erhöhtem Blutdruck, Diabetes oder Nierenproblemen Süssholz eher meiden. Dafür taugt die getrocknete Wurzel hervorragend als Ersatz für kalorienreiche Süssigkeiten. Und mit dem Kauen von Süssholz soll es einfacher sein, sich das Rauchen abzugewöhnen.
Doch zurück zum Süssholzparfait. Parfaits – auch Halbgefrorenes oder Semifreddo genannt – gehören zu meinen Lieblingsdesserts, weil sie sich ganz unterschiedlich zubereiten lassen: mit Früchten im Sommer, mit Schwarztee, Zimt, Holunderblütensirup im Winter. Oder eben auch mit Süssholz, wer einmal etwas eher Ausgewöhnliches versuchen will.
Das Parfait hat ein diskretes Süssholz-Lakritz-Aroma, manchmal auch mit einer nussigen Note. Es passt gut zu den Orangeschnitzen; aber auch Zwetschenkompott oder Rotweinzwetschgen machen sich prima dazu.
Extrafein geriebenes Süssholz entfaltet ein intensives Aroma und kann in dieser Form weiteren Desserts – etwa einer Mousse oder einem Panna cotta – eine spezielle Note geben. Ich habe mit dem Pulver (ein Teelöffel voll) aber auch schon eine Rotweinsauce aromatisiert, die gut beispielsweise zu einem Hirschfilet oder -entrecôte passt. Dabei soll aber stets mit etwas Zitronensaft ein Gegenakzent gesetzt werden.
Wenn man einen Brasato zubereitet, kann man die letzte halbe Stunde einen Süssholzstängel (oder zwei) mitschmoren. Aus Annemarie Wildeisens Küche findet sich im Internet ein Rezept zu Fischfilets mit Süssholz-Pfeffer-Butter. Dort heisst es: «Süssholz zu Fisch? Unbedingt, denn die anis-ähnliche Würze passt hervorragend zu Saibling oder einer schönen Lachsforelle.» Das werde ich auf jeden Fall demnächst ausprobieren.
Sollten die Gäste eines dieser Gerichte mal überschwänglich loben, bleibt dann halt die Frage: Wird da jetzt vielleicht bloss ordentlich Süssholz geraspelt?
Rezept für vier Förmchen.
Zutaten 20 g Süssholz, geschnitten (die Drogistin hat statt Stängel die geschnittene Form empfohlen, um mehr Geschmack aus dem Holz herauszuholen), 2 dl Wasser, 30 g Zucker, 1 ½ dl Rahm, geschlagen, 2 Eigelb, Zitronensaft, 12 Orangenschnitze, filetiert, Pistazienkerne, grob gehackt
Zubereitung Süssholz, Zucker und Wasser zu einem Sirup einköcheln lassen, er nimmt dabei eine braun-schwärzliche Farbe an. Sirup absieben und auskühlen lassen. Sirup zu den Eigelb geben und mit dem Mixer schaumig schlagen, zuerst über Wasserdampf, dann noch kalt. Diesen Schritt sollte man mit einiger Geduld machen, das Eigelb muss wirklich an Volumen gewinnen, das bindet das Parfait homogener. Eimasse sorgfältig unter den Schlagrahm ziehen. Mit zwei, drei Spritzern Zitronensaft abschmecken.
Die Masse in vier Förmchen verteilen, in den Tiefkühler stellen. Vor dem Servieren zeitig herausnehmen und angetaut auf einen Teller stürzen. Mit filetierten Orangenschnitzen und Pinienkernen garnieren.