Human Resources
Gamer trainieren gefragte Fähigkeiten – das merken nun auch Personalberater

Die von Computerspielen trainierten Fähigkeiten können auch im beruflichen Alltag eingesetzt werden – vorausgesetzt, man erkennt sie.

Marc Bodmer *
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Da darf man zugreifen: Das Spielen von ­Action-Games fördert kognitive Fähigkeiten.

Da darf man zugreifen: Das Spielen von ­Action-Games fördert kognitive Fähigkeiten.

Bild: Florian Gagnepain/Unsplash

Stellen Sie sich vor, Sie müssten aus zwei finalen Kandidaten auswählen, die sich für eine Führungsposition beworben haben. Wen würden Sie einstellen? Den jungen Mann, der in seiner Freizeit eine Gruppe Pfadfinder leitet, oder den Captain eines Teams in einem Tactical-Shooter-Computergame?

Mit solchen Fragen müssen sich die Personalverantwortlichen eher selten auseinandersetzen. Nach wie vor ist die Stigmatisierung von Gamern in unserer Gesellschaft gross, und kaum ein Jugendlicher wird es wagen, Gamen als Freizeitbeschäftigung oder gar Sport in seinem Lebenslauf aufzuführen.

Das ist schade, denn weltweit spielen 2,6 Milliarden Menschen Videogames − und erlernen so Fähigkeiten, die auch für den Berufsalltag nützlich sein können. Über 90 Prozent der männlichen Schweizer Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren setzen sich regelmässig mit Computerspielen auseinander. Tag für Tag werden Milliarden von Problemen gelöst. Gruppen finden sich spontan zusammen, um virtuelle Abenteuer zu bestehen. Teams trainieren mehrere Stunden pro Tag, um ihre Fertigkeiten im E-Sport zu schärfen und an internationalen Turnieren gegeneinander anzutreten.

Das Gaming-Business hat 2020 – Covid sei Dank – um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt und 180 Milliarden Dollar weltweit umgesetzt. Tendenz weiterhin steigend. Noch nie waren Computerspiele populärer als heute. Es ist also höchste Zeit, sich vertieft und differenziert mit dem digitalen Medium auseinanderzusetzen und dessen Potenzial auszuschöpfen – insbesondere im Rekrutierungsprozess der Arbeitswelt.

Gamen ist lernen

Vor kurzem lancierten die Stellenvermittler der Manpower Group ein Online-Tool, das Gaming-Skills so aufbereiten soll, dass sie in den Lebenslauf einer Bewerbung passen. Die Idee hinter dem «Gaming-Skills-Matcher» weist in die richtige Richtung und ist lobenswert, denn das Potenzial der in Computerspielen erlernten Fähigkeiten ist gross. Leider entpuppt sich das Tool eher als Marketing-Gag, statt als ernst zu nehmende Auseinandersetzung mit dem Leitmedium der Gegenwart.

Was kann man von Games lernen? Zum Beispiel Entscheidungsfähigkeit. «Anders als Bücher oder Filme entstehen Spiele erst in der Interaktion», schreiben Thomas Schutz und Martin Lorber im Buch «Gaming für Studium und Beruf». «Und Interaktion heisst Entscheidungen treffen.» Das geschieht in jedem Game, denn ohne das Zutun des Spielers passiert nichts. Was und dass man etwas tut, setzt jedes Mal eine Entscheidung voraus.

Für die Genfer Neuropsychologin Daphné Bavelier verfügen Computerspiele aus einer wissenschaftlichen Perspektive über grosses Potenzial, das aufgrund der gesellschaftlichen Ablehnung brachliegt.

Daphné BavelierLeiterin des Hirn- und Lern-Labs der Uni Genf

Daphné Bavelier
Leiterin des Hirn- und Lern-Labs der Uni Genf

Die Wissenschafterin hat in mehreren Studien nachgewiesen, dass das Spielen von Action-Games, dazu zählen vornehmlich die berüchtigten Shooter, zu einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten führt.

Eine Eigenheit von Games ist, dass sie laufenden Veränderungen ausgesetzt sind, während beispielsweise beim Sport die Regeln bekannt und festgelegt sind. In Games können sie vom Hersteller jederzeit geändert oder zumindest angepasst werden.

Gemäss Daphné Bavelier ist dies aus neuropsychologischer Sicht und mit Blick auf die Erforschung der Plastizität des Hirns äusserst spannend, weil es sich laufend an die neuen Gegebenheiten anpassen muss. Dieser Umstand ist es auch, der einen Transfer von im Spiel Gelernten erleichtert, im Vergleich zu anderen Lernmedien, die einem starren Muster folgen.

Mit Blick auf die Anforderungen, die die Zukunft bringen wird, hält der amerikanische Bildungswissenschafter Tony Wagner fest, dass nicht länger Wissen als solches zählt, sondern das, was man mit dem Wissen anfängt respektive erreicht. Unter dieser Prämisse hat er die «Seven Survival- Skills» zusammengestellt.

  1. Kritisch denken und Probleme lösen
  2. Zusammenarbeit über Netzwerke hinweg und mit gutem Beispiel vorangehen
  3. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
  4. Initiative und Unternehmungsgeist
  5. Wirkungsvolle mündliche und schriftliche Kommunikation
  6. Zugriff auf Informationen und Analyse der Informationen
  7. Neugierde und Vorstellungskraft

Vergleicht man diese Fähigkeiten mit den Anforderungen, die ein anspruchsvolles Computergame stellt, so ergibt sich eine nahezu komplette Deckung. Wer etwa in einem Tactical Shooter wie «Rainbow Six: Siege» ein Team führt, benötigt eine klare Kommunikation. Oft befinden sich die Gruppenmitglieder nicht im selben Raum und müssen online geführt werden. Entscheidend ist in diesem Fall, dass man mit seinem Talent überzeugt, Motto:

«Liefere, nöd lafere.»

In dieser virtuellen Räuber-und-Poli-Variante verändern sich die Situationen laufend. Sie verlangen Flexibilität, schnelle Anpassungsfähigkeit und Problemlösungsfähigkeiten.

Ausschnitt aus dem Ego-Shooter «Rainbow Six: Siege».

Ausschnitt aus dem Ego-Shooter «Rainbow Six: Siege».

Ubisoft

Wer allerdings heute in seinem Lebenslauf vermerken würde, dass er Captain eines Tactical-Shooter-Teams ist, läuft Gefahr, als potenzieller Amokläufer eingestuft zu werden und nicht als Führungskraft.

Doch schon Games wie das scheinbar simple Kartenspiel «Clash Royale», das auf dem Handy gespielt wird, verlangt in einem kurzen Zeitfenster Flexibilität und Problemlösungsfähigkeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Fähigkeiten in einem spielerischen Rahmen tausendfach und über lange Zeit eingeübt werden. Durchschnittlich spielen Schweizer Knaben gemäss der James-Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften rund 15 Stunden wöchentlich.

Die grösste Herausforderung in Zusammenhang mit den in Games erworbenen Skills ist deren Transfer aus dem Spiel. Für Neuropsychologin Bavelier stehen die Chancen gut, dass gerade die im Spiel erworbenen Fähigkeiten den Transfer bei den Gamern begünstigen. Dank ihrer Flexibilität und Adaptabilität werden sie sich besser an die neuen Rahmenbedingungen – sprich Arbeitsumfeld – anpassen können als jemand, der gerade aus dem Elfenbeinturm der Universität oder einer anderen Bildungsinstitution getreten ist.

* Marc Bodmer schreibt und forscht über Videospiele seit über 20 Jahren. Seine aktuellen Schwerpunkte sind Gamen und Skills sowie Gamesucht.