Gaming
Kann ein Egoshooter den Krieg kritisch darstellen? Call of Duty Modern Warfare versuchts

Mit «Call of Duty: Modern Warfare» will das Studio Infinity Ward den Schrecken des Kriegs zeigen. Das gelingt nur in raren Momenten.

Marc Bodmer
Drucken
Wer das neue Call of Duty spielt, muss stressresistent sein.

Wer das neue Call of Duty spielt, muss stressresistent sein.

CH Media

Ich sitze in einem kleinen Bus voller nervöser Gestalten, die offensichtlich nichts Gutes im Schild führen. Ein Mann mit einem umgeschnallten Sprengstoffgürtel steigt aus und zündet mitten auf einem belebten Platz in London seine Ladung.

Krass! Schreiende Menschen rennen durcheinander, suchen Hilfe und Schutz. Doch die Terroristen schiessen in die verstörte Masse. Die Täter gilt es im Chaos herauszupicken und ihrerseits zu erschiessen – ohne Zivilisten oder Mitstreiter zu treffen.

In den ersten Minuten gibt «Call of Duty: Modern Warfare» den Tarif durch. Beim Spiel handelt es sich um eine Hommage an die «Modern ­Warfare»-Serie, deren zweites Kapitel 2009 für grosse Kontroversen gesorgt hat. Damals wagten die Game-Designer des Studios Infinity Ward etwas nie ­Dagewesenes: Sie schmuggelten eine Szene roher und ungeschönter ­Gewalt in ein ansonsten packendes ­Shooter-­­Game. Als Undercover-Agent musste man bei einem Attentat einer Terroristenbande auf den Wartesaal eines russischen Flughafens teilnehmen.

Dreiminütiger Albtraum

Versuchte man das Massaker der wartenden Passagiere zu verhindern, wurde man selber erschossen und konnte von vorn beginnen. Die Spielemacher zwangen den Gamer in eine ohnmächtige Situation, die dem handlungsorientierten Charakter von Videospielen komplett widersprach. Der Albtraum dauerte drei Minuten und war von einer Perfidie, wie man sie bisher nie in einem Computerspiel angetrof­fen hatte.

«No Russian» nannten die Entwickler die Sequenz und machten klar, dass Gewaltdarstel­lungen jenseits der gängigen Ästhe­tisierung durchaus möglich sind. Die Gamergemeinde reagierte konsterniert ob der Tatsache, fühlte sich verraten, weil hier tatsächlich auf «Wehrlose» geschossen wurde. Sie hatten das ­Gefühl, dass Infinity Ward in die Hände der Game-Gegner spielen würde, die ohnehin die Messer gezückt hatten, um das interaktive Medium zu beschneiden.

Während die «No Russian»-Szene damals neues Territorium erschloss, selbst erfahrene Gamer vor den Kopf stiess und heftige Diskussionen auslöste, wirken die Schockszenen im aktuellen Game berechnet. Im Vergleich zu 2009, wo die berüchtigte Sequenz ihre unangenehme Wirkung auf den Spieler aus der Dauer schöpfte, fallen dieses Mal die beklemmenden Szenen zu kurz aus. Es sind lediglich verstörende Augenblicke in einem technisch brillant umgesetzten Shooter.

Zudem führt einem das Game vor Augen, dass eben doch alles nur ein Spiel ist. Wer etwa im unübersichtlichen Kriegsgetümmel versehentlich Zivilisten, Geiseln oder Mitkämpfer erschiesst, wird an den letzten Speicherpunkt zurückversetzt.

Es wird «sauber» gemeuchelt

Dass solches Fehlverhalten geahndet wird, ist völlig in Ordnung. Aber zum einen fällt die Strafe zeitlich gesehen sehr bescheiden aus, so dass ich nach dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip ­weiter fortfahren kann, statt mir mehr Mühe zu geben. Weiter fällt auf, dass «sauber» gemeuchelt wird. Die Gegner sacken lautlos in sich zusammen, selbst wenn man sie nur anschiesst.

Dennoch baut die Einzelspielerkampagne des neuen «Call of Duty: Modern Warfare» einen Entscheidungsdruck und auch Stress auf den Spielenden auf wie kaum ein Game zuvor.

Wenn in Sekundenbruchteilen entschieden werden muss, ob die flehende Frau, die vor einem steht, ihr Baby retten will oder nach dem Zünder einer Bombe greift, vermag einen sehr flüchtigen Moment lang die Situation zu illustrieren, in der sich Soldaten an heutigen Fronten wiederfinden. Doch die Augenblicke sind zu oberflächlich und zu rar, um aus «Modern Warfare» mehr zu machen als eine bombastische Schiessbude.

Tipp

Call of Duty: Modern Warfare
für Windows, Xbox One und PS4
80 Franken