Die Welt ist aktuell kein schöner Ort, die Nachrichten voller schlimmer Meldungen. Trotzdem - oder jetzt erst recht wagt unsere Autorin Simone Meier einen Ablenkungsversuch und beschäftigt sich mit etwas positivem: Komplimenten.
Diese Kolumne ist eine Übung in impressionistischer Unschuld. Sie hat den Zweck, Sie, liebe Leserinnen und Leser, für wenige Momente aus der verschatteten Realität herauszureissen. Ich gebe zu, es fällt mir schwer, die Welt ist ein niederschmetternder Ort und ich möchte in diesen Tagen oft einfach nur losweinen, aber das nützt nun wirklich nichts.
Erlauben Sie mir also einen Ablenkungsversuch. Nur für die drei Minuten, die Sie zum Lesen dieser Kolumne brauchen. Regelmässig passiert mir nämlich dies: Ich begegne einer wildfremden Person auf der Strasse und denke, wow, die riecht aber gut! Nach grünen Äpfeln, frischer Wäsche und der ersten Liebe zum Beispiel. Oder die Farbe eines Kleides erinnert mich an die Sehnsucht, die man beim Anblick eines Sonnenuntergangs verspürt. Und kaum habe ich es zu Ende gedacht, ist die Person auch schon an mir vorbeigegangen und wird nie wissen, welchen Eindruck sie bei mir hinterlassen hat. Dass ihr Duft oder die Farbe ihres Kleides aus der Flut an Reizen, die ein Tag mit sich bringt, wie solitäre kleine Kostbarkeiten herausstechen.
Jedes Mal nehme ich mir vor, ein Kompliment zu machen, und immer verpasse ich den richtigen Moment. Dabei freue ich mich selbst riesig darüber. Ich werde den Sommermorgen nie vergessen, an dem ich ein Kleid trug, das mir eine Freundin genäht hatte, es war aus blauem Jeansstoff mit aufgestickten Blüten. Ich ging durch die Zürcher Bahnhofshalle, Nikki de Saint Phalles blauer Engel rekelte sich im einfallenden Sonnenlicht, eine Frau blieb stehen und sagte: «Ich muss Ihnen das jetzt einfach sagen, dieses Kleid steht Ihnen wahnsinnig gut.» Ich fühlte mich wie eine Ballerina, der gerade die vollendetste Arabesque ihres Lebens gelingt.
Einmal schaffte ich die Sache mit dem Kompliment. Es war eiskalt, ein Winterabend, die Sonne senkte sich orange in den Zürichsee und hinterliess einen lila Himmel, der bald tintenblau, dann schwarz wurde. Ich spazierte mit einem Freund durch eine Parklandschaft, die im Sommer ein Seebad ist, ein paar Schneeflecken lagen wie Wolken auf dem hellblauen Grund eines leeren Kinderbeckens. Wir betraten eine Tankstellenbar, am Tresen sass eine alte Dame, schlank, gerader Rücken, ebenmässiges Profil, blondes, leicht toupiertes Haar. Ein Herr setzte sich zu ihr, sie tranken Wein, er ging, sie blieb sitzen. Ich zögerte kurz, dann wandte ich mich ihr zu und sagte: «Pardon, das hören Sie gewiss oft, aber Sie gleichen ganz beneidenswert der jungen Catherine Deneuve.» Ihr ganzer Körper brach in ein Strahlen aus, sie begann zu leuchten, ihr Rücken wurde noch etwas gerader und ihr Gesicht um Jahre jünger. «Danke», lachte sie, «so was Schönes hat mir schon lang niemand mehr gesagt.» Ihre Freude war ganz meine.
Diese Kleinigkeit wollte ich Ihnen heute mit auf den Weg geben. Versuchen Sie es mal. Geben Sie denen, die Sie entzücken, etwas davon zurück. Es ist für beide Seiten eine Wohltat.