Als fünfköpfige Familie sind Ferien nicht immer einfach: Wir brauchen Platz. Doch in der Jugendherberge von Scuol sind wir kein Sonderfall, der Ort zuhinterst im Engadin hat sich auf Familien ausgerichtet. «60 Prozent der Logiernächte machen Familien aus», sagt Stefanie Daub, die das Haus mit ihrem Mann seit fünf Jahren führt. Während der Hochsaison im Winter ist die Herberge mit ihren 164 Betten ausgebucht. Nicht ohne Grund: Die Bergbahn zum Skigebiet Motta Naluns ist zu Fuss in zwei Minuten erreichbar. Dazu locken Schlitteln, Airboarden, Eislaufen – oder ein Hallen- und ein Thermalbad.
Jugendherberge Scuol
Sie wurde 2007 an der Stelle des ehemaligen Viehmarkts in Scuol eröffnet, gleich neben dem Bahnhof und der Talstation der Bergbahn Motta Naluns.
© Ralph Feiner
Jugendherberge Scuol
Impressionen aus der Jugendherberge Scuol: Die Reception mit Bar.
© SJH
Im Sommer reisen mehr Kurzaufenthalter hierher: Biker und Wanderer und Familien wie wir. In unserem geräumigen Familienzimmer im zweiten Stock stehen fünf Betten, die wir selber beziehen. Es hat auch Platz für ein Sofa, ohne dass ein beengendes Gefühl aufkommt. Besonders gefällt uns das riesige Fenster mit Blick auf die Berge. In einer Jugendherberge hätten wir das nicht erwartet.
Sie wurde anstelle eines einstigen Viehmarkts gebaut und vor zehn Jahren eröffnet. Das Minergie-Gebäude besticht architektonisch durch seine Einfachheit. Die Kombination von Lärchen- und Arvenholz sowie Sichtbeton strahlt Ruhe und Wärme aus. Das passt zur unkomplizierten Atmosphäre. Neben dem Eingangsbereich mit Bar lädt eine Lounge samt Cheminée zum Verweilen ein.
Scuol im Engadin
Familienzimmer sind in der Jugendherberge gefragt, die typische Übernachtungsmöglichkeit im 6er-Zimmer (für 36 Franken, Frühstück inklusive) erfreut sich nichtsdestotrotz einer ungebrochenen Nachfrage. Die Küche setzt auf Produkte einheimischer Bauern. Auf der Menükarte stehen Bündner Gerichte, bei unserem Wochenendbesuch kommen wir in den Genuss von Pizokel und Gerstensuppe.
Bis vor rund 100 Jahren lockten Bäderkuren und Mineralquellen Wohlhabende in den Unterengadiner Ort. Die Gäste tranken literweise Mineralwasser, etwa in der heute historischen Büvetta Tarasp, und gingen in eines der Bäder. Mehr als 20 Mineralquellen entspringen in der näheren Umgebung. «Die Quellen sind unser Pluspunkt», sagt Niculin Meyer, der uns durch sein Heimatdorf führt. Er ist stellvertretender Direktor bei Tourismus Engadin Scuol.
Besondere Lage
Die reformierte Kirche von Scuol befindet sich an exponierter Lage über dem Inn, direkt an einem Felsabhang.
© Philipp Zimmermann
Meyer bringt uns zum Dorfplatz, der seinen traditionellen Charakter bewahrt hat: In der Mitte ein Dorfbrunnen, um ihn herum Engadinerhäuschen angeordnet, mit den tiefen Fensterfluchten und dicken, mit Sgraffiti verzierten Steinmauern, wie wir das aus der Geschichte des Schellen-Ursli kennen.
In diesen und weiteren Brunnen im Dorf plätschert nicht etwa ordinäres Leitungs-, sondern hoch konzentriertes Mineralwasser. Es beinhaltet 20 Mal so viele Mineralien wie die Flaschen, die in die Läden zum Verkauf gelangen. Das kostbare Nass ist hier im Überfluss vorhanden. «Wir spülen sogar unsere WCs mit Mineralwasser», sagt Meyer. Wer das Wasser vom Brunnen abfüllt, blickt in eine trübe Flasche. Es dauert einige Sekunden, bis sich die Mineralien gesetzt haben. «Kaum ein Konsument würde das Wasser so kaufen.»
Hier ist man an der Quelle: Aus den Dorfbrunnen in Scuol sprudelt hoch konzentriertes Mineralwasser.
© Andrea Badrutt, Chur
Der Nationalpark lockt
Tagsüber macht die Herberge einen leeren Eindruck. «Unsere Gäste sind dann unterwegs», erzählt Daub. Frühmorgens machen sich Gruppen von Radsportlern auf den Weg. Aber nicht nur. Hoch im Kurs bei den Gästen stehen auch Wanderungen mit naturkundlichen Führungen zum Schweizer Nationalpark, dessen Wanderwegnetz 80 Kilometer lang ist. Und so marschieren auch wir nach einer kurzen Postautofahrt durchs Val Tavrü, oberhalb von S-charl, das einst auch zum Nationalpark gehörte, ehe es die Bauern für die Landwirtschaft zurückerhielten.
Wandern beim Nationalpark Zernez
Familien wandern durch das Val Tavrü beim Nationalpark Zernez, das in der Nähe von Scuol liegt.
© Philipp Zimmermann
Wir sind noch nicht lange unterwegs, als auf der anderen Bachseite zwei Hirsche aus dem Gebüsch springen. «Von der Grösse des Geweihs her sind das zwei kapitale männliche Hirsche», erklärt Martin Schmutz, unser Exkursionsleiter vom Nationalpark, der selbst überrascht ist. Die Hirsche rennen den Hang hinauf. Unsere Kinder schauen ihnen mit grossen Augen nach. Für unsere jüngste, siebenjährige Tochter sind es die spannendsten Momente auf der Wanderung, wie sie später sagt. Gleich danach kommen die Murmeltiere, die uns ebenso neugierig anzugaffen scheinen wie wir sie.
Hirsche im Val Foraz
Mit blossen Auge kaum zu erkennen, wohl aber beim Blick durch das Fernglas: Hirsche im Val Foraz, kurz nachdem sie über ein Schneefeld gelaufen sind.
© Regula Zimmermann
Zwei Stunden später stehen wir auf der Krete beim Mot Tavrü und blicken hinab ins Val Foraz, das zum Nationalpark gehört. «Nur Forschern wird der Zutritt erlaubt – und auch nur mit Genehmigung», erklärt Schmutz. Bald zeigt er in die Ferne auf klitzekleine Punkte, die sich auf einem Schneefeld bewegen. Es sind Hirsche. Dank dem Blick durch sein Fernrohr können wir sie erkennen.
Rasante Fahrt mit Trottinetts
Am späten Nachmittag besuchen wir die Bio-Metzgerei von Ludwig Hatecke, der sich weitherum einen Namen gemacht hat. Er bietet uns einen Ausflug in sein «alpines Trockenfleisch-Handwerk» und lässt uns sein Bündner- und Hirschtrockenfleisch sowie Salsiz in dünnen Scheibchen mit Rotwein degustieren.
In der Bio-Metzgerei von Ludwig Hatecke helfen die Kinder beim Wursten.
© Philipp Zimmermann
«Man muss Respekt haben vor den Tieren – und ihrem Fleisch», sagt der Bündner mit norddeutschem Namen. Sein Ururgrossvater wanderte einst von Hamburg nach Scuol aus. Sein Grossvater eröffnete hier eine Metzgerei. Heute führt Hatecke auch Läden in St. Moritz und Zernez – und neuerdings in Zürich. Unsere Kinder dürfen seine Wurstmischung in die Pelle drücken und beim Abbinden der Enden helfen. Einige Wochen reifen die Würste in Hateckes Felsenkeller, ehe er die Salsizetti-Pakete den Kindern nach Hause schickt.
Am nächsten Morgen fahren wir mit der Gondelbahn zur Bergstation Motta Naluns, wo wir mit Trottinetts und Helmen ausgestattet werden. Anfangs pilotieren wir vorsichtig über die kurvigen Naturstrassen, testen Bremsen und die beste Fussposition. Fast eine Stunde sind wir unterwegs – viel länger als erwartet. Die Kinder haben ihre iPods keine Sekunde vermisst und strahlen, als wir in der Talstation eintreffen.
Von der Bergstation Motta Naluns geht es mit dem Trottinett flott zur Talstation.
© Philipp Zimmermann
Zum Ausklingen kommt der Besuch im Thermalbad gerade recht. Es bietet sechs Becken, eine grosse Landschaft aus Sauna und Dampfbad – und ein Römisch-Irisches Bad (Nacktbereich). Das lassen wir links liegen. Viel eindrücklicher finden wir
im Aussenbecken den Blick auf die Alpenkulisse.
Im Thermalbad Motta Naluns lässt sich auch das Alpenpanorama geniessen.
© Andrea Badrutt, Chur