Smartphone und Kinder: «Gezielte Überwachung kann kontraproduktiv sein»

Das Smartphone ist zu einem der grössten Konfliktherde in Familien geworden. Wie sollen sich Eltern verhalten? Am wichtigsten sei, stets im Dialog mit den Kindern zu bleiben, sagt Expertin Ingrid Stapf.

Robert Knobel
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Ingrid Stapf, Medienethikerin an der Fachhochschule Potsdam und der Uni Erlangen.

Ingrid Stapf, Medienethikerin an der Fachhochschule Potsdam und der Uni Erlangen.

Ab welchem Alter darf man dem Kind mit gutem Gewissen ein Smartphone geben?

Ingrid Stapf: Im Durchschnitt haben Kinder heute mit 9 oder 10 Jahren das erste Smartphone. Sie erhalten damit Zugang in die globale Welt, mit all den problematischen Inhalten. So liegt ein Enthauptungsvideo nur einen Klick entfernt von einem Tutorial für die Physikhausaufgaben. Wichtig ist, gemeinsame Regeln aufzustellen. So wie ich mein Kind nicht sofort mit dem Fahrrad in den Strassenverkehr loslasse, kommt es auch bei digitalen Medien darauf an, sie schrittweise zu begleiten, Erfahrungen gemeinsam zu besprechen und ihnen vorzuleben, was wir von ihnen wünschen. Was das Alter angeht, so würde ich das von den Fähigkeiten des Kindes und der familiären Situation abhängig machen.

Viele Eltern überwachen das Handy ihrer Kinder. Das ist bei Jüngeren ja auch sinnvoll. Doch ab wann hat man Anrecht auf Privatsphäre?

Kinder haben immer ein Recht auf Privatsphäre. Und oft sind es die eigenen Eltern, die dieses verletzen. Das wird virulent, wenn beispielsweise Eltern ihren eigenen Kindern das Posten von Fotos verbieten, selbst aber peinliche Fotos ihrer Kinder posten. Aber natürlich haben Eltern die Pflicht sicherzustellen, dass Kinder sich nicht in Gefahren begeben oder strafrelevante Inhalte weiterverbreiten. Überwachung und Inhalt-Filter können dabei helfen. Aber aus meiner Sicht ist der Dialog wichtiger. So können sie sich, wenn etwas schiefläuft, auch vertrauensvoll an die Eltern wenden. Eine gezielte Überwachung kann hier kontraproduktiv sein.

Erwachsene denken viel darüber nach, was Kinder sehen dürfen und was nicht. Sie plädieren aber dafür, die Perspektive auch mal umzukehren. Welche Bedürfnisse haben Kinder im Internet?

Die Interessen sind so vielfältig wie Kinder selbst. Sie sind abhängig von ihrer Persönlichkeit, ihrem Alter, dem Freundeskreis, ihrem Geschlecht und kulturellen Milieus. Kinder lieben YouTube nicht als Seite selbst, sondern weil sie das finden können, was sie suchen. Darüber hinaus gibt es tolle, gut gemachte Angebote für Kinder über Apps oder Kinderseiten, etwa «Seitenstark.de». Wichtig ist es aber vor allem, Kinder zu fragen, was sie beispielsweise an einem bestimmten Computerspiel interessiert, was sie suchen, was ihnen Freude macht. Oder einfach mal mitzuspielen.

Whatsapp darf erst ab 16 Jahren genutzt werden. Doch kaum jemand hält sich daran. Genügen die heutigen Gesetze, um die Kinder vor den Gefahren zu schützen?

Ganz viele Kinder nutzen Dienste, die nicht den Altersvorgaben entsprechen. So gibt es in manchen Schulen Whats-App-Chats für die Hausaufgaben. Chats können sich auch für die Familienkommunikation eignen. Es gibt aber sicher noch Raum für innovative Angebote, die sicherer sind und den Datenschutz besser einhalten als die «Global Players». Tipps gibt es auf www.klicksafe.de. Insgesamt sollte die Regulierung klarer, transparenter und global anschlussfähiger werden. Der Staat muss die Anbieter stärker in die Verantwortung nehmen.

Vielen Eltern macht der Gruppendruck zu schaffen: «Alle in meiner Klasse dürfen, nur ich nicht ...», heisst es etwa. Soll man dem Druck standhalten – auf die Gefahr hin, sozial isoliert zu werden?

Man sollte seine Kinder immer bei solchen Herausforderungen stärken. Das Kind sollte lernen, dass die Eltern hinter ihm stehen und dass es manchmal auch okay ist, nicht dazuzugehören, wenn man von etwas nicht überzeugt ist. Andererseits gibt es gute Gründe, die Geräte oder Dienste trotzdem zu nutzen – solange man das verantwortungsvoll tut.

Eltern beklagen sich bisweilen, ihre Kinder seien süchtig nach dem Smartphone. Woran erkennt man Sucht?

Eine Studie von 2018 zeigt, dass junge Menschen digitale Medien für Fluch und Segen gleichzeitig halten. 41 Prozent macht die Vorstellung, fast alles über das Internet erledigen zu müssen, Angst. Richtige Sucht ist eher eine Ausnahme und oft verlagern sich bestehende Störungen auf die Nutzung digitaler Medien. Wenn das Alltagsleben komplett beeinträchtigt und der Leidensdruck zu hoch wird, sollte man sich therapeutische Hilfe holen.

Ingrid Stapf lehrt Medienethik an der Uni Erlangen und der Fachhochschule Potsdam. Das Thema Jugendschutz und digitale Medien gehört zu ihren Schwerpunkten. Ingrid Stapf wird am Menschenrechtsforum der PH Luzern am 17. Mai auftreten.

Mehr Informationen zum Menschenrechtsforum der PH Luzern hier.
Website von Ingrid Stapf: www.ingridstapf.com