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Postfinance hat das erste professionelle Schweizer Esports-Team lanciert. Der Dietiker Dennis Berg pendelt jeden Tag nach Bern, um für die europäische Spitze zu trainieren.
Der Alltag eines Profisportlers ist kein Zuckerschlecken: Jeder Arbeitstag beginnt mit Meditationsübungen, gefolgt von knapp zwei Stunden Kraft- und Fitnesstraining und anschliessendem mentalem Coaching. Zum Mittagessen wird nur ausgewogene und gesunde Kost aufgetischt und der professionelle Berater achtet darauf, dass Süsses und Fettiges fern bleiben. Nachmittags steht dann intensives und fokussiertes Training auf dem Plan – zuerst alleine, dann im Fünfer-Team. Dazwischen sitzen die fünf Mitspieler mit ihrem Coach am grossen Fernseher zusammen, um Leistung und Taktik zu analysieren. Regelmässig trainieren die Spieler auch nach dem Abendessen noch weiter und machen sich erst spät auf den Heimweg.
Das Besondere an diesem Tagesplan: Das spielerische Training findet nicht draussen oder in der Turnhalle statt, sondern vor dem Computer. Denn im Berner PostParc direkt über dem Bahnhof werden seit Jahresbeginn in einem beispiellosen Esports-Projekt fünf «League of Legends»-Spieler (siehe Zweittext unten) ein Jahr lang in professionellem Umfeld an die europäische Spitze herangeführt. Dafür gründete Postfinance gleich selbst ein eigenes Esports-Team: «PostFinance Helix». Mit dabei ist auch Dennis «Koala» Berg, der jeden Morgen von Dietikon in die Hauptstadt pendelt.
Seit knapp vier Jahren wohnt der im Fricktal aufgewachsene Berg im Bezirkshauptort. Nur wenige Kilometer entfernt kam er als kleiner Knopf erstmals mit Computerspielen in Berührung. Bei seinen Grosseltern in Geroldswil malte er auf dem Bildschirm Baumaschinen aus. Mit sieben Jahren landete dann die erste Playstation im Haus und seine Begeisterung fürs Gamen zog an. Dass Berg sich auf «League of Legends» spezialisiert hat, ist kein Zufall: Schon in der Jugend liebte er Strategiespiele und zockte am liebsten «Warcraft 3». Ende 2010 entdeckte er dank der Empfehlung eines Freundes das im Herbst 2009 erschienene «League of Legends» für sich und blieb diesem trotz kleineren Pausen zwischendurch bis heute treu. Ihn fasziniert dabei besonders das Zusammenspiel von Einzelfähigkeiten – wie strategischem Denken, Fingerspitzengefühl und Präzision – und Teamarbeit.
Unter Esports versteht man den sportlichen Wettkampf zwischen Menschen mithilfe von Computerspielen. Inzwischen ist die Branche laut Schätzungen 1,5 Milliarden Dollar wert. Die besten Spieler können Millionen verdienen und füllen Arenen in der ganzen Welt. 2017 wurden alleine 112 Millionen Dollar Preisgelder mit Esports ausgeschüttet. Das im Oktober 2009 erschienene Strategiespiel «League of Legends» gehört bis heute zu den erfolgreichsten Esports-Titeln. Zwei Fünferteams, in denen alle Spieler jeweils einen digitalen Avatar steuern, treten gegeneinander an mit dem Ziel, die Basis des Gegners zu zerstören.
Seit 2011 wird jährlich zum Ende des Jahres eine Weltmeisterschaft ausgetragen. 2018 verfolgten 99,6 Millionen Zuschauer das WM-Finale – ein Rekord. Im Jahr zuvor pilgerten für 45 000 Fans ins Olympiastadion von Peking. Die weltweit besten Spieler verdienen alleine mit Preisgeldern jährlich rund eine Millionen Franken. Auch in der Schweiz ist «League of Legends» auf dem Vormarsch. So startete die Swisscom kürzlich ihre eigene Liga.
In der Schweizer «League of Legends»-Szene hat Berg sich als einer der Besten etabliert. Deshalb war er von Anfang an optimistisch, obwohl sich über 800 Aspiranten um einen der fünf Plätze im professionellen Team bewarben. Die Freude über die Zusage sei gross gewesen, auch bei seiner Familie, die er umgehend informierte. In der Jugend durfte er sich von seinen Eltern noch öfter anhören, er game zu viel. Doch mit seinen Fähigkeiten ist auch die Akzeptanz gestiegen: «Seit ich erstmals im Radio war, erhalte ich mehr Anerkennung von meiner Familie.»
Zu seinem Spitznamen Koala kam er über Umwege. Als er vor Jahren immer besser wurde, nervte es ihn zunehmend, wegen seines provokativen Gamernamens aus Jugendzeiten blöd angemacht zu werden. «Deshalb wollte ich einen Namen, den man einfach gern haben muss. Und Koalas sind neben Haifischen meine Lieblingstiere.»
Täglich erscheint Berg nun zusammen mit seinen Kollegen Nikola «Greenfire» Dimovic, Marco «Polo» Buchholz, Mahdi «Pride» Nasserzadeh und Antoine «Vango» Tinguely im eigens für sie eingerichteten Trainingscenter zur Arbeit. Die Stimmung im Team ist gut, auch weil sich die meisten von ihnen schon vorher aus der Szene kannten. Mit Dimovic ist Berg, mit 26 Jahren der Senior der Gruppe, sogar schon seit langem befreundet. «Wir ziehen uns alle die ganze Zeit gegenseitig auf», sagt er. Vor allem aus Spass, aber auch ein wenig, um sich gegenseitig anzuspornen.
Doch wieso trainieren die Computerspieler so viel abseits ihrer Arbeitsgeräte, wenn doch ihre digitalen Avatare die körperliche Arbeit erledigen? «Ein holistisches Trainingskonzept ist sinnvoll», sagt Renato Montañés, der die Esportler als Personal Trainer, Mentalcoach, Koch und Ernährungsberater begleitet. «Das körperliche Training setzt später auch mental an. Wenn man sich nur auf einer Ebene weiterentwickelt, stagniert man irgendwann.» Das Training hat Montañés spezifisch angepasst: Für ihre Arbeit brauchen die Fünf eine top Koordination, schnelle Reaktionen und kräftige Handgelenke. Angesichts der professionellen Strukturen verwundert es nicht, dass im Trainingscenter nur Früchte, Salate und gesunde Snacks wie Nüsse und Trockenfrüchte zu sehen sind. «Schokolade ist hier verboten», sagt Berg und lacht. Mit täglichen Meditationen und dem Erlernen von Atmungstechniken schärfen die Gamer zudem ihren Fokus und lernen, auch in stressigen Situationen Ruhe zu bewahren.
«Wir wollten ein Gaming-Projekt aktiv mitgestalten und nicht nur unseren Namen draufschreiben», sagt Projektleiterin Ladina von Allmen, die bei der Postfinance als Brand Experience Managerin arbeitet. Die Bank hat das Projekt zusammen mit der Esports-Agentur MYI Entertainment aufgezogen. Von Allmen teilt die Leidenschaft und Begeisterung der angehenden Profis, weil sie selbst seit vielen Jahren gerne Computerspiele spielt. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt gewesen, denn Esports sind weltweit auf dem Vormarsch und nehmen auch in der Schweiz immer mehr Fahrt auf.
Mit «PostFinance Helix» wolle die Bank nicht nur aufzeigen, was es braucht, um professioneller Esportler zu werden. Sondern auch zur Diskussion beitragen, wie junge Menschen verantwortungsvoll mit Geld umgehen und wie viel sie für ihren Alltag benötigen, sagt von Allmen. Das begann schon beim Lohn für die Gamer in Ausbildung: Zusätzlich zur umfassenden Unterstützung erhalten sie monatlich 2500 Franken.
Als Trainer haben die Verantwortlichen den Norweger Nicholas «NicoThePico» Korsgård verpflichtet. Für die Stelle habe er mehrere Angebote aus der Weltspitze ausgeschlagen. Er kenne weltweit kein vergleichbares Unterfangen. «Es ist eine grosse Gelegenheit, Esports weiter zu legitimieren und bekannter zu machen», sagt er.
Nach einem Jahr wird Postfinance das Projekt evaluieren und entscheiden, wie es weitergeht. Die ersten Eindrücke sind bei den Beteiligten positiv. «Sie haben auf allen Ebenen schon grosse Fortschritte gemacht», sagt Korsgård. Das zeigen auch die ersten Resultate: Ende Januar qualifizierte sich «PostFinance Helix» für das Finale der «Swisscom Hero League». Montañés ist beeindruckt, wie gut die Fünf sein forderndes Regime angenommen haben, obwohl sie vorher noch nie professionell trainiert haben: «Sie werden jetzt schon lebendiger und kommen mehr aus sich heraus.» Auch Dennis Berg sieht bei allen Teammitgliedern viele Fortschritte und fühlt sich pudelwohl in seiner neuen Rolle: «Ich habe in meinem Leben noch nie so gern gearbeitet und freue mich jeden Morgen darauf. Das können wohl nicht viele sagen.»