Zürich
«Es braucht jetzt einen grossen Wurf»: Kantonsrat liebäugelt mit Solarpflicht für Neubauten

In der ersten Kantonsratssitzung in der umgebauten Bullingerkirche forderte die Klimaallianz eine Änderung des vor kurzem erst revidierten Energiegesetzes – für die Bürgerlichen eine Verzweiflungstat.

Sven Hoti
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Am Montag traf sich der Zürcher Kantonsrat zur ersten Sitzung im provisorischen Rathaus Hard.
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Für den Kantonsrat ist die Bullingerkirche in Zürich Aussersihl für rund 9,2 Millionen Franken zur Politarena umgebaut worden. Verantwortlich zeichnet die Architektin Ursina Fausch.
Kantonsratspräsidentin Esther Guyer (Grüne) und der 2. Vize Jürg Sulser (SVP).
Neu müssen die Kantonsratsmitglieder beim Platz eine Karte einstecken, um die Abstimmungsanlage freizuschalten.
Im Gegensatz zum provisorischen Rathaus in der Messehalle 9 in Oerlikon verfügt nun jedes Kantonsratsmitglied über ein eigenes Mikrofon am Platz.
Aller Anfang ist schwer: Das neue Programm auf den Bildschirmen, das die Traktanden und Namen der Rednerinnen und Redner anzeigt, funktionierte am Montag nur teilweise.
164 von insgesamt 180 Kantonsratsmitgliedern waren am Montag anwesend.
Die Kantonsratsmitglieder fühlen sich dem Vernehmen nach im neuen Rathaus pudelwohl.
Der Kantonsrat wird die nächsten vier Jahre im Rathaus Hard bleiben. So lange dauert die umfassende Sanierung des Zürcher Rathauses an der Limmat.
Am Samstag, 11. März kann die Öffentlichkeit das neue Rathaus von 10 bis 16 Uhr begutachten.

Am Montag traf sich der Zürcher Kantonsrat zur ersten Sitzung im provisorischen Rathaus Hard.

Bild: Andrea Zahler

Keine sechs Monate ist es her, seit das revidierte Energiegesetz des Kantons Zürich in Kraft getreten ist. Das Gesetz verlangt den Ersatz von Gas- und Ölheizungen am Ende ihrer Lebensdauer durch umweltfreundliche Heizungen. Nun kommt die Klimaallianz im Kantonsrat bestehend aus AL, SP, Grüne, GLP und EVP mit der nächsten Forderung: einer Solarpflicht für Neubauten. Eine entsprechende Parlamentarische Initiative (PI) unterstützte der Kantonsrat am Montag im neu bezogenen Rathaus Hard in Aussersihl mit 81 Stimmen vorläufig. Nötig sind dafür 60 Stimmen.

Bei Neubauten sollen Dach- und Fassadenflächen «grundsätzlich» zur Solarstrom- oder Solarwärmeerzeugung genutzt werden, heisst es in der PI. Gleiches gilt für neue, ungedeckte Parkplätze. Bestehende Bauten in Industrie- und Gewerbezonen sowie in Zonen öffentlicher Bauten «mit geeigneten Dachflächen» und bestehende Parkanlagen sollen bis 2035 nachgerüstet werden. Bestehende Bauten in den übrigen Bauzonen «mit geeigneten Dachflächen» sollen ab einer festgelegten Grösse der Dachfläche «bei grösseren Umbauten» nachgerüstet werden.

Klimaallianz schielt auf Mehrfamilienhäuser

Bei der Nachrüstung von Wohnbauten schielt die Klimaallianz gemäss eigenen Aussagen vor allem auf grössere Mehrfamilienhäuser, «selbstverständlich nicht» auf kleine Einfamilienhäuser, hiess es im Kantonsrat. Der Kanton soll die Liegenschaftsbesitzerinnen und -besitzer bei der Nachrüstung unterstützen – wie, lässt die PI offen.

Die obenstehenden Forderungen sollen Paragraf 10c des revidierten Energiegesetzes ersetzen. Dieser ist wesentlich liberaler ausgestaltet. Darin heisst es unter anderem: «Bei Neubauten wird ein Teil der benötigten Elektrizität selbst erzeugt. Dies kann mit einer Anlage auf dem Grundstück oder in einem Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (...) erfolgen.» Der Katalog der Klimaallianz geht nun deutlich weiter und umfasst nicht mehr nur Dach-, sondern eben auch Fassadenflächen als potenzielle Orte für Photovoltaikanlagen.

Installation einer Photovoltaikanlage auf einem Dach in Rheinau im Bezirk Andelfingen.

Installation einer Photovoltaikanlage auf einem Dach in Rheinau im Bezirk Andelfingen.

Bild: Christian Beutler/Keystone

«Es braucht jetzt einen grossen Wurf», sagte der Erstunterzeichner der PI, Nicola Siegrist (SP/Zürich). Der Bund gehe bis 2050 von 40 Terawattstunden (TWh) Strom aus, die neu durch erneuerbare Energien gedeckt werden müssen: 20 TWh aufgrund des höheren Stromkonsums und 20 TWh wegen des Wegfalls der Atomkraftwerke. Für Siegrist ist klar: «Es ist die Sonnenenergie, die den zusätzlichen Strom zur Verfügung stellen wird.»

Wasserkraft «im Wesentlichen ausgeschöpft»

Die Wasserkraft sei im Wesentlichen ausgeschöpft, selbst wenn sie auf Kosten des Naturschutzes vollumfänglich ausgebaut würde. Und die Forderungen nach mehr Atomkraftwerken seien Nebelpetarden, so Siegrist. Durch den Ausbau der Photovoltaik könnten bis zu 45 TWh Strom gedeckt werden, ergänzte David Galeuchet (Grüne/Bülach), der auch Vizepräsident des Verbands Swissolar ist. Dafür reiche es, zwei von drei Dächern mit Anlagen auszurüsten. Wichtig sei aber auch, genügend Fachpersonen für diese Arbeiten auszubilden.

Die Mehrheit der Stimmbevölkerung hätte bei der Abstimmung über das Energiegesetz ausgedrückt, dass der Ausbau umweltfreundlicher, einheimischer Energieträger höchste Priorität habe, sagte Daniel Sommer (EVP/Affoltern am Albis). Nun gelte es, den Ausbau entschiedener voranzutreiben. «Antiautoritäre Energiepolitik hat ebenso Grenzen wie antiautoritäre Erziehung», begründete Sommer den Zwang. Der Ausbau der Photovoltaik werde für einen wirtschaftlichen Schub sorgen, «von dem eine Schweizer Grossbank nur träumen kann».

SVP sieht Energieversorger in der Pflicht

Die Opposition aus Mitte, FDP, EDU und SVP hingegen konnte mit dem Zwang wenig anfangen. «Man merkt, wie die Klimaallianz verzweifelt versucht, die Stromlücke zu schliessen», sagte etwa Christian Lucek (SVP/Dänikon). Grundsätzlich sei man zwar mit der PI einig, doch seien Photovoltaikanlagen bei Neubauten bereits Standard. Bei Bestandesbauten hingegen sei eine Nachrüstung für Investoren und Bauherren wirtschaftlich uninteressant. «Hier sehen wir vor allem die Energieversorger in der Pflicht», erklärte Lucek.

Die FDP befürwortete zwar Photovoltaikanlagen auf öffentlichen Bauten. Ein Nachrüstungszwang für jeden Hausbesitzer aber sei ein zu grosser Eingriff, sagte Sonja Rueff-Frenkel (FDP/Zürich). Sie sprach von «massiven finanziellen Konsequenzen». Die Mitte sprach sich dafür aus, zuerst einmal das revidierte Energiegesetz greifen zu lassen, ehe neue Vorschläge behandelt werden. «Man soll die Wirtschaft spielen lassen», sagte Yvonne Bürgin aus Rüti.

Mehr Tempo beim Klimaschutz wollten die einen, mehr wirtschaftliche Freiheit die anderen. Am Ende kam es wie erwartet: Die Klimaallianz aus AL, SP, Grünen, GLP und EVP sprach sich für die PI aus, die Bürgerlichen dagegen. Die PI geht nun zur Detailberatung in die zuständige Kommission. Erst danach entscheidet der Kantonsrat über die definitive Überweisung an den Regierungsrat.

SVP und EDU kritisieren Stadtzürcher Polizeivorsteherin

Nach der unbewilligten Demo von Samstag in der Stadt Zürich kritisierten SVP und EDU in einer gemeinsamen Fraktionserklärung die Stadtzürcher Polizeivorsteherin Karin Rykart (Grüne) scharf. Es zeuge von «unseriöser, ungetreuer und am Ende gar inkompetenter Geschäftsführung, wenn bei einer unbewilligten Demo ganz bewusst Schäden an Personen und Eigentum in Kauf genommen werden». 

Die Führung der Stadtpolizei Zürich sei einmal mehr von einer angekündigten, unbewilligten Demonstration überrascht worden und nicht in der Lage gewesen, sie in den Anfängen zu stoppen, verlas Romaine Rogenmooser (SVP/Bülach). «Die willentliche Gefährdung von Leib und Leben von Bewohnerinnen und Bewohnern durch die Unterlassung und das wenig konsequente Eingreifen sind inakzeptabel und müssen Konsequenzen haben.»

Nun brauche es eine noch stärkere Unterstützung der Kantonspolizei, so Rogenmooser. Auch drängte die SVP-/EDU-Fraktion auf eine rasche Behandlung der von der Jungen SVP eingereichten Anti-Chaoten-Initiative. Die Initiative verlangt, dass die Veranstalterinnen und Veranstalter von Demonstrationen für die dabei entstandenen Schäden und Polizeieinsätze aufkommen. 

Nach der Räumung des Koch-Areals am Donnerstag hatten linksautonome Kreise für den Samstag zu einer Demo gegen die Wohnungsnot aufgerufen. Bei der Demo in den Kreisen 3 und 4 war es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und Sachbeschädigungen gekommen. Demonstrierende hatten unter anderem Scheiben eingeschlagen und Gebäude besprayt. Die Stadtpolizei war gemäss eigenen Aussagen vom Gewaltpotenzial der Demonstrierenden überrascht worden. (sho)