Debatte
Poesie im Bundeshaus: Was reimt sich auf Sommaruga?

Parlamentarische Poeten sollen die Politik des deutschen Bundestags besser verdaulich machen. Wie klänge das in der Schweiz?

Anna Raymann
Anna Raymann
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Dichterin Amanda Gorman stahl Joe Biden an seiner Amtseinführung die Show.

Dichterin Amanda Gorman stahl Joe Biden an seiner Amtseinführung die Show.

Erin Schaff / AP

Poetik und Politik stehen in der Bibliothek unter A wie Aristoteles zwar höchstwahrscheinlich nebeneinander. Ansonsten finden sie heute offenbar eher selten zusammen. Im Herbst, als Kinderreporter im Fernsehen Politiker entlarvten, fragte der 13-jährige Alexander Tino Chrupalla nach seinem Lieblingsgedicht – dem AfD-Spitzenkandidaten, der für mehr Unterricht von «deutschem Kulturgut» weibelte, fiel leider keines ein.

Der Logo-Kinderreporter Alexander interviewt den AfD-Spitzenkandidaten Tino Chrupalla.

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Und das ausgerechnet im Land der Dichter und Denker! Eine Peinlichkeit, der nun Mithu Sanyal, Dmitrij Kapitelman und Simone Buchholz erzieherische Massnahmen entgegenhalten. Die drei Autoren riefen diese Woche in einem Gastbeitrag in der «Süddeutschen Zeitung» dazu auf, Deutschland möge eine «parlamentarische Dichterin» ernennen.

Mit einem eigenen Büro im Bundestag würde diese staatliche Poetin «parlamentarische Diskurse, politische Debatten und Strömungen in Poesie oder Prosa giessen». Politik sei «mehr als Pamphlet und Regierungserklärung». Lyrikerinnen und Literaten, vielleicht auch Musiker mögen dröge Polit-Floskeln in eine Form bringen, die Menschen – Wählerinnen und Wähler – erreicht, weil sie berührt.

Jobausschreibung: Dichter ins Bundeshaus

Ein Staatsdichter? Was auf Anhieb skurril klingt, gibt es in Kanada zum Beispiel längst. Und in der Schweiz?

Man stelle sich vor: Wie Patti Basler in «Arena»-geprüfter Scharfzüngigkeit am Ende eines Sessionstages ihre Notizen bündelt und die Schlagwörter ver-dichtet. Im Bundeshaus kennt sie sich bestens aus, so manchem Politiker wird sie schon über den Mund gefahren sein. Wie die drei Autoren in ihrem Aufruf schreiben, dürfe eine Parlamentsdichterin auch ein frecher «Störfaktor» sein. Das – so viel ist sicher – wäre Basler ein Leichtes.

Franzhohler erzählt, wie die Welt untergeht.

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Oder wie Franz Hohler nach einer Ratsdebatte sein Cello auspackt und den Bogen spannt. Das Politische Treiben hat er ausführlich beobachtet und gern kommentiert. Routiniert sänge er «s’Usschaffigslied», wenn es um den Schutz der Aussengrenzen, und das Lied vom «Weltuntergang», wenn es um Klimapakete geht.

Liebeslieder an den Bundesrat

Etwas wilder darf es dann doch sein? Auch lieber etwas weniger Pathos als Amanda Gorman zur Amtseinführung Bidens vortrug? Der Mitklatsch-Hit, den die Techno-Volksmusiker von Hertz ihrem Lieblingsbundesrat «Willi Ritschard: (...) Sozialdemokrat, volksnah. Charismatischer Magistrat» schenkten, ist inzwischen vergriffen. Aber vielleicht könnte da Autorin und DJane Jessica Jurassica aushelfen. Wenn sie über die «verbotenste Frucht im Bundeshaus» singt, wird es so manchem Bundesrat mindestens ebenso kalten Schweiss auf die Stirn treiben wie enge Budgetpläne.

Ob eine Parlamentsdichterin die «Politik poetischer und die Poesie politischer» macht, bleibt offen. Genauso wie die Frage, was sich auf Sommaruga reimt.