2020
Rekord ohne Chef: Bundesanwaltschaft reichte so viele Anklagen ein wie nie

Die Bundesanwaltschaft hat letztes Jahr so viele Anklagen eingereicht wie noch nie. Und auch sonst sehen sich Strafverfolger des Bundes auf Kurs. Auch wenn der Chefposten weiterhin nicht besetzt werden kann.

Samuel Thomi
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Hat die Bundesanwaltschaft letzten Sommer auf Druck verlassen: Michael Lauber. Sein Posten ist derzeit zum dritten Mal ausgeschrieben.

Hat die Bundesanwaltschaft letzten Sommer auf Druck verlassen: Michael Lauber. Sein Posten ist derzeit zum dritten Mal ausgeschrieben.

Keystone

Alle Versuche, eine neue Bundesanwältin oder einen neuen Bundesanwalt zu finden, sind bislang bereits in der Gerichtskommission des Parlaments gescheitert. Bevor die Nachfolge von Michael Lauber ein drittes Mal ausgeschrieben wird, soll darum nun das Parlament zuerst entscheiden, ob es die Alterslimite für Bundesanwälte von 65 auf 68 Jahre erhöhen will.

Trotz all dieser Turbulenzen und der seit dem vergangenen Sommer klaffenden Lücke an der Spitze sieht sich die Bundesanwaltschaft (BA) auf Kurs. Wie sie in ihrem am Dienstag veröffentlichten Tätigkeitsbericht schreibt, hat sie 2020 beispielsweise mit 29 Anklagen so viele Verfahren ans Bundesstrafgericht überwiesen wie noch nie. Und auch die Zahl der abgeschlossenen Fälle sei 2020 mit rund 700 Verfügungen sowie rund 270 abgeschlossenen Rechtshilfeverfahren hoch geblieben.

Den Schnitt zum früher omnipräsenten Michael Lauber, den die Behörde seit dem Abgang des ehemaligen Chefs bemüht, verdeutlicht indes eine simple Zahl: Der Name fällt im 45-seitigen Bericht gerade fünf Mal. Drei Mal davon nehmen ihn seine Stellvertreter Ruedi Montanari und Jacques Rayroud als interimistischen Co-Leiter der Bundesanwaltschaft in den Mund.

Lauber-Rücktritt lastet auf Personal

Dass der Prozess um dubiose Geldflüsse vor der Fussball-WM 2006 letztes Jahr vor Gericht scheiterte, «bedauern» Ruedi Montanari und Jacques Rayroud in ihrem Vorwort zwar. «Positiv war hingegen, dass im Februar 2020 in einem weiteren vielbeachteten Verfahren im Zusammenhang mit der Vergabe von Medienrechten Anklage erhoben werden konnte», lässt sich Rayroud in einem Interview im Jahresbericht zitieren. In diesem Verfahren wurde schliesslich ein früherer Fifa-Generalsekretär erstinstanzlich verurteilt. Der prominentere und viel beachtete sogenannte Sommermärchen-Prozess dagegen verjährte.

Im Bericht nehmen die interimistischen Leiter auch Stellung zum Abgang von Michael Lauber. Laut Ruedi Montanari sei die öffentliche Kontroverse um den ehemaligen Bundesanwalt «auch für die Mitarbeitenden belastend» gewesen. Dass letztes Jahr beim Bundesstrafgericht dennoch so viele Anklagen wie noch nie eingereicht werden konnten, wertet Jacques Rayroud dafür als Beweis, dass die Bundesanwaltschaft ihren Auftrag «auch unter den ausserordentlichen Bedingungen des Jahres 2020 erfüllt» habe. Zudem hätten sie für Mitarbeitende nun ein «Offenes Ohr der Co-Leitung» eingeführt. Zuletzt hatte es mehrfach Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen und frustrierte Mitarbeitende in der BA gegeben.

Dritte Ausschreibung nach Parlamentsentscheid

Im August haben die zuständigen Parlamentskommissionen Michael Laubers Immunität aufgehoben. Sie ebneten damit den Weg für das erste Strafverfahren gegen einen amtierenden Bundesanwalt in der Schweiz. Zuvor trat Lauber allerdings von seinem Amt zurück. Der heute 55-Jährige hatte der Behörde seit dem Jahr 2012 vorgestanden.

Die Gerichtskommission des Parlaments hat sich bislang allerdings nicht auf eine mögliche Nachfolgerin oder einen möglichen Nachfolger einigen können. Immer wieder kam es dabei auch zu Indiskretionen aus der Kommission. Eine dritte Ausschreibung des Postens soll erst erfolgen, wenn das Parlament über eine mögliche Anhebung der Alterslimite für Bundesanwälte von 65 auf 68 Jahre entschieden hat.