Herisau
«Kleine Glücksmomente für den Alltag»: Wie Urs Stuker mit der Genusswerkstatt Gutes tut

Für Urs Stuker ist die Genusswerkstatt in Herisau kein klassischer Produktionsbetrieb, sondern eine Herzensangelegenheit. Sein Engagement kommt Menschen zugute, die es nicht einfach haben. Und auch der 58-Jährige hat schon schwierige Zeiten erlebt.

Ruth Bossert
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Verantwortlich für die Genusswerkstatt in Herisau: Urs Stuker und Antonella Cimino Brunner.

Verantwortlich für die Genusswerkstatt in Herisau: Urs Stuker und Antonella Cimino Brunner.

Bild: rbo

Urs Stuker (58) ist ein Genussmensch, Kochen ist seine Leidenschaft und für Menschen, die nicht nur auf der Sonnenseite des Lebens stehen, hat er ein grosses Herz. Deshalb scheinen sein Werdegang und seine Tätigkeit nachvollziehbar, ja fast logisch. Doch ganz so logisch schien es damals, als Urs Stuker in den Siebzigerjahren in Gossau aufwuchs und mit den Eltern am Mittagstisch über Verkaufspolitik und Milchpreise diskutierte, dann doch nicht.

Sein Vater war als Prokurist für den Milchbereich bei der Migros Ostschweiz verantwortlich. Oft verbrachte Urs Stuker seine Ferien auf dem Landwirtschaftsbetrieb seiner Grosseltern im Bernbiet und entschied sich, Landwirt zu lernen. Statt anschliessend wie geplant die Fachhochschule HAFL zu besuchen und Agronom zu werden, nahm er eine Stelle auf dem landwirtschaftlichen Betrieb des Kinderdorfes Pestalozzi in Trogen an. Das multikulturelle und soziale Engagement der Stiftung interessierte ihn und er entschied sich zu einem Studium der Sozialpädagogik. Nach verschiedenen Engagements im Sozialbereich kam er 2007 als Betriebsleiter auf den Hof Baldenwil bei Herisau.

Erfolgreich mit Kräutern

Der Hof Baldenwil wurde im 1984 als Grossfamilie gegründet und wurde später als Urbetrieb von der Stiftung Tosam übernommen. Sozial benachteiligte Menschen lebten und arbeiteten auf dem Milchwirtschaftsbetrieb. Für Urs Stuker eine Herausforderung, an den Nordhängen des 10 Hektaren grossen Betriebes auf 800 Meter Höhe eine Neuausrichtung einzuleiten. Er entschied sich 2011 für den Anbau von Kräutern, Wildfrüchten und Beeren. «Für mich war es eine <Carte blanche> den Betrieb so zu gestalten, dass Beeinträchtigte einerseits eine sinnvolle Arbeit ausüben können, andererseits aber auch Produkte zu produzieren, die sich auf dem Markt verkaufen», erzählt er.

Auf dem Hof lebten damals acht Bewohnerinnen und Bewohner und er war Arbeitgeber von zehn Teilzeitmitarbeitenden, später konnten die Arbeitsplätze auf 20 Stellen aufgestockt werden. Die Mitarbeiter beziehen IV-Renten, Taggelder vom RAV oder sind Sozialhilfebezüger. Man pflanzte vor allem Salbei, Ysop, Schnittlauch, Petersilie, Rosmarin, Lorbeer und stellte Kräutersalz her. Es lief gut, die Beeinträchtigten freuten sich an der sinnstiftenden Arbeit, Urs Stuker tüftelte an neuen Kreationen und lud zu kulinarischen Veranstaltungen, wo er sich als leidenschaftlicher Koch und Gastgeber verwirklichen konnte.

«Es war eine gute Zeit, der finanzielle Druck hielt sich in Grenzen und wir waren erfolgreich.»

Schwierige Zeiten

2018 bezogen Stuker und sein Team mit neuem Auftritt die neuen Räumlichkeiten in Herisau. Fortan hiess der Betriebszweig Genusswerkstatt und dann passierte, was nicht hätte passieren dürfen. Die Umsätze brachen ein und ein Jahr später verzeichnete auch die Stiftung schwere finanzielle Rückschläge. Alle Betriebe der Stiftung, welche nicht rentabel wirtschafteten, wurden geschlossen. «Es war sehr schwierig», erinnert sich Stuker. Er habe sein Lebenswerk davonschwimmen sehen.

Doch so weit sollte es nicht kommen. Zusammen mit ein paar wenigen Leuten suchte er nach einer neuen Trägerschaft, investierte einen grossen Teil seines Privatvermögens in den Betrieb und gründete einen Trägerverein. «Ich konnte gar nicht anders, mein Weg war vorbestimmt und als wir im Mai 2020 in die Eigenständigkeit starteten, kam die Coronapandemie.» Wieder musste Geld aus dem Privatvermögen her. Er erzählt:

«Angst hatte ich nie.»

In verschiedenen Welten zu Hause

Heute hat sich die Genusswerkstatt erholt. Dank dem Onlineverkauf steigerte sich der Umsatz um 40 Prozent und der Personalbestand erhöhte sich auf 18 Mitarbeitende. Zusammen mit Antonella Cimino Brunner, die das Marketing und den Verkauf verantwortet, und ihm als Geschäftsleiter produzieren sie Salze, Gewürzmischungen, Essig, Senf, Bachmischungen, Wellnessartikel und viele weitere Produkte für den täglichen Bedarf. Ihr Anspruch sei höchste Qualität, erklärt Stuker. Wichtig seien auch Regionalität, Bio und das Wohl der Mitarbeiter.

«Wir wollen mit unseren Produkten den Kundinnen und Kunden kleine Glücksmomente in den Alltag bringen», erzählt er. Sichtlich zufrieden bewegt sich Stuker in den drei Welten, sowohl in der sozialen, der handwerklichen wie auch in der betriebswirtschaftlichen. Er wolle den Menschen Raum geben, sich etwas zuzutrauen. Er verstehe sich auch als Triage zwischen Ämtern, Beratungsstellen und Einrichtungen und sei regional gut verankert.

Wenn Urs Stuker abschalten will, gibt es zwei Möglichkeiten. Im Sommer geht er, zum Mithelfen, auf den Hof Baldenwil und im Winter geht er Skifahren. Und zwischendurch steht er am Herd und kocht. Sei dies für seine Familie, seine Freunde, aber auch für seine Mitarbeiter, denen er täglich in der Kantine ein Menu zubereitet, und dies für notabene drei Franken. Nach der Zukunft befragt, sagt Urs Stuker. «Wir sind daran, in Gossau einen eigenen Bioladen auf die Beine zu stellen.» Deshalb scheint die Nomination zum Agro Preis Suisse nicht aus der Luft gegriffen zu sein, auch wenn er nicht weiss, wer ihn überhaupt angemeldet hatte. Den Preis hat er nicht gewonnen, doch verdient hätte er ihn alleweil.