Zum Gedenken
Sie war mehr als die Frau eines prominenten Mannes: Lislott Mühlemann-Bürgin ist gestorben

Lislott Mühlemann-Bürgin, Gattin des Nationalrats Ernst Mühlemann, ist im Alter von 91 Jahren verstorben. Sie war eine umtriebige Frau, die unter anderem das Konvikt leitete, als Bezirksrichterin amtete, den Bau des Alterszentrums Kreuzlingen vorantrieb und sich nach einem Schlaganfall die Mobilität wiedererkämpfte.

Verena Lagler
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Lislott Mühlemann-Bürgin (1931–2023).

Lislott Mühlemann-Bürgin (1931–2023).

Bild: Susann Basler

Am 9. Februar 2023 nahmen Familie, Verwandte, Freundinnen und Freunde in der Kirche Ermatingen Abschied von Lislott Mühlemann-Bürgin, einer aussergewöhnlichen Frau mit vielfältigem Wirken und Engagement. Sie besass die Gabe, sich immer wieder in den Dienst anderer zu stellen und gleichzeitig ihre eigenen Projekte und Beiträge zu entwickeln.

Allgemein kannte man Lislott als Gattin von Ernst Mühlemann, dem Mitbegründer und Direktor des Ausbildungszentrums Wolfsberg, dem späteren Politiker und Nationalrat. Seine berufliche Karriere begleitete sie zeitlebens, verlieh seinen Wirkungsstätten Herz und Seele. Aber sie war weit mehr als die Frau an der Seite eines prominenten Mannes. Sie war Unternehmerin und engagierte sich in verschiedensten Funktionen in der Öffentlichkeit und zugunsten der Gesellschaft.

Oft gaben unerwartete Zäsuren ihrem Lebensweg eine neue Richtung – Lislott hatte diese immer auch als Chance betrachtet. 1960, als ihr Ehemann zum Internatsleiter am Lehrerseminar Kreuzlingen berufen wurde, übernahm die ehemalige Primarlehrerin als Familienfrau die Führung des Grosshaushaltes des Konviktes. Sie betreute plötzlich nebst den eigenen drei Töchtern eine Grossfamilie und führte zusätzlich die Buchhaltung. In diese Zeit fielen auch der Brand und Wiederaufbau des Kloster- und Seminarkomplexes sowie der Helikopterabsturz ihres Gatten, bei dem er schwer verletzt wurde, aber glücklicherweise überlebte.

Eine geschätzte Gastgeberin und empathische Ansprechperson

Eine grosse Veränderung ergab sich 1971, als Ernst Mühlemann zum Direktor des Ausbildungszentrums Wolfsberg gewählt wurde. Als «starke Frau eines erfolgreichen Mannes» wirkte sie nicht im Scheinwerferlicht. Mit ihrer unaufgeregten, herzlichen Art war sie für Besucher eine geschätzte Gastgeberin und für die Mitarbeitenden eine empathische, wohlwollende Ansprechperson.

Daneben war es Lislott Mühlemann immer wichtig, auch andere, eigene Projekte zu verfolgen. So stellte sie sich während acht Jahren als nebenamtliche Richterin des Bezirksgerichts Kreuzlingen zur Verfügung, übernahm während dreier Jahre die Präsidentschaft der Berufs- und Geschäftsfrauen des Clubs Frauenfeld, diente während mehr als einem Jahrzehnt als Mitglied der Evangelischen Kirchenbehörde, wo sie auch in der Baukommission bei der Kirchenrenovation mitarbeitete.

Immer offen für Neues, entdeckte sie ihre Leidenschaft für Astrologie und das Erlernen der russischen Sprache. Ihre Neugierde und ihr Entdeckergeist führten später zur Gründung der Seniorenakademie in Berlingen, für die sie sich zusammen mit Freunden stark engagierte. Wie bereits im Wolfsberg genoss sie dort die Begegnungen mit herausragenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur, Kunst und Politik. Von Hans Baumgartner persönlich eingeführt in die Kunst der Fotografie, hielt sie diese besonderen Momente in sehr persönlichen Aufnahmen fest.

Den Traum vom eigenen Reisebüro erfüllt

Noch in die Zeit auf dem Wolfsberg fällt der Start als Unternehmerin. Lislott erfüllte sich den Traum eines eigenen Reisebüros. Was anfänglich als Kulturreisen für Frauen gedacht war, entwickelte sich rasch zum Geheimtipp – nicht nur für Frauen. Während ihre Freundin Liselott Müller die kulturellen Führungen übernahm, konnte Lislott Mühlemann ihr Flair fürs Organisieren der stilvollen, handverlesenen Unterkünfte und der feinen, authentischen Kulinarik ausleben. Diese erfolgreichen und höchst befriedigenden Kulturreisen beschäftigten sie auch nach ihrem Umzug in ihr neues Haus in Ermatingen.

Leider wurde dieser private und beruflich glückliche Lebensabschnitt 2007 von einem Schlaganfall überschattet. Als Kämpferin, die sie war, holte sie sich ihre Mobilität mit viel Energie zurück. Auch nach dem Tod ihres Gatten 2009 pflegte sie weiterhin rege soziale und kulturelle Kontakte im Freundeskreis, bis sie ab 2017 auf eine private Pflegeassistenz angewiesen war.

Lislott Mühlemann-Bürgin war 2013 im Erzählcafé der Evangelischen Kirchgemeinde Kreuzlingen zu Gast und erzählte aus ihrem Leben.

Lislott Mühlemann-Bürgin war 2013 im Erzählcafé der Evangelischen Kirchgemeinde Kreuzlingen zu Gast und erzählte aus ihrem Leben.

Bild: Reto Martin
(31. 10. 2013)

Vor eineinhalb Jahren zog sie dann ins Alterszentrum Kreuzlingen, eine Institution, die sie selbst ein halbes Jahrhundert davor als Mitglied der Baukommission miterschaffen hatte. Am 30. Januar ist sie fast 92-jährig im Beisein ihrer Familie friedlich eingeschlafen. Es bleibt die Erinnerung an eine bemerkenswerte Frau, die mit ihrem von grossem Herz und Verstand geprägten Wirken viel bewegt und das Leben unzähliger Menschen bereichert hat.