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Ostschweiz
Am Samstag beginnt sich das Gelände im Sittertobel endlich zu füllen. Was die Stimmung am Open Air automatisch hebt. Dass dem so bleibt, ist nicht zuletzt dem Auftritt der Ärzte zu verdanken, die in St. Gallen einmal mehr Fun-Punk vom Feinsten bieten.
Respekt. Ihren Auftritt auf der Sitterbühne bestreiten Royal Republic mit roten Dinnerjackets und geschlossenen Hemdkragen. Und das bei über 30 Grad. «Meine Füsse brennen», bekennt Frontmann Adam Grahn und zieht sich vorübergehend in den Bühnenschatten zurück. Er räumt ein, dass ihm die Sonne zusetzt, und verkündet deshalb bereits jetzt, wo er nach dem Konzert anzutreffen sein wird: «Im Fluss!»
Das Quartett aus Malmö fokussiert auf Retro-Sound unterschiedlichster Herkunft: Mal klingen sie nach Stadion-Rock à la Journey, nur um sich im nächsten Lied kurz und heftig mit dem Heavy Metal auseinanderzusetzen. In «Baby» erweisen sie dann den Sixties-Ikonen The Who die Reverenz – indem sie Stottergesang, kernigen Rock und stampfende Rhythmen zusammenbringen. Einen ganz speziellen Platz in den Herzen von Royal Republic scheinen jedoch die Beatles einzunehmen: weshalb die Schweden während einiger Takte zu deren «A Hard Day’s Night» überschwenken.
Auf diese unterhaltsame, aber äusserst leichte Kost folgt Yungblud. Der Musiker, mit bürgerlichem Namen Dominic Harrison, strahlt eine ganz andere Energie aus, wetzt wie Rumpelstilzchen über die Bühne und hüpft, was seine Reserven hergeben. Sein Outfit, ein rosaroter Overall mit ebensolchen Socken, verrät umgehend etliche Schweissstellen, doch davon lässt sich der Brite nicht beirren. Gemeinsam mit seinen drei Begleitmusikern kreiert er ein dynamisches und dichtes Set, das nicht zuletzt aus Ska, Rap und Glam-Rock schöpft.
Zu den gewichtigen Anliegen des 22-Jährigen soll das Propagieren seiner politischen Haltung gehören. Gegen wen sich diese richtet, erklärt er mit zwei Worten: «Fuck Trump». Ansonsten ist von den Lyrics des Künstlers kaum etwas zu verstehen; die meisten seiner Songs werden mit so viel Kraft und Wucht kredenzt, dass alles andere untergeht.
Zu den wenigen Stücken, welche das Tempo ein wenig drosseln, gehört das an die Kinks erinnernde «Anarchist». In diesem zeigt sich Yungblud für einmal von seiner melodischen und melancholischen Seite – perfekt zum kurzen Durchschnaufen. Zum Schluss lässt sich der Künstler durchs Publikum tragen, vollständig ausgepowert. Verständlich, zumal die stündige Tour de Force in jeglicher Hinsicht beeindruckt.
Kurz vor 17 Uhr ist die Reihe an Deutschrocker Axel Bosse. Mittlerweile präsentiert sich das Festivalgelände merklich besser gefüllt als am Vortag. Dementsprechend sieht der 39-Jährige dichte Zuschauerreihen vor sich und der Sternenbühne. Umso enttäuschender, dass ihm kaum Packendes gelingen will. Seine von Pop und Reggae inspirierten Nummern sind arg leichtgewichtig und von unablässigen «Uh-uh»-Chörlis unterfüttert.
Das ist alles schampar nett und eignet sich zweifelsohne als Soundtrack für einen Grillplausch, doch im Sittertobel bleibt vom butterweichen Gebotenen kaum etwas haften. Bosse hat ein Flair für simple Metaphern, folgerichtig singt er von den «schönsten Augen» oder von der Erkenntnis, dass das Leben kurz sei. Das ist bestenfalls plump.
Der Hype um die Indie-Pop-Band Pale Waves ist wohl nicht ganz gerechtfertigt. Und das, obschon sich das Quartett aus Manchester von einer guten Idee angetrieben zeigt, aber eben: von einer einzigen. Die Formation um Sängerin Heather Baron-Gracie hat es sich zur Aufgabe gemacht, den in den 1980er-Jahren vorherrschenden Synthie-Pop zu modernisieren.
Dabei streben die Briten nach einem möglichst ausgewogenen Klang. Dazu beitragen sollen die nach Unschuld heischende Stimme der Frontfrau, die forsche Taktvorgabe von Schlagzeugerin Ciara Doran und die nonstop wogenden Synthesizer-Sounds. Auf dem Papier besitzt diese Melange, die sich bei der frühen Madonna, aber auch bei den Bangles bedient, durchaus Charme. Live wird allerdings rasch deutlich, dass es den Pale Waves an variablem Songmaterial mangelt. Ein Lied («Eighteen») klingt wie das nächste («Black»). Was dazu führt, dass man das Interesse schnell verliert.
Dass sich Rap und Boyband nicht ausschliessen, beweist im Anschluss das Musikkollektiv Brockhampton, welches sich kurz vor 20 Uhr auf der Sitterbühne positioniert. Zu der auf Diversität bedachten Truppe gehören mehr als ein Dutzend Performer, sechs von ihnen treten in St.Gallen an. Mit Tracks wie «Star» oder «Zipper» von ihrem dritten Album «Saturation III» bieten sie eine verspielte und vor allem frische Mischung aus Pop, Hip Hop und R ’n ’B. Ihre Show lebt vom organisierten Chaos, das sich stets in Wohlgefallen auflöst: Die Mitglieder von Brockhampton schlendern über die Bühne und wechseln dabei in rascher Abfolge nicht nur den MC, sondern auch die stilistische Ausrichtung.
Was als Rap mit Bezug zum Leben auf der Strasse beginnt, kann sich mitunter im Nu in ein Pop-Oeuvre mit Streichern verwandeln, das ebenso gut aus dem Stall der Beach Boys stammen könnte. Das wirkt konstant frisch, ist voller Flow und lässt spüren: Hier ist eine Einheit am Werk. Eine, die so kraftvoll agiert, dass ihre Songs wohl selbst nach Festivalende noch nachhallen werden.
Punkt 22 Uhr hat das Warten ein Ende, beinahe. Ein erster Vorhang fällt und es erklingen zusehends schrägere Fanfaren und Pauken. Dann folgt das Intro zu John Denvers «Take Me Home, Country Roads», das nach dem Einsatz eines Knallkörpers nahtlos in «Unrockbar» übergeht. Als auch der zweite Vorhang fällt, hat man endlich Sicht auf die Könige des Fun-Punks – die Ärzte. Das Berliner Trio ist sichtlich gut gelaunt und gibt Gas. Davon zeugt auch die nächste Nummer «Wie es geht», die das dicht gedrängte Publikum vor der Sitterbühne vollends aus dem Häuschen bringt.