Der Mann für spezielle Mandate

Als St. Galler Kripo-Chef untersuchte er die Kristallhöhlen-Morde, als stellvertretender Bundesanwalt vertrat er den Fall Nyffenegger vor Gericht. Nun ist Felix Bänziger in Pension gegangen – ein Rückblick auf eine aussergewöhnliche Karriere.

David Scarano
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Felix Bänziger: «Der Staatsanwalt war meine liebste Rolle. Sie vereinte die juristische und kriminalistische Seite in mir.» (Bild: Ralph Ribi)

Felix Bänziger: «Der Staatsanwalt war meine liebste Rolle. Sie vereinte die juristische und kriminalistische Seite in mir.» (Bild: Ralph Ribi)

ST. GALLEN. Als Felix Bänziger 2010 seine letzte Stelle als Solothurner Oberstaatsanwalt antrat, waren die Vorschusslorbeeren gross. Von «einem Glücksfall» oder «einer nationalen Kapazität» war die Rede. Zwei Jahre später, als die Pensionierung per Juni 2013 feststand, erntete er erneut Lob. Ihm war es gelungen, den beschädigten Ruf der Staatsanwaltschaft wiederherzustellen. Obwohl die Huldigungen dem bescheidenen Appenzeller fast zu viel sind: Sie sind der verdiente Lohn für eine erfolgreiche Karriere. Der in Herisau aufgewachsene Oberegger war unter anderem Chef der Kriminalpolizei St. Gallen und stellvertretender Bundesanwalt.

Bänziger musste jedoch auch Niederlagen einstecken. So blieb ihm der Schritt an die Spitze der Bundesanwaltschaft verwehrt. Zwar weniger von nationalem Interesse, aber dennoch schmerzhaft war die Nichtwahl zum Ausserrhoder Ratsschreiber im Jahre 2000. Heute sieht der 65-Jährige keinen Grund, sich zu beklagen: «Rückschläge gehören dazu. Es ist gut, wie es gekommen ist.»

Parteilos und unabhängig

Bänzigers Vita ist auch ohne die Ernennung zum Bundesanwalt aussergewöhnlich. Eher untypisch für einen Strafverfolger machte er ausserhalb seines Reviers – seines Kantons – Karriere. «Meine Herkunft war häufig von Vorteil», sagt er. Appenzeller gelten als unabhängig und gradlinig – ideale Voraussetzungen für einen Staatsanwalt. Typisch war zudem seine Parteiunabhängigkeit. Dank dieser Eigenschaften, die ihn von jedem Filz-Vorwurf befreiten, erhielt er häufig ausserordentliche Mandate. So untersuchte er den Niedergang der Mittelthurgaubahn sowie die vermeintlichen Verfehlungen des Zürcher Regierungsrates Martin Graf. Zuletzt beauftragte ihn der Kanton Waadt mit der Administrativuntersuchung im Fall Marie. Er nimmt dabei die Rolle der Justiz im Zusammenhang mit der Tötung der 19-Jährigen unter die Lupe. Der Täter, ein verurteilter Sexualstraftäter, ermordete die Jugendliche in der Zeit, als er seine Reststrafe im Hausarrest verbüsste.

Offenheit bewahrt

Trotz der häufig blutdurchtränkten Arbeit hat Bänziger auch nach 40 Jahren seine offene Art behalten. Fragen weicht er fast nie aus, häufig blitzt sein Appenzeller Humor auf. «Das beste Lob, das ich von einem Journalisten bekommen habe, ist: Hart in der Sache, aber angenehm im Ton. So würde ich mich auch gerne sehen.»

Dass der Appenzeller Strafverfolger werden sollte, zeichnete sich aber lange nicht ab. Nach der Matura stand er vor der Frage, was er studieren solle. Sein Interesse galt den alten Sprachen und der Mathematik. Diese Neigungen hätten ihn in den Lehrerberuf gezwungen, «was ich mir aber nicht vorstellen konnte». So nahm er «eher aus Verlegenheit» ein Jus-Studium in Freiburg in Angriff, wo er Kommilitone des späteren St. Galler Regierungsrats Joe Keller war. Auch während des Studiums tendierte Bänziger kaum zum Straf- und Strafprozessrecht; das zeigte sich darin, dass er im internationalen Privatrecht promovierte. Dennoch fand er Zugang zur Strafverfolgung: Während seines Praktikums am St. Galler Bezirksgericht bewarb er sich auf Anraten seines Vorgesetzten erfolgreich um die Stelle als ausserordentlicher Untersuchungsrichter.

Nach der Zwischenstation als Assistent an der Uni Freiburg kehrte Bänziger 1976 als Verhörrichter nach Ausserrhoden zurück. Er war stets ambitioniert, er besass, wie er es nennt, «Zug nach vorn». Deshalb war klar: Irgendwann würde er weiterziehen. 1982 trat er die Stelle als Chef der St. Galler Kantonspolizei an. Diese Zeit bezeichnet er als seine interessanteste, da er immer «mittendrin» gewesen sei. Sie war geprägt von grossen Kriminalfällen – etwa der Ermordung des Rockers Jack Grob oder den Kristallhöhlen-Morden. Die ungeklärte Tötung der beiden Jugendlichen setzte Bänziger besonders zu. «Mich plagte grundlos ein schlechtes Gewissen. Ich fühlte mich etwa so schuldig wie ein Autofahrer, dem ein Kind vor den Wagen gerannt ist und der beim besten Willen nicht ausweichen konnte.»

Staatsanwalt, die liebste Rolle

Typisch für die Karriere des Appenzellers war das stete Wechseln zwischen Teamarbeit und Einzelkämpfertum. Er mag Menschen, ist bei Führungsaufgaben gar «harmoniebedürftig», wie er sagt. Als Staatsanwalt hat er einen klaren Auftrag zu erfüllen, dann ist es ihm egal, wenn er nicht von allen geliebt wird. Müsste er zwischen Kripochef und Staatsanwalt wählen, fiele ihm die Wahl trotzdem leicht: «Der Staatsanwalt ist meine liebste Rolle. Sie vereint die juristische und die kriminalistische Seite in mir.»

1987 verliess Bänziger das Polizeikorps und kehrte als Staatsanwalt nach Ausserrhoden zurück. 1993 nahm er im Nebenamt die ständige Vertretung des Bundesanwalts für die deutschsprachige Schweiz an. In seinem ersten Fall vertrat er vor Bundesgericht die Anklage gegen die Firma Von Roll wegen illegaler Herstellung und Lieferung von Kriegsmaterial an den Irak. Auch dank eines Appenzeller Kompatrioten, Bundesrat Arnold Koller, wechselte er 1996 als stellvertretender Bundesanwalt ganz nach Bern. Über seine damalige Chefin Carla Del Ponte sagt Bänziger, die Bundesanwaltschaft sei für ihr Temperament zu klein gewesen. «Als Chefanklägerin am Internationalen Gerichtshof war sie besser aufgehoben.»

Bänziger musste in der Bundesanwaltschaft grosse und heikle Fälle behandeln, so etwa die Affäre um die Mossad-Spione. Von den Medien, die seine ruhige und offene Art schätzten, erntete er häufig Lob. Nach der Berufung Del Pontes an den Gerichtshof musste er kurzfristig den Fall Nyffenegger vor Bundesgericht vertreten sowie die Ermittlungen gegen Dino Bellasi übernehmen. Vor allem die Affäre Nyffenegger war ein Minenfeld. «Sie hätte mich beruflich kaputtmachen können», sagt er. Wie später auch glänzte er aber als Troubleshooter. So schrieb der «Tages-Anzeiger», er habe die Fälle «fair und zielstrebig über die Runden gebracht».

1999 galt Bänziger als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge Del Pontes. Die damalige Bundesrätin Ruth Metzler verwehrte ihm jedoch den Traum. Die Gründe für die Nichtwahl sind ihm nach wie vor unklar. Vielleicht sei die Nähe zur polarisierenden Del Ponte als Stellvertreter ein Nachteil gewesen, meint er. Mittlerweile nimmt er es gelassen: «Ist halt nichts daraus geworden.»

Der gewählte Valentin Roschacher hielt es vier Jahre aus, dann nahm er wegen grossen politischen Drucks den Hut. Wiederum galt Bänziger, mittlerweile stellvertretender Generalprokurator des Kantons Berns, als heisser Kandidat. «Cash» bezeichnete ihn als «starken Staatsanwalt» und als «fachlich und menschlich als ideal klassifiziert». Diesmal winkte der Appenzeller ab – wie andere Kandidaten sagte er sich wohl, «das tue ich mir nicht an». «Die Erwartungen an die Bundesanwaltschaft sind unrealistisch, ein Scheitern ist programmiert. Diese Aufgabe erinnert mich an eine <Mission impossible>.»

Bis 2010 blieb Bänziger in Bern. Nachdem ihn das Kantonsparlament nicht zum Generalprokurator ernannte, gab er, auch aus einer gewissen Enttäuschung heraus, dem Werben aus dem Nachbarkanton nach – er wechselte als Oberstaatsanwalt nach Solothurn.

Zurück in der Ostschweiz

In den Jahren der Ferne blieb die Verbundenheit zur Ostschweiz gross. Regelmässig lud er Exil-St. Galler und -Appenzeller wie den damaligen «Bund»-Chefredaktor Hanspeter Spörri oder Bundeshausjournalist Hanspeter Trütsch in Bern zu sich nach Hause ein. Jeden dritten Samstag begab sich Bänziger zudem nach St. Gallen, um mit Freunden zu jassen.

Mitte Juni haben die Bänzigers in St. Gallen ihre neue Wohnung bezogen – um für immer zu bleiben. «Uns wäre es nie in den Sinn gekommen, den Lebensabend nicht in der Nähe des Alpsteins zu verbringen», sagt er. Seine Frau, als Auslandschweizerin in Brasilien aufgewachsen, hat ebenfalls Ostschweizer Wurzeln.

Was nach den aufregenden Jahren als Strafverfolger kommt, ist offen. Wie normale Pensionierte will er zunächst vermehrt reisen. Bereits geplant ist ein Trip in den Oman. Zudem freut sich der Literaturfreund, mehr Zeit zum Lesen zu finden. Selber unter die Autoren mischen will er sich nicht – obwohl er viel zu erzählen hätte.