FLÜGELSCHLAG

Nichts zum Lachen Über eine Woche lang habe ich mir jetzt das Wehklagen meines besten Freundes angehört. Der kräftige, sonst überhaupt nicht sensible Bursche hatte es nämlich «ganz schlimm» in den Mundwinkeln.

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Lara Stoll

Lara Stoll

Nichts zum Lachen

Über eine Woche lang habe ich mir jetzt das Wehklagen meines besten Freundes angehört. Der kräftige, sonst überhaupt nicht sensible Bursche hatte es nämlich «ganz schlimm» in den Mundwinkeln. Gemeine kleine Risse, die sich verkrusten und immer wieder aufreissen, kaum gähnt oder isst man etwas. «Spatzenecke» oder im Fachjargon «Mundwinkelrhagaden» genannt. Dass gerade er derart darunter litt, hat mich doch ziemlich überrascht, denn fast zeitgleich mit dem Auftreten dieses Problems schnitt er sich beim Rüsten fast den Zeigfinger ab. Darüber verlor er kein einziges Wort.

Sehr kreative Fluchworte

Nach anfänglichem Belächeln seiner «schweren Krankheit» brach es mir dann schliesslich wirklich fast das Herz, als er sein Lieblings-Thaicurry bestellte, einen Biss nahm, woraufhin ich Zeuge einer rekordverdächtig langen Aneinanderreihung von sehr kreativen Fluchworten werden durfte. Nach Vollendung des verbalen Kraftausbruches sass er da wie ein nasser Hund und schaute mit traurigsten Augen sein Curry an. Mir kamen fast die Tränen.

Ich google mal

Na gut, dachte ich, das scheint wirklich ein grosses Thema zu sein, vielleicht nur für Herr und Frau Schweizer, ein weiteres Industriestaaten-Problem, aber ein nicht zu verachtendes! Ich sprang auf, rannte nach Hause, fegte den ganzen banalen Kram wie Steuererklärung, Mahnungen, Infobroschüre des Roten Kreuzes und das Foto meiner Patentochter in Togo vom Tisch und googelte los.

Um Himmels Willen! Es könnte sich um einen Vitamin-Mangel handeln! Mein Cursor klickte zitternd von Link zu Link. In einem seriös wirkenden Forum («www. forum.ch/Hilfe-meine-Mundwin kel-tun-weh» oder so was ähnliches) stiess ich auf eine angeregte Diskussion aus dem Jahre 2007. Ein ebenfalls Betroffener schwor auf die Empfehlung seines Hausarztes: Ovomaltine.

Andere berichteten, dass Mundwinkelrhagaden oftmals nach dem Besuch in einem Restaurant auftauchen würden. Grund sei, dass Reste von Spül- und Glanzmittel am Gläserrand zurückbleiben und sie das Entstehen der Entzündung fördern würden. «Nein, jetzt kann ich nie wieder ins Restaurant!» werden Sie aufschreien. Keine Panik! Man kann entweder den Glas- oder Tellerrand mit einem Taschentuch abreiben oder sich den Mund gründlich waschen und eine fettige Crème drauf schmieren.

Fünf Stunden verloren

Ergibt irgendwie Sinn, dachte ich, aber es machte sich plötzlich auch wachsende Fassungslosigkeit breit. Was tue ich denn hier?! Bin mal wieder in einen Banalitäten-Rausch gekommen und hab mich fünf Stunden lang völlig verloren in einem digitalen Mundwinkeluniversum!

Mein Blick fiel auf das Foto meiner togoischen Patentochter auf dem Boden, das in Wirklichkeit nur eine Ansichtskarte des Toggenburgs war. Ganz schön doof, dachte ich. Dass mich kleine Ekzeme mal wieder mehr beschäftigen als manch grosses Weltdelikt.

Der Freund im Currydilemma

Das soll jetzt nicht moralisch rüber kommen, ich bin normalerweise ein erklärter Feind der Moral, aber vermutlich kann man kleinere Probleme einfach besser greifen. Ich schämte mich ein wenig. Ich ging zu meinem besten Freund und sagte, er solle sich auch schämen. Er war aber noch so geknickt von seinem Currydilemma, dass ich ihn in den Arm nahm und uns beiden verzieh. Das Bewusstsein ist ja da. Und so schwor ich mir, dass ich mir am nächsten Tag eine Patentochter in Togo oder vielleicht doch eher dem Toggenburg suchen würde.