Mitarbeiter, die nie am Arbeitsplatz fehlen, erhalten in manchen Unternehmen einen Bonus. Ostschweizer Firmen und Kantone halten nichts von solchen Modellen und setzen auf Fitness und Früchte.
Katharina Brenner, Roman Hertler, Regula Weik
Gesunde Autobauer sollen mehr Geld bekommen. Jüngst hat der deutsche Automobilkonzern Daimler mit einem neuen Bonusmodell für Schlagzeilen gesorgt: Mitarbeiter sollen ab diesem Jahr einen Bonus von bis zu 200 Euro erhalten, wenn sie keinen einzigen Tag fehlen. Das Geld soll pro Quartal ausgezahlt werden. Für jedes Quartal, in dem der Mitarbeiter nicht krank war, erhält er 50 Euro. Bei einem Ausfall von einem Tag im Quartal sind es 30 Euro. Ab dem zweiten Krankheitstag entfällt der Quartalsbonus. Daimler löste mit seinem Plan eine heftige Diskussion aus.
Ein Kritiker eines solchen Bonusmodells ist Roland Waibel, Leiter des Instituts für Unternehmensführung an der Fachhochschule St. Gallen. «Wenn Mitarbeitende nichts dafür können, dass sie krank werden, ist eine Belohnung nicht angebracht und auch nicht fair. Solche Boni tragen nicht zu kollegialem Klima bei», sagt Waibel. Ausserdem würden sie falsche Anreize setzen. «Beispielsweise quälen sich dann Mitarbeitende mit einer Grippe zur Arbeit, um den Bonus nicht zu verspielen, und verschleppen nicht nur den Heilungsprozess, sondern stecken auch noch ihre Arbeitskollegen an.» Andererseits hätten Mitarbeitende, welche einige unverschuldete Krankheitstage hinter sich haben und keine Aussichten mehr auf einen Bonus, den Anreiz, die Zügel schleifen zu lassen.
Wer sich bei Ostschweizer Unternehmen umhört, erfährt, dass keines ein Bonussystem für Anwesenheit hat. «Es besteht kein System für Boni. Allerdings beachten die Betriebsleiter dies und wir honorieren dies auch fallweise», sagt Bruno Vattioni, Geschäftsführer der Säntis-Schwebebahn AG. Er gibt als einziger Unternehmer an, etwas ähnliches wie ein Bonussystem zu haben, alle anderen verneinen. Aldi Suisse teilt ausserdem mit, es habe kein Bonusprogramm für Anwesenheit, da solche Programme schnell falsche Anreize setzen und Mitarbeitende animieren könnten, sich in arbeitsunfähigem Zustand nicht krank zu melden. Bei Lidl Schweiz heisst es, das Unternehmen halte ein Bonus-System nicht für den richtigen Ansatz, um seine Mitarbeiter zu motivieren. Rico Roduner, Leiter Personalamt des Kantons Appenzell Innerrhoden, sagt: So ein Anreizsystem ziele auf das Verhalten von Mitarbeitenden, welche via Krankheit blau machten. Der Kanton habe kein solches System, Personen mit einem schwachen Immunsystem würden dabei den Kürzeren ziehen. «Das Verhalten kann beeinflusst werden, das Immunsystem nicht.» Roduner setzt auf das Augenmass der Vorgesetzten und die soziale Kontrolle.
Auch ohne ein Bonussystem profitieren Unternehmen von gesunden Mitarbeitenden. Was tun Ostschweizer Unternehmer für die Gesundheit ihrer Angestellten? Die Antworten auf diese Frage fallen recht unterschiedlich aus. Bruno Vattioni von der Säntis-Schwebebahn sagt spontan: «Die frische und gesunde Luft auf der Schwägalp und dem Säntis wirkt präventiv.» Und weiter: «Da sich die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns verpflegen, können wir auch über ein ausgewogenes Angebot etwas mithelfen.»
Vielerorts tönt es nüchterner. Da ist die Rede von «betrieblichem Gesundheitsmanagement» oder von Schulungen und Kursen zu Arbeitssicherheit und Gesundheit. Das gilt auch bei Migros Ostschweiz. Das Unternehmen hat bereits vor mehreren Jahren ein Konzept zur Gesundheitsförderung und Gesundheitsprävention erarbeitet. So beteiligt sich Migros Ostschweiz an Abonnements von Freizeit- und Fitnessanlagen, an Kursen und weiteren Angeboten zur Gesundheitsförderung – und zwar mit bis zu 1000 Franken pro Jahr (bei einer 100-Prozent-Beschäftigung). Das Unternehmen kennt zudem die Aktion «Gesundheitswoche», mit dem Ziel, die Mitarbeitenden für das Thema zu sensibilisieren.
Auch das Wittenbacher Software-Unternehmen Abacus Research AG «bewegt» seine Mitarbeitenden. Es steht gratis ein Fitnessraum zur Verfügung; das Unternehmen mietet zudem an einem Mittag pro Woche eine Halle für Unihockeyspieler und für Badmintonspieler. Einige Läufer gehen über Mittag zusammen joggen. Und es gibt bei Abacus den ganzen Tag Gratis-Getränke. Ähnliches gilt bei den Helvetia Versicherungen. Sie bieten ein eigenes «Fit&Wohl-Programm» an – mit Früchten, sportlichen Angeboten wie Firmenlauf, Fussball-Turnier, Ski-Tage und Vergünstigungen für Fitnesscenter.
Auch Raiffeisen Schweiz unterstützt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich regelmässig bewegen wollen. Die Bank bietet ihnen vergünstigte Abonnements für ein Fitness-Studio an. Bei Coop gilt dieselbe Praxis – und: «Wir sensibilisieren unser Mitarbeitenden für die wichtigsten vorbeugenden Massnahmen im Alltag mittels Flyer.» Aldi Suisse bietet diverse kostenlose Präventionsmassnahmen, wie gesunde Pausenverpflegung (Obstsortiment) und Getränke. Das Unternehmen fördert Sportveranstaltungen wie Firmenläufe. Und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht eine medizinische 24-Stunden-Hotline offen.
Und wie halten es die Unternehmen mit der Grippeimpfung? Mehrere zahlen diese ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder übernehmen einen Teil der Kosten.
In Ostschweizer Unternehmen müssen meist ab dem dritten Krankheitstag ärztliche Zeugnisse vorgewiesen werden. So handhaben es etwa die Säntis-Schwebebahn sowie die Discounter Aldi und Lidl. Beim Grossverteiler Coop und dem Informatikunternehmen Abacus muss jeweils ab dem vierten Tag ein ärztliches Zeugnis vorgelegt werden. Vier Tage darf man bei den Helvetia Versicherungen ohne Attest fehlen, fünf Tage sind es bei der Raiffeisen-Bank. Abacus und Aldi behalten sich vor, dass bei Missbrauchsverdacht ein Zeugnis ab dem ersten Tag verlangt werden kann. Am längsten darf man bei der Migros Ostschweiz attestfrei krank sein: Erst ab dem achten Tag in Abwesenheit wird hier ein Arztzeugnis eingefordert.
Primus Schlegel, Leiter des St. Galler Personalamts, sagt, was in allen Ostschweizer Kantonen gilt: «Im Absenzenwesen lassen die Ämter gesunden Menschenverstand walten.» Gemäss Reglement müssen Verwaltungsangestellte in Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden ab dem dritten Absenzentag ein Arztzeugnis vorlegen. In St. Gallen können Vorgesetzte bereits ab dem ersten Tag ein Zeugnis verlangen, tun es meistens aber nicht. In der Praxis werden die Regelungen in allen drei Kantonen locker ausgelegt. Im Thurgau wird erst ein Arztzeugnis verlangt, wenn Krankheitstage auf Ferientage fallen und daraus Kompensationsansprüche für die Ferien beansprucht werden.