Kreuzlingen
Eine Viertelmillion Tiere weniger in 30 Jahren: Gewinner und Verlierer der Vogelwelt am Bodensee

An einer Veranstaltung des Vogelschutzvereins Kreuzlingen wurde aufgezeigt, wie stark Vögel unter Klimaveränderungen und fehlenden Lebensräumen leiden.

Inka Grabowsky
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Elegant, aber selten: Der Rauchschwalbe fehlen feuchter Lehm als Nistmaterial und Insekten als Nahrung.

Elegant, aber selten: Der Rauchschwalbe fehlen feuchter Lehm als Nistmaterial und Insekten als Nahrung.

Bild: PD/Heiko Hörster

Stefan Werner, Ornithologe an der Vogelwarte Sempach, will nicht schwarzmalen. «Es gab schon immer Veränderungen», sagt er im Trösch bei der gemeinsamen Veranstaltung des Vogelschutzvereins Kreuzlingen und Umgebung und der Thurgauischen Naturforschenden Gesellschaft.

Dr. Stefan Werner war Referent an der Veranstaltung des Vogelschutzvereins.

Dr. Stefan Werner war Referent an der Veranstaltung des Vogelschutzvereins.

Bild: Inka Grabowsky

«Der Waldrapp ist bereits im 15. Jahrhundert bei uns verschwunden, weil er zu stark bejagt wurde. Der Höckerschwan wurde erst 1917 eingeführt. Aber wenn selbst bei Arten wie dem Haussperling 40 Prozent weniger Tiere gezählt werden als 1980, lässt uns das aufhorchen.»

Der Wissenschafter beruft sich bei seiner Analyse auf einen weltweit einzigartigen Datensatz. Seit 1980 werden alle zehn Jahre von ehrenamtlichen Fachleuten Vögel im Bodenseeraum gezählt. Die aktuelle Kampagne, bei der 82 Freiwillige rund 8000 Kilometer Wegstrecke zurücklegen und ihre Beobachtungen notieren, läuft noch bis 2022.

Die Methode ist dabei immer die gleiche, die Zahlen sind also gut vergleichbar. Und sie sind in der Tat bemerkenswert: Zwischen 1980 und 2010 wurde eine Viertelmillion weniger Vögel registriert. Die Anzahl der Arten jedoch hat sich sogar minimal vergrössert. Offenkundig leiden einzelne Arten überproportional stark unter Klimaveränderung und fehlenden Lebensräumen.

Insektenfresser und Kulturlandbewohner in Not

Um 60 Prozent verringert hat sich der Bestand der Insektenfresser. Symptomatisch ist das bei der Rauchschwalbe. Auch der Gartenrotschwanz ist in der Bodenseeregion fast völlig verschwunden.

Der Gartenrotschwanz war früher einmal häufiger Besucher in unseren Gärten. Das ist vorbei.

Der Gartenrotschwanz war früher einmal häufiger Besucher in unseren Gärten. Das ist vorbei.

Bild: PD/Heiko Hörster

Wahrscheinlich fehlt es ihm an Nahrung und Nistplätzen. In Niederstamm-Obstplantagen unter Hagelschutznetzen findet er keine Baumhöhlen. Die stärksten Rückgänge verzeichnen die Ornithologen im Kulturland. Rebhühner gibt es gar nicht mehr. Der Bestand des Kiebitzes ist um 82 Prozent zurückgegangen. Feldlerchen leben im Thurgau nur noch vereinzelt. «Der Bestand an Brutpaaren hat sich von 5000 in der Erhebung 1980 auf 600 in der Erhebung 2012 verringert – und zwar über alle drei Anrainerstaaten des Sees hinweg.» Stefan Werner vermutet, dass durch den Klimawandel Wiesen früher gemäht werden. Die Nester der Bodenbrüter sind dann noch nicht leer. Und die Wiesen werden stärker gedüngt. Die Pflanzen überwuchern so die Gelege.

Schutz nützt

Deutlich wird aus der Erhebung der Zahlen seit 1980, dass sich Vogelarten erholen, wenn der Mensch gezielt etwas für ihren Schutz tut. «1970 gab es nur noch sechs Brutpaare des Rotmilans», so Stefan Werner. «Nach dem Jagdverbot ist der Vogel nun allgegenwärtig.»

So sehen Sieger aus: Der Bestand des Rotmilans hat sich in der Bodenseeregion stark erholt.

So sehen Sieger aus: Der Bestand des Rotmilans hat sich in der Bodenseeregion stark erholt.

Bild: PD/Heiko Hörster

Im Wald wird vermehrt Totholz stehen gelassen, Spechten geht es deshalb gut. Wanderfalke, Uhu und Wiedehopf sind wieder angesiedelt. Die Feuchtgebiete und Wasserflächen, die unter Schutz stehen, bieten Wasservögeln gute Lebensbedingungen.

«Politisch hat sich etwas getan», sagt der Vogelschützer. «Ich sehe viele Gemeinden, die sich für Habitate engagieren. Aber gleichzeitig gibt es im Siedlungsraum noch immer grüne Wüsten mit sterilen Rasenflächen.» Es lohne sich, Gärten als Oasen für Insekten und damit auch für Vögel anzulegen.

Im Vergleich zu 1980 wurden 2010 25'000 Haussperling-Brutpaare weniger gezählt.

Im Vergleich zu 1980 wurden 2010 25'000 Haussperling-Brutpaare weniger gezählt.

Bild: PD/Heiko Hörster