Kreativität und ein wenig Mut – das braucht man fürs Kinderwagenrennen. Myriam Gämperli und Stefanie Bürge mischen das von Männern dominierte Traditionsrennen auf.
In einem Schaufenster in Bütschwil steht ein grosses Einhorn. Pinke Mähne, ein wenig Glitzer, Wattewölkchen – fast könnte man die vier gummibereiften Räder übersehen. Sie deuten darauf hin, dass das Einhorn noch eine höhere Bestimmung hat, als die Schulrucksäcke im Bütschwiler Fachgeschäft Artis Büro & Freizeit AG zu bewerben.
Am 5. Februar wird sich das Einhorn ans obere Ende einer ziemlich steilen Wiese in Dietfurt begeben. Dabei sein werden die beiden Pilotinnen Myriam Gämperli und Stefanie Bürge, und sie werden noch einmal tief durchatmen. «Wenn man oben steht, ist die Wiese steiler, als man denkt», sagt Gämperli. Trotzdem spürt man die Vorfreude auf das berühmte Dietfurter Kinderwagenrennen.
Während die 30-jährige Teamchefin Myriam Gämperli bereits am letzten Rennen vor vier Jahren teilgenommen hat, ist es für die 28-jährige Co-Pilotin Stefanie Bürge der erste Start. Den Rennstall des Fasnachtskomitees Bütschwil, den die beiden vertreten, gibt es schon seit 1971. Das Dietfurter Kinderwagenrennen ist auch Szenetreff der Toggenburger Fasnachtsbewegung. Man nutzt das Rennen, um die eigene Fasnacht zu bewerben. Das Einhorn symbolisiert das Motto der diesjährigen Fasnacht in Bütschwil: «Über den Wolken».
Was treibt zwei junge Frauen dazu, einen Kinderwagen aufwendig zu dekorieren, um diesen dann einen Hügel herunterzuschieben? Die Pilotinnen lachen. «Das passiert einfach», sagt die Teamchefin. Vor dem letzten Rennen hat die ältere Generation im Fasnachtskomitee die Aufgabe an sie übergeben. «Dieses Jahr wollte ich es noch einmal wissen.»
Vor vier Jahren haben die Bütschwilerinnen gut abgeschnitten: Bewertet wird die Zeit im Hindernisrennen, aber auch Präsentation des Gefährts. Auch wenn sie und ihre damalige Co-Pilotin nicht die schnellsten waren – ihr Wagen gehörte zu den schönsten. «Da ist die Motivation gross, noch einmal zu gewinnen», finden beide.
Das Bütschwiler Frauenteam konnte sich in einem Wettkampf beweisen, der seit der Gründung von Männern dominiert war. Letztes Mal gab es unter rund 30 Teams nur ein weiteres Frauenteam, dieses Jahr werden es ein paar mehr sein.
«Ein bisschen wild und verrückt muss man sein», sagt Gämperli, «herausgeputzte Fingernägel sind fehl am Platz. Aber es ist ja nicht so, dass es hier keine wilden, bodenständigen Frauen gibt.» Alles, was man für die Teilnahme brauche, seien kreative Ideen und das Wissen, wie man diese umsetzt. Für Myriam Gämperli, die in dritter Generation ein Geschäft mit Bastelartikeln, das Artis, leitet, war das naheliegend.
Talent fürs Showbusiness schadet auch nicht. Schliesslich pilgern alle vier Jahre Tausende nach Dietfurt. Der schönste Wagen wird vom Publikum gekürt. Dieses möchte richtig bestochen werden: Das Fasnachtskomitee hat schon zahlreiche Goodies vorbereitet. Für die Präsentation des Wagens haben manche Teams dann noch ein paar Spezialeffekte auf Lager. «Da raucht und knallt es auch einmal» – mehr wollen sie nicht verraten.
Klar ist: Der Spass steht im Vordergrund. Dabei sein, eine gute Show abliefern und sich amüsieren – darum geht es. Nervös sind die beiden Pilotinnen nicht. «Ein bisschen Respekt habe ich vor dem steilen Starthang», sagt Neuling Stefanie Bürge, «aber ich freue mich riesig.» Ernst wird es, wenn der Kinderwagen, der nicht mehr ins Auto passt, kurz vor dem Renntag nach Dietfurt geschoben wird. «Da halten die vorbeifahrenden Autos an, die Kinder gucken raus und staunen», erzählen sie. Die Vorfreude ist ansteckend.
«Das Kinderwagenrennen ist einzigartig», schwärmt die Teamchefin. «Die Menschen stecken so viel Kreativität in ihre Wagen, so etwas gibt es einfach kein zweites Mal.» Die Neugierde trägt den Rest zum Erfolgsrezept bei. So wurde das Kinderwagenrennen im kleinen Dietfurt zu einem der grössten Events der Toggenburger Fasnacht.
Dafür lieben die Pilotinnen die Fasnacht und das Kinderwagenrennen. «An der Fasnacht kann man für einmal jemand ganz anderes sein», sagt Gämperli, «und das ist wichtig.» Bürge stimmt zu: «Egal, wie man aussieht oder was man macht, an der Fasnacht muss man sich nicht blamieren.»
Spass und Geselligkeit, darum geht es in Dietfurt. Gämperlis einzige Sorge ist, ob es der Wagen heil über die Ziellinie schafft. Das sei zwar fürs Rennen irrelevant, «aber das Einhorn soll nach dem Rennen noch einmal im Schaufenster Werbung für unsere Bütschwiler Fasnacht machen», sagen die Frauen vom Fasnachtskomitee. Zur Erholung bleiben den beiden Pilotinnen nur wenige Tage. Schon am Wochenende darauf geht die fünfte Jahreszeit in Bütschwil weiter.