Eine Volksinitiative will, dass Jugendliche keine Tabakwerbung mehr zu sehen bekommen. Bundesrat und Parlament geht das zu weit. Sie haben deshalb einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet.
Inhaltsverzeichnis
Am 12. September 2019 wurde die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» mit 109 969 gültigen Unterschriften eingereicht. Der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments lehnen die Initiative ab. Als indirekten Gegenvorschlag verabschiedete das Parlament im Oktober 2021 eine Änderung des Tabakproduktegesetzes. Doch den Initianten gingen diese Anpassungen zu wenig weit. Deshalb entschieden sie sich dagegen, die Initiative zurückzuziehen. Sie kommt nun am 13. Februar 2022 zur Abstimmung.
Im Initiativtext wird ein Verbot jeder Art von Werbung für Tabakprodukte verlangt, die Kinder und Jugendliche erreicht. Zudem will die Initiative Bund und Kantone dazu verpflichten, die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Wie das im Detail geschehen soll, überlässt der Initiativtext dem für die Umsetzung im Gesetz zuständigen Parlament.
In der Schweiz rauchen rund 2 Millionen Menschen, darunter 100 000 Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren. Mehr als die Hälfte der Rauchenden hat vor dem 18. Lebensjahr damit begonnen. Jährlich sterben 9500 Personen vorzeitig an den Folgen des Rauchens. Gemäss der aktuellen Gesetzeslage ist Tabakwerbung in der Schweiz mit Einschränkungen erlaubt. Diese Einschränkungen gehen deutlich weniger weit als in den meisten anderen europäischen Ländern. Auf Bundesebene verboten sind lediglich Radio- und TV-Werbung sowie die Abgabe von Gratismustern an Minderjährige. In der ganzen Schweiz erlaubt ist Werbung in der Presse, im Internet, an Verkaufsstellen wie Kiosken sowie per Postversand oder Flyerabgabe an Erwachsene. Die meisten Kantone kennen weitergehende Einschränkungen, etwa für Plakat- und Kinowerbung.
Mit dem Verbot jeglicher Art von Tabakwerbung, die «Kinder und Jugendliche erreicht», wäre Werbung nur noch dort zugelassen, wo sie ausschliesslich von Erwachsenen gesehen werden kann. Damit würden die meisten heute (zumindest in manchen Kantonen) noch zulässigen Werbeformen künftig verboten: So etwa auf Plakaten im öffentlichen Raum, im ÖV, auf Sportplätzen und in öffentlich zugänglichen Verkaufsstellen. Auch im Internet, in der Presse und in den sozialen Medien wäre ein weitgehendes Werbeverbot zu erwarten. Das Gleiche wäre beim Sponsoring von Anlässen der Fall, von denen Kinder und Jugendliche nicht aufgrund von Einlasskontrollen ausgeschlossen sind. Wird die Initiative angenommen, müssten die von ihr abweichenden Bestimmungen des revidierten Tabakproduktegesetzes angepasst werden.
Bei einer Ablehnung der Initiative träten die in den meisten Bereichen weniger weitgehenden Regeln des revidierten Tabakproduktegesetzes in Kraft. Neben den Bestimmungen bezüglich Werbung regelt dieses auch die Zusammensetzung, die Verpackung, den Verkauf und die Kontrolle von Tabakprodukten und elektronischen Zigaretten. Es sieht ein landesweites Verkaufsverbot solcher Produkte an Minderjährige vor. Bisher lag die Altersgrenze in 15 Kantonen bei 18 Jahren, in neun Kantonen bei 16 Jahren, zwei Kantone kannten keine Altersgrenze. Das revidierte Tabakproduktegesetz würde zwar Werbung auf Plakaten, im Kino, im ÖV, im öffentlichen Raum, auf Sportplätzen sowie bei Veranstaltungen von internationalem Charakter untersagen. Erlaubt hingegen bliebe Tabakwerbung in der Presse sowie im Internet, ausser bei Angeboten, die für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren bestimmt sind. Ebenfalls erlaubt bliebe Werbung an Verkaufsstellen sowie im Rahmen von nationalen Anlässen, ausser wenn diese auf Minderjährige abzielen.
Hinter der Initiative stehen die Berufsverbände der Ärzteschaft, der Apothekerinnen und zahlreicher anderer Gesundheitsberufe. Auch Organisationen aus dem Bereich der Suchtprävention, der Lehrerverband, die Jugendverbände und Swiss Olympic, die Dachorganisation der Sportverbände, unterstützen das Anliegen. Ebenso dafür sind die Parteien SP, Grüne, GLP, EVP und EDU. Für die Unterstützer braucht ein konsequenter Jugendschutz auch ein konsequentes Verbot von Tabakwerbung, die Jugendliche erreicht. Sie verweisen auf Studien, wonach Jugendliche häufiger mit dem Rauchen anfangen, wenn sie mit Tabakwerbung in Kontakt kommen. Tabakkonsum verursache jährlich immense gesundheitliche und wirtschaftliche Schäden. Der indirekte Gegenvorschlag sei eine «Alibiübung», da genau jene Werbeformen weiterhin erlaubt wären, die Jugendliche besonders effektiv erreichten.
Gegen die Initiative sprechen sich Economiesuisse, der Gewerbeverband, der Verband Schweizer Medien, das Konsumentenforum und zahlreiche Verbände der Werbe- und Marketingbranche aus. Während die FDP bereits die Nein-Parole beschlossen hat, stehen die Parolen von SVP und Mitte noch aus. Im Parlament waren sie mehrheitlich gegen die Initiative. Für ihre Gegner ist die Initiative ein «extremes und unnötiges Werbeverbot». Auch der Gegenvorschlag nehme den Jugendschutz mit der Alterslimite von 18 Jahren und dem Verbot von auf Jugendliche ausgerichteter Werbung ernst. Die Initiative hingegen greife die Wirtschaftsfreiheit frontal an. Das «totale Werbeverbot» schade Verkaufsstellen von Tabakprodukten sowie Veranstaltern und Medien, die von Sponsoring- und Werbeeinnahmen profitierten. In Ländern mit strikteren Werbeverboten rauchten ausserdem nicht weniger Jugendliche als in der Schweiz.