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Kanton Solothurn
Laut der Verteidigerin des Hauptangeklagten hätten die Medien das erstinstanzliche Urteil gefällt. Vor dem Solothurner Obergericht ist am Dienstag der Raserunfall von Schönenwerd vom November 2008 neu aufgerollt worden. Drei junge Autofahrer müssen sich für den Tod einer 21-jährigen Frau verantworten.
Am Ende sind immer die Medien die Schuldigen. Zum Beispiel, wenn das Amtsgericht Olten-Gösgen den Fahrer des schwarzen Audi, der am 8. November 2008 um 1.40 Uhr in Schönenwerd mit stark übersetzter Geschwindigkeit in einen links abbiegenden VW Golf prallte, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Diesen Eindruck jedenfalls versuchte Corinne Saner, die Verteidigerin des Audi-Fahrers, gestern im Appellationsprozess vor der Strafkammer des Solothurner Obergerichts zu erwecken.
Medien hätten den Volkszorn angestachelt
Die Medien hätten auch im Vorfeld der erstinstanzlichen Hauptverhandlung in Olten – einen Monat vor der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative – den Volkszorn angestachelt. Die rechtliche Würdigung – das Gericht erkannte auf vorsätzliche Tötung – habe es nicht unbeeinflusst von den Medien fällen können, sagte Saner in ihrem über zweistündigen Plädoyer. Ihr Mandant leide täglich an den Folgen der «medialen Übergriffe». Die aus diesen resultierende «soziale Bestrafung» sei bei der Strafzumessung zu beachten.
Markus Weber, der Verteidiger des mitbeschuldigten Fiat-Punto-Fahrers, hieb fleissig in die gleiche Kerbe und forderte gleichfalls, die Medienhetze müsse sich strafmildernd auswirken. (Roland Winiger, der Verteidiger des dritten Beschuldigten, der in jener Novembernacht mit einem schwarzen VW Golf von Aarau in rasanter Fahrt nach Schönenwerd unterwegs war, wird erst heute Dienstag plädieren.)
Keine Rückweisung an Vorinstanz
Zwar waren es die drei erstinstanzlich Verurteilten gewesen, die das Urteil weitergezogen hatten. Doch gestern versuchte der Aarauer Anwalt Markus Weber erst einmal die Verhandlung vor Obergericht platzen zu lassen. Freilich ohne Erfolg: Weber unterstellte dem Amtsgericht Olten-Gösgen schwere Verfahrensmängel. Es gebe keine Protokolle der vor Amtsgericht gehaltenen Plädoyers – jedenfalls nicht zu den Begründungen der Anträge. «Wo sind die 150 Seiten?», fragte Weber und fügte gleich an, der Gerichtspräsident habe erklärt, sie seien «praxisgemäss entsorgt» worden.
Darin sah Weber eine Missachtung des rechtlichen Gehörs. Er beantragte daher Rückweisung an die Vorinstanz zwecks Wiederholung der Plädoyers und neuer Urteilsfindung. Die Strafkammer, bestehend aus Daniel Kiefer (Vorsitz), Marcel Kamber (Referent) und Hans-Peter Marti, lehnte den Antrag jedoch ab mit dem Hinweis darauf, dass es im Kanton Solothurn keine Praxis oder Vorschriften zur Aufbewahrung von Parteivortragsprotokollen gebe.
Der Hauptangeklage redete, die Mitangeklagten schwiegen
Während die beiden Nebenbeschuldigten vom Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch machten, sagte der Audi-Fahrer gestern aus. Die Fragen der Richter drehten sich nicht zuletzt um das Rätsel, wie jemand, der mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist, im Bereich der Abbiegung Stiftshaldenstrasse, im 50er-Bereich und angesichts einer Verkehrsberuhigungsschikane, mit 116 Stundenkilometern daherdonnern kann. Der Beschuldigte wiederholte mehrmals, er wisse es auch nicht – «Dummheit? Ich weiss nicht, was ich mir dabei gedacht habe – ich habe die Gefahr nicht gesehen.»
Auch bei den nachfolgenden Plädoyers ging es häufig um die Rekonstruktion der Fahrt der drei jungen Männer mit griechischem, kroatischem und türkischem Pass. War es ein Rennen, hatte es Nebel, war die Sicht gut? – Für Oberstaatsanwalt Felix Bänziger war es ganz klar ein Rennen – und zwar, gestützt auf die Aussagen zweier Aarauer Stadtpolizisten, schon seit dem Einbiegen in den Allmendweg. Markus Weber dagegen attestierte dieser Zeugenaussage ein «Rekordniveau von Unglaubwürdigkeit». Und die Nebel-Theorie sei auch nicht haltbar. So stand zuletzt Aussage gegen Aussage.
Bänziger will Urteil verschärfen
Im vorliegenden Fall, so der Oberstaatsanwalt, der Anschlussappellation erhoben hatte, seien alle Voraussetzungen gegeben, um auf Eventualvorsatz zu schliessen. Dies gelte auch für die Mitbeschuldigten, die als Mittäter zu verstehen seien. Allenfalls komme mindestens Gehilfenschaft infrage.
Sie hätten «das wahnwitzige Fahren» des Audi-Lenkers gefördert. Bänziger beantragte für diesen eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren, für die beiden andern eine solche von sechs Jahren, abzüglich je 29 Tage Untersuchungshaft. – Damit liegt der Antrag der Staatsanwaltschaft nicht nur beim Hauptbeschuldigten über dem Urteil des Amtsgerichts, sondern auch im Fall der Mitbeschuldigten, die in Olten zu einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten verurteilt worden waren – unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs, bei einer Probezeit von drei Jahren.
Der Oberstaatsanwalt begründete seine Strafanträge, die er auch als «Schuss vor den Bug künftiger Täter» verstand, mit der Notwendigkeit, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass man ihr Anliegen – Sicherheit auch auf der Strasse – ernst nehme.
«Ohne Linksabbieger kein Unfall»
Corinne Saner ging mit dem nicht vortrittsberechtigten Lenker des roten VW Golf, auf dessen rechtem Hintersitz Lorena Wittwer bei der Kollision getötet wurde, hart ins Gericht: «Zum Unfall kam es nur, weil er abbog, obschon er das mit übersetzter Geschwindigkeit herannahende Fahrzeug erkannt haben musste.»
Was ihr Mandant gemacht habe, sei unverantwortlicher Leichtsinn gewesen, aber er habe sich nicht gegen das geschützte Rechtsgut entschieden. Der Audi-Fahrer habe nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig gehandelt. Saner beantragte eine 12-monatige Freiheitsstrafe, bedingt ausgesetzt auf zwei Jahre, und eine Busse von 1000 Franken.
Markus Weber qualifizierte das Plädoyer des Oberstaatsanwalts als «Populismus der allerbilligsten Sorte». Bänziger habe gezeigt, dass «auch er nicht in der Lage» sei, «dem Druck der Medien zu widerstehen». Für seinen Mandanten, der nur der mehrfachen Verletzung von Verkehrsregeln schuldig sei, forderte Weber eine Busse von 1000 Franken. Dies für den Fall, dass sein Hauptantrag – Rückweisung an die Vorinstanz – scheitern sollte. Die in Olten ausgefällte Strafe sei völlig überrissen und habe mit den Schuldsprüchen nichts zu tun.