Gastkolumne zur Herausforderung der Erwachsenen durch das Handeln eines 16-jährigen mutigen Mädchens.
Mit 5 Jahren wissen Kinder, was wichtig ist im Leben: Essen und trinken, warm haben, liebe Eltern, niemandem wehtun und nichts zerstören.
Als ich 14 war, wurde Äthiopien wegen Ernteausfällen und kriegerischen Auseinandersetzungen von einer Hungerkatastrophe überrollt. Diese Bilder von verhungernden Kindern mit Blähbauch und dünnen Beinchen schockierten die Industrienationen. In den Unterrichtspausen sang die ganze Klasse voller Inbrunst mit USA for Africa: «We are the world, we are the children, we are the one, who make a brighter day, so let’s start giving ...!»
Als ich 15 war, explodierte der 4. Reaktor von Tschernobyl – ich weiss es noch, als wär’s gestern gewesen. Von unserem Schulzimmer aus beobachteten wir ab sofort ängstlich den Wasserdampf unseres AKW Gösgen.
Und als ob es noch nicht genug gewesen wäre, war da auch noch das beginnende Waldsterben als Teil der Zeitgeschichte der 80er-Jahre.
Mit anderen Worten, mitten in der Pubertät wurde mir bewusst: In einer heilen Welt leben wir nicht. Mit unseren Stimmungsschwankungen hätten wir schon genug zu tun gehabt. Jedenfalls hatten viele von uns mit 16 das Gefühl, das halbe Leid der Welt auf den Schultern zu spüren. Nein, ich übertreibe nicht. Wir Teenies hatten Zukunftsangst – wir verstanden die Welt nicht mehr, die innere nicht und auch nicht die äussere.
Es kam umwelttechnisch noch schlimmer: Seit der Industrialisierung machen wir uns die Natur vollends zum Untertan. Seit 1970 haben wir es geschafft, die Zahl der in Wildnis lebenden Wirbeltiere um 60 Prozent auszurotten, heisst es im WWF-Weltzustandsbericht 2018. Als wäre die Menschheit das intelligente Krebsgeschwür dieses Planeten, das alle anderen Lebewesen verdrängt oder sie sich einseitig zunutze macht. Der Wolf muss weg, und der Biber auch – vorsorglich. Von der Umweltverschmutzung ganz zu schweigen. Irgendwie scheint das Experiment Mensch aus dem Ruder zu laufen.
Starren die heutigen Kinder währenddessen in ihr Handy? Wie fühlt sich die junge Generation, wenn sie vom Bienen- und Korallensterben hört, von Plastik im Magen verendeter Wale und vom Aufrüsten in Ost und West? Ihre Grosseltern werden dement und das Klima spielt verrückt.
Da redet den Mächtigen der Welt am WEF in Davos ein 16-jähriges Mädchen ins Gewissen: «Wir sind nicht hergekommen, um die Leader dieser Welt zu bitten, sich um unsere Zukunft zu kümmern. Sie haben uns in der Vergangenheit ignoriert und sie werden uns wieder ignorieren.» – «Ich will, dass Ihr in Panik geratet, dass Ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.»
Und? Wir Erwachsenen bleiben cool. Wir machen weiter, wie zuvor. «Ist eh alles übertrieben», hört man hie und da in spöttischem Ton.
Dieses prophetische Mädchen macht mich stumm – stumm vor Ehrfurcht. Denn sie weiss, worauf es ankommt. Auf alles – oder nichts. Und sie steht kerzengerade dafür ein.
Nur: Ein einzelner Mensch kann die Welt nicht retten. Noch nie in der Geschichte war die Individualisierung so stark ausgeprägt, die Eigeninteressen so gross. Gleichzeitig hätten wir globale Probleme zu lösen, die wir nur als die eine Menschheit stemmen können. Ironie des Schicksals.
Der Blaue Planet muss gesunden, braucht Therapie. Wir sollten auf die Jugend hören, die Angst und Hoffnung noch zu spüren vermag: Sie protestiert für Klimaschutz-Massnahmen und lehnt Maturareisen nach Übersee ab; sie lanciert die Zersiedelungs-Initiative – und scheitert.
Lassen wir sie nicht im Regen stehen. Wir lernen von ihnen neu die echten Prioritäten und frische Strategien.
Ich frage mich, was aus Greta Thunberg wird. Nein, sie ist keine Eintagsfliege. Ich will nicht, dass sie resigniert – ich will nicht, dass sie die Hoffnung verliert!
Mach weiter, Mädchen!