Häusliche Gewalt
Kein einziger Solothurner Prügler musste bis jetzt in den «Besserungskurs»

Häusliche Gewalt hat in Solothurn stark zugenommen. Doch die Richter schickten bisher keinen einzigen der Prügler in einen Besserungs-Kurs. Die Bestimmung ist ein Papiertiger. Jetzt will Oberstaatsanwalt Bänziger handeln.

Stefan Frech
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Solothurner Zeitung

Im letzten Jahr hat die häusliche Gewalt im Kanton Solothurn erneut stark zugenommen: 616 Fälle hat die Polizei registriert, 67 mehr als im Vorjahr. In der Mehrzahl sind die Täter Männer, die ihre Ehefrauen/Freundinnen oder Kinder schlagen, bedrohen oder vergewaltigen. Eigentlich könnten sie seit August 2010 in einen «Besserungskurs» in Liestal BL geschickt werden (wir berichteten). Doch auch fast ein Jahr später ist noch kein einziger Solothurner von einem Staatsanwalt, von einem Richter oder von einer Sozialbehörde zu diesem «Lernprogramm gegen häusliche Gewalt für Männer» verknurrt worden.

Staatsanwaltschaft übt Selbstkritik

Dass sich – was ebenfalls möglich wäre – noch kein Solothurner Mann freiwillig für den Kurs gemeldet hat, überrascht nicht wirklich. Umso mehr aber die Tatsache, dass noch kein Staatsanwalt einen Strafbefehl ausgestellt hat, der den Schläger nicht nur zur Zahlung einer Geldstrafe oder Busse verpflichtet, sondern auch zum Besuch des Kurses. Immerhin hatte die Solothurner Staatsanwaltschaft in den letzten 12 Monaten rund 160 neue Fälle von häuslicher Gewalt zu behandeln (die Gerichte übrigens rund 10). Oberstaatsanwalt Felix Bänziger relativiert: «Die Hälfte der Strafverfahren wegen häuslicher Gewalt stellen wir auf Antrag des Opfers ein.» Dann bleibt aber immer noch eine stattliche Zahl von Tätern übrig. «Leider eignen sich die meisten Verurteilten nicht für einen Besuch des Lernprogramms», sagt Bänziger. Er spricht damit die Aufnahmekriterien der Veranstalter an: minimale Bereitschaft zur Teilnahme, ausreichend mündliche Deutschkenntnisse, keine akute Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit oder psychische Erkrankung.

Bänziger verhehlt aber nicht, dass auch die Staatsanwälte und Staatsanwältinnen selber Zurückhaltung an den Tag legen – weil sie prüfen müssen, ob ein Täter fürs Lernprogramm geeignet ist, oder weil sie nicht an dessen Einsicht glauben. «Ich bin aber der Überzeugung, dass wir mehr probieren könnten», räumt Oberstaatsanwalt Bänziger ein. «Vor allem bei Wiederholungstätern sollten sich die Staatsanwälte in Zukunft gut überlegen, ob sie diese nicht zur Teilnahme zwingen müssten.»

Kein Verständnis bei Veranstaltern

Die Co-Leiterin des Lernprogramms versteht die Zurückhaltung der Solothurner Staatsanwälte nicht: «Sie müssen gar nicht selber abklären, ob ein Täter für den Kurs geeignet ist. Sie können uns die Männer einfach zu einem Erstgespräch schicken und wir entscheiden dann», sagt Christine von Salis-Pughe. «So lautet auch die Abmachung mit den Strafverfolgern im Kanton Baselland.» Aus den Kantonen Aargau, Baselland und Basel-Stadt werden jährlich rund 85 Männer zu einem Erstgespräch empfangen. «Rund 75 Prozent nehmen wir dann ins Lernprogramm auf», sagt von Salis-Pughe. Die allermeisten Teilnehmer kommen auf Empfehlung eines Staatsanwalts während des Strafverfahrens. «Es braucht also gar nicht unbedingt den Zwang über einen Strafbefehl, obwohl dadurch natürlich grössere Verbindlichkeit hergestellt werden kann», sagt von Salis-Pughe. «Der Staatsanwalt kann dem Täter bereits bei der ersten Einvernahme die Teilnahme am Kurs – mit mehr oder weniger Nachdruck – ‹schmackhaft› machen.»

Immerhin zwei Anfragen

Christine von Salis-Pughe hofft, dass künftig auch Solothurner Täter den Weg nach Liestal finden. «Wir haben ein schweizweit anerkanntes Programm, das wichtig für die Täter und für den Opferschutz ist – das sollte man doch wirklich in Anspruch nehmen.» Einen Lichtblick sieht sie bereits: «Vor wenigen Wochen haben sich zwei Vormundschaftsbehörden aus dem Kanton Solothurn bei mir gemeldet.» Sie möchten Männer ins Lernprogramm schicken, die ihren Kindern Gewalt angetan haben.

Hilfe für Täter und Opfer Infos zum «Lernprogramm gegen häusliche Gewalt für Männer» unter www.interventionsstelle.bl.ch. Männer können sich auch freiwillig melden. Anlaufstelle für Opfer: Opferhilfe Aargau Solothurn, www.ag.ch/sozialdienst/de/pub/opferhilfe.php.