Bellach
Die Carrosserie Hess führt auch ein Museum – und das ist sehenswert

In Bellach führt die Carrosserie Hess AG ein Firmenmuseum. Fahrzeuge sind nicht ausgestellt, dafür Dokumente und Werkzeuge, mit denen die Fahrzeuge hergestellt wurden, und alles rundherum.

Urs Byland
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Zu Besuch im Museum der Carrosserie Hess AG in Bellach.
10 Bilder
Museum der Carosserie Hess in Bellach
Es ist deutlich angeschrieben.
Detail.
Münztasche.
Aus einem geraden Blech wird ein Kotflügel.
Chauffeurstühle und die Konstruktionszeichnung eines Busses.
Werkzeuge und Nähmaschine, die beim Sesselbau genutzt wurden.

Zu Besuch im Museum der Carrosserie Hess AG in Bellach.

Michel Lüthi/bilderwerft.ch

Oben die moderne, lichtdurchflutete Empfangshalle der Carrosserie Hess AG und gleich darunter ein miefiger, nach Öl riechender Keller? Weit gefehlt. Die enge Treppe führt an einen Ort, an dem die Vergangenheit der Firma wieder zum Leben erweckt wird. Das wirkt etwas pathetisch, ist aber fast nicht gelogen. Man hat das Gefühl, man betritt eine andere Welt und schaut dem Konstrukteur, dem Sattler oder dem Wagner über die Schulter, wie sie ein Fahrzeug, das den Träumen ihrer Kunden entstammt, entstehen lassen. Hier unten wirkte der kürzlich verstorbene Max Naef, erzählt sein Sohn, Geschäftsführer Alex Naef.

Max Naef sammelte akribisch alles, was irgendwie mit der Firma zu tun hat. Zusammengekommen sind Tausende von Gegenständen und Dokumenten. «Vor 13 Jahren begann er, die Sammlung im Kellerraum zu ordnen. Es wurde für Jahre sein Refugium, das er Dokusurium nannte. Geholfen haben ihm dabei vor allem die Lehrlinge», so Naef. Verkaufsmitarbeiter Yves Brügger, der Führungen durch das Museum leitet, erklärt: «Die Ausstellung ist nach Berufsgattungen gestaltet. Man sieht den Wagner, den Schlosser, den Spengler, den Sattler, den Lackierer, den Elektroniker und den Konstrukteur. Und man sieht die Entwicklung unserer Systeme über die Jahrzehnte.»

«Der Lungg isch duss, das Rad isch ab, und ...»

Gleich beim Eingang werden beispielsweise die Arbeiten des Wagners dargestellt. Der Wagenbau wuchs aus dem früheren Kutschenbau der Firma Hess hervor. Der Gründer hatte in Solothurn gleich neben dem heute nicht mehr existierenden Restaurant Pflug an der Weissensteinstrasse eine Wagnerei und flickte den Bauern, während diese den Markt besuchten, deren Fahrzeuge.

Holz war damals das wichtigste Material. «Es wurde im Wald zugeschnitten und danach bei uns im Holzschopf gelagert, zuerst in Solothurn, später in Bellach», erklärt Alex Naef. Brügger beschreibt am Objekt, wie ein Loch in einen Holzklotz geschnitzt wurde, bis eine Metallbüchse eingeführt werden konnte. «Die durfte nicht viel Spiel haben.» Es folgte eine Nabe, die mit einem «Lungg» gesichert wurde, das Holz wurde mit Eisenbändern verstärkt – und fertig war eine Radachse. Max Naef ergänzte mit humorvollen Sprüchen die Ausstellung. In diesem Fall lautet der Text: «Der Lungg isch duss, das Rad isch ab, und d’Schelme faare d’Aare ab.»

Von der Wagnerei zum Fahrzeugbauer

Alex Naefs Grossvater Heinrich Naef trat 1927 als Wagner in die Firma ein und übernahm über die Jahre sukzessive die Leitung und die Mehrheit der Firma Carrosserie Hess AG von den beiden Söhnen des Firmengründers Heinrich Hess (Gründung 1882). Diese hatten keine familieninterne Nachfolge.

Die Söhne des Firmengründers hatten ab 1919 die Ambition, nicht nur zu reparieren, sondern selber Fahrzeuge zu bauen, wie das in den 20er-Jahren in der Schweiz vielerorts gemacht wurde. «Man baute auf, was man bekam. Etwa für Feldschlösschen einen Biertransporter oder Spezialbusse für Postauto», erklärt Alex Naef. Begüterte Personen in den Dörfern, wie der Anwalt oder Arzt, hätten bei Carrosserie Hess AG ihre Fahrzeuge bestellt, mal eines für fünf Personen oder ein Sportcabriolet. Aus der Wagnerei entwickelte sich so die Carrosserie Hess AG stetig zum Fahrzeugbauer.

In einem anderen Bereich sieht man die Entwicklung des Sitzes der Busfahrer. Federn unter dem Leder dämpften die Schläge wie bei einem alten Federsofa. Eine eigens entwickelte Metallkonstruktion aus Gusseisen erlaubte das Drehen des Sitzes und dessen individuelle Einstellung. «Die Konstruktion entsprach dem Postautostandard für Jahrzehnte und wurde auch an andere Karosseriefirmen verkauft», so Brügger.

1 zu 1 die Konstruktion eines Busses gezeichnet

In der Mitte des Kellerraums steht das Holzgerippe eines von Carrosserie Hess hergestellten Fahrzeugs. Der Kunde bestellte zwei identische Fahrzeuge, holte seinerzeit aber nur eines ab, und das Holzgerippe verschwand für Jahrzehnte auf dem Dachboden, bis es Max Naef wieder auffrischen liess. Neckisch erinnert ein Schild daran, dass das Gestell nicht fahrbereit ist. Aber man sieht natürlich die Konstruktion eines Fahrzeuges und ahnt die Arbeiten, die damit verbunden sind.

Beim Rundgang erfährt man, wie alles von Grund auf selber hergestellt wurde. Von der Hupe mit dem heute bekannten Dreiklang aus dem Andante der Ouverture zu Gioachino Rossinis Wilhelm Tell bis zur Ortsanzeige, dem «Winker» (Blinker) oder dem Tachometer. An einer Wand ist die Zeichnung eines Busses angebracht ist. Das Besondere daran ist: die Zeichnung gibt den Autobus, immerhin einen 40-Plätzer, im Massstab 1 zu 1 wieder. «Das war früher üblich. In der Zeichnung sind verschiedene Ansichten des Fahrzeugs integriert.»

Glasplatten, Nachtlaternen und Profile

Max Naef wollte nicht Fahrzeuge ausstellen, sondern die Dokumente und Werkzeuge, mit denen die Fahrzeuge hergestellt wurden, und alles rundherum. Etwa die Glasplatten mit den Abbildungen der Fahrzeuge, die in Dossiers abgelegt wurden und die Produktion dokumentieren. Oder das halbe Quadratmeter grossen Buchhaltungsbuch (aufgeschlagen) aus den 1920er Jahren. Nicht fehlen dürfen Geschirr und Nachtlaternen, die die Firma in den Kriegszeiten für die Mitarbeiter vorrätig halten mussten, falls sie nicht heimgehen konnten.

Eine anschauliche Dokumentation beschreibt die Geschichte des Fahrzeugbaus, der Firma, aber auch der Gemeinde Bellach. Zudem wird die Entwicklung in der eigentlichen Domäne der Firma aufgezeigt, dem Karosseriebau. Beispielsweise wie mit Hämmern und Schleifen aus einem flachen Stück Blech der geschwungene Kotflügel eines Busses wird. «Die Arbeiter erzielten eine grosse Fertigkeit im Bearbeiten des Blechs. Einer war bekannt dafür, dass er aus Blech Rosen machen konnte.»

Zu sehen sind unzählige Profile, anfänglich aus Holz und später aus Stahl und dann dem leichten, dauerhaften Aluminium. Die Nutzung des leicht formbaren Materials war ein Meilenstein. «Viele Arbeitsschritte konnten eingespart werden, was sich auf die Personalkosten auswirkte. Da fällt der höhere Preis für Aluminium nicht ins Gewicht. Hier fühlte sich Max Naef insbesondere zu Hause, beim Perfektionieren der Profile zur Rationalisierung der Arbeitsabläufe und Steigerung der Qualität», erzählt Brügger.

Das prallvolle und toll gestaltete Dokusurium der Firma enthält noch viele Objekte mit Geschichten, die auf ihre Entdecker warten. Wie etwa das Bild, das Alt-Bundesrat Adolf Ogi als Verkehrsminister am Stand von Hess am Salon in Genf zeigt. Heute würde er bei einem Museumsbesuch sagen: Freude herrscht. Dem muss man zustimmen.

Hinweis: Der Besuch des Museums ist auf Voranmeldung (032 617 34 11) möglich.