Es ist wieder da, das publizistische Kleinod aus der Stadt. Ein heimisches Konzentrat mit weltläufiger Wirkung.
Ein bisschen Heimatschwere liegt immer in der Luft, wenn sie präsentiert werden, die Oltner Neujahrsblätter. Das liegt weder an den transportierten Inhalten noch an der gemütstrunkenen Adventszeit. Viel eher wohl am Groove, ums mal in der Musiksprache auszudrücken: der Art und Weise, die Themen mit dem passenden Timbre und passender Dramaturgie darzubieten, derweil die innere Begeisterung oder die Empathie der Schreibenden und Gestaltenden hervortritt.
Dies ist das eine, schon fast spirituelle. Dann gibts das andere, mehr Physische. Nicht umsonst nämlich hat Oltens Stadtpräsident Thomas Marbet an der Vernissage der Oltner Neujahrsblätter 2023 gemeint, er müsse das Produkt einfach erst erschnuppern. Und wahrscheinlich auch das Papier erspüren, den Hochglanz durchdringen.
Solches hat das Zeug, zur Tradition zu werden. Da macht auch die 81. Ausgabe keine Ausnahme, die thematisch etwas fluider, leichtfüssiger, ja charmanter daherkommt als andere Ausgaben. «Süffig», hiess die Leiterin der Redaktionskommission, Iris Schelbert-Widmer, die neuste Edition.
Und Thomas Müller, Inhaber und Geschäftsleiter der Dietschi Print&Design AG, gab zu verstehen, das Spezielle an den Neujahrsblättern sei auch das Bewusstsein der Machenden für das Konstante, das Solide, Unaufgeregte.
Mehr als 112 Seiten Umfang gehen nicht. Aus technischen Gründen. Natürlich haben die aktuellen Neujahrsblätter das Menschenmögliche ausgeschöpft. Umfang: 112 Seiten. Genau. Gespickt mit dem bunten Allerlei, was eine Kleinstadt so hergibt. Mal verzögert Aktuelles, mal thematisch Spannendes.
Wie das Radio nach Olten kam? Und vor allem: Wann? Darüber gibt etwa die Geschichte von Werner Schwaller zu Radio Ambühl Auskunft, dem ersten Radiofachgeschäft in Olten. Dessen Gründer, Paul Ambühl, 1920 nach Olten gekommen und eigentlich Hochbautechniker von Beruf, war viel mehr an der aufkommenden Radiotechnik interessiert, baute sich einen Radioempfänger und eröffnete 1924 das erste Fachgeschäft auf Stadtboden. Im Bifangquartier.
Erst Mitte der 1990er-Jahre endete die Ära Ambühl mit der Geschäftsaufgabe durch Sohn Gaudenz Ambühl. Doch etwas weiter zurück liegt die Geschichte von Paula Krinn über deren Ururgrossmutter Léonie Lucie Haug-Meyer. Lisez et Réfléchissez (Lesen und denken Sie nach) nennt sich der Beitrag, begleitet von etwas verblichenen Fotos. Kein Wunder: Die Frau war in den 1890er-Jahren Gouvernante bei der Familie eines verwitweten russischen Generals. Tagebücher der Frau dienten als Quellen.
Wer vertieft in die psychosozialen Felder des Gouvernantenwesens eindringen möchte, liegt hier genau richtig. Denn Gouvernanten waren Frauen, die mehr wollten. So auch Léonie Lucie Haug-Meyer. Sie forderte sich und andere auf, kritisch zu denken und sich eine von der Gesellschaft unabhängige Meinung zu bilden. Fromme Wünsche aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert.
Daneben weitere Titel. Sizilianische Hochzeit, Rosa Wiggli – Oltner Ansichten, «Der Preis war das Dessert» – ein Interview mit Mike Müller oder etwa die Erlebnisse von OT-Fotograf Bruno Kissling, der über seine Reisen an die ukrainische Grenze berichtet, von wo er Flüchtende in die Schweiz mitgenommen hat. Die Oltner Neujahrsblätter 2023 – weltpolitisch so nah.
Wer das erhaltene Exemplar nicht behalten möchte, kann es in den Briefkasten des Stadthauses, Dornacherstrasse 1 in Olten, legen oder in einem frankierten Kuvert per Post zurücksenden.