Sport
Frauen wie Daniela Ryf kommen den Männern im Ausdauersport immer näher – können sie die Männer dereinst sogar besiegen?

Die Differenz zwischen Frauen und Männern im Ausdauersport wird kleiner. Das wirft die Frage auf, ob Frauen wie Daniela Ryf die Männer dereinst hinter sich lassen können. Die Antwort ist noch offen.

Simon Häring
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2018 liess Daniela Ryf in Hawaii die Hälfte der Profi-Männer hinter sich.

2018 liess Daniela Ryf in Hawaii die Hälfte der Profi-Männer hinter sich.

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Als Daniela Ryf im Oktober 2018 den Ironman auf Hawaii zum vierten Mal in Folge gewinnt, pulverisiert sie ihren eigenen Streckenrekord. 8:26:18 Stunden benötigt sie für die 3,86 Kilometern schwimmen, 180,1 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen - und das, obwohl sie sich vor dem Rennen an einer Qualle verbrannt hatte und mit grossem Rückstand aus dem Wasser kam. Ryf benötigte damit nur eine halbe Stunde länger als der schnellste Mann. Als Fünfundzwanzigste im Gesamtklassement liess sie über die Hälfte der Männer hinter sich. Seither begleitet sie, ob sie will oder nicht, die Frage, ob sie dereinst alle Männer hinter sich lassen kann.

In den 1980er-Jahren gingen Wissenschafter der University of California davon aus, dass Frauen bereits im Jahr 1998 den Marathon schneller laufen werden als Männer. Sie verglichen dabei die Entwicklung der Bestzeiten in den fünf wichtigsten olympischen Laufbewerben vom 200 Meter Lauf bis zum Marathon - im Zeitraum von 1920 bis 1990. Resultat: Die Frauen verbesserten ihre Zeiten in den Sprintbewerben doppelt so schnell wie die Männer, bei den Langstrecken sogar noch schneller. Bei gleich bleibender Entwicklung, so die Prognose damals, würde der Geschlechterunterschied spätestens 2050 verschwunden sein.

Das Problem: Die Wissenschafter hatten die Weltrekordentwicklung einzig mit mathematischen Modellen analysiert, ohne zu berücksichtigen, dass die Geschichte der Frauen im Sport jünger ist als die der Männer.

1967 nahm mit Kathrine Switzer (Startnummer 261) erstmals eine Frau am Boston-Marathon teil, was der Renndirektor persönlich verhindern wollte.

1967 nahm mit Kathrine Switzer (Startnummer 261) erstmals eine Frau am Boston-Marathon teil, was der Renndirektor persönlich verhindern wollte.

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Rekordexplosion zwischen 1980 und 1990

Hochleistungssport galt lange als männliche Domäne. Bis in den 1960er-Jahren waren beim Marathon zum Beispiel keine Frauen zugelassen. Das erklärt, weshalb die Rekorde im Frauensport zwischen 1980 und 1990 explosionsartig anstiegen. Tatsächlich ist der Leistungsunterschied zwischen Männern und Frauen im Sport in den letzten Jahren sogar wieder grösser geworden. Lag der Wert 1989 noch bei durchschnittlich 10,4 Prozent, hat er sich nun bei 11 Prozent eingependelt. Als Ursache wird das Verschwinden des Ostblocks vermutet, wo speziell im Frauensport systematisches Doping betrieben worden war.

Männer sind im Schnitt zwölf Zentimeter grösser und 10 bis 20 Kilogramm schwerer als Frauen. Geringere Muskelmasse, tiefere Maximalleistung, andere Verteilung der Muskelfasertypen, dazu sind Herz und Lunge relativ zum Körper kleiner, die Herzfrequenz höher, die Blutmenge und der Wert des Sauerstofftransporteurs Hämaglobin sind niedriger. Frauen haben zudem einen höheren Anteil an Körperfett und weniger Muskelmasse. Männer sind entsprechend schneller und kräftiger als Frauen. In den meisten Sportarten ist das ein entscheidender Vorteil. Der Männerkörper ist dem Frauenkörper in Sachen Leistungsfähigkeit schlicht überlegen.

Nicht im Ausdauersport. Dort gilt: Je länger die Belastungsdauer, desto kleiner wird der Leistungsunterschied zwischen den Geschlechtern. Während die Differenz beim Gewichtheben 27 Prozent beträgt, liegt die Bestmarke einer Frau bei einem Lauf über 100 Kilometer nur 6 Prozent über der des besten Mannes – bei 6:33:11 gegenüber 6:10:20 Stunden.

Im Dauerschwimmen übertreffen die Frauen regelmässig die Männer.

Im Dauerschwimmen übertreffen die Frauen regelmässig die Männer.

Keystone

Wie ist das zu erklären? Der Mediziner Christof Rüst forscht seit Jahren zum Thema Gender Gap. Zusammen mit Beat Knechtle hat er in den letzten Jahren einen Datensatz zusammengetragen, der die Entwicklung der Leistungsdifferenz von Frauen und Männern in Ausdauersportarten und Sprintdisziplinen wie Schwimmen und Leichtathletik untersucht.

Glauben sie, dass Frauen wie Daniela Ryf dereinst mit den besten Männern mithalten und sie sogar bezwingen können?

Die Daten würden dagegen sprechen. Aber sie vermuten, dass die Frauen noch weiter von ihrem Leistungspotenzial entfernt seien als die Männer. Was zwangsläufig dazu führen dürfte, dass der Abstand der Frauen auf die Männer in den nächsten Jahren noch kleiner wird. Das beste Beispiel dafür ist Daniela Ryf. Als Frau gehört sie nicht nur zum jüngeren, also entwicklungsfähigeren Geschlecht. Als Triathletin ist sie auch in einer vergleichsweise jungen, also entwicklungsfähigen Sportart tätig.