Fussball-EM
Regenbogenbinde, kniende Fussballer und Ungarische Ultra-Faschos in Budapest: Nie zuvor war ein Sportanlass politischer

Die Uefa will, dass die Fussball-Europameisterschaft nicht als Bühne für politische Botschaften genutzt wird. Doch inzwischen lassen sich das auch die Spieler nicht mehr vorschreiben und stehen für Werte ein.

François Schmid-Bechtel
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Manuel Neuer mit einer Kapitändsbinde in Regenbogenfarben.

Manuel Neuer mit einer Kapitändsbinde in Regenbogenfarben.

Philipp Guelland / AP

Noch ist nicht klar, ob Victor Orban am Mittwoch nach München reisen wird, um seine Ungarn gegen Deutschland spielen zu sehen. Eigentlich stünde jetzt nicht mehr viel im Weg, wo die Uefa den Münchnern verboten hat, die Allianz Arena in Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen. Es sollte ein Zeichen gegen die LGBTQ-feindliche Politik Orbans sein. Ein Zeichen für eine bunte, vielfältige und tolerante Gesellschaft.

Es geht bei dieser EM nicht allein um Fussball. Sondern um Themen wie Klima- und Umweltschutz, oder wie man mit zunehmend autoritären Regierungen wie jenen in Russland und Ungarn umgehen soll. Es geht um Menschenrechte und darum, welche Sponsoren politisch vertretbar sind.

Viktor Orban zieht sowieso lieber Heimspiele vor. Im vollbesetzten Ferenc-Puskas-Stadion in Budapest. Mit ein paar Hundert nicht ganz so schnuckligen Glatzen mit nackten Bäuchen und hasserfüllten Fratzen. «Carpathian Brigade», nennen sich diese Ultra-Faschos. Und um Missverständnisse vorzubeugen, tätowieren einzelne ihre Berufsbezeichnung gleich auf den Bauch: Hooligans.

Ungarische Ultras vor dem Spiel gegen Portugal in Budapest.

Youtube

Einmal mehr offenbart Budapest, wie unterschiedlich die gesellschaftlichen Vorstellungen in Europa sind. Allein das volle Stadion ist ein Symbol. Ja eine Machtdemonstration des ungarischen Ministerpräsidenten. Die Bilder des vollen Stadions sind ein Propagandaerfolg. So nach dem Motto: Mein Weg ist der richtige. Mein Land hat die Lage im Griff. Soll mir bloss keiner kommen und vorwerfen, dass wir russische und chinesische Vakzine impfen liessen, ehe diese in der EU zugelassen waren.

Ja, diese EM zeigt einmal mehr, dass Fussball und Politik nicht trennbar sind. Wahrscheinlich erleben wir sogar die politischsten Sportveranstaltung der jüngeren Geschichte. Auch, weil sich einige Spieler zu emanzipieren beginnen. Von Despoten und Autokraten wissen wir längst, dass sie den Sport für ihre Zwecke missbrauchen. Aber dass die Athleten selbst ihre Stimme erheben, öffentlich ihre Werte und Ansichten vertreten, ist eher neu. Ja, immer häufiger treten die Fussballer vor die Türe ihres gesellschaftlichen Elfenbeinturms.

Wie Ronaldo den Aktienkurs von Coca-Cola einbrechen lässt

Beispielsweise Cristiano Ronaldo. Bevor der portugiesische Superstar im Budapester Stadion homophob beleidigt wurde, nutzte er an einer Pressekonferenz die Chance für sein Statement, in dem er zwei Flaschen des Uefa-Sponsors Coca-Cola entfernte. Dann hob er eine Plastikflasche Wasser hoch, sagte «Agua». Von Ronaldo wissen wir, dass er streng Diät hält und insbesondere Kinder davon abhalten will, zuckerhaltige Getränke zu konsumieren.

Für Coca-Cola blieb diese Episode nicht folgenlos: der Aktienkurs brach ein.

Auch Manuel Neuer, der Torhüter der Deutschen, hat ein Zeichen gesetzt. Das ist aussergewöhnlich. Weshalb die «Süddeutsche Zeitung» titelte: «Manuel Neuer – jetzt auch mit Haltung». Natürlich war das mit der regenbogenfarbenen Captainbinde gemäss Uefa-Protokoll wieder nicht richtig. Denn alles, was in den Fokus der Kameras gerät, soll genormt und genehmigungspflichtig sein – wenn wir mal von den Glatzen in Budapest absehen. Immerhin: Die Uefa taxierte Neuers Aktion nach einer Untersuchung als «good cause». Also eine nicht sanktionswürdige Botschaft für Vielfalt. Aber in der Stadionfrage sieht man das anders.

Hinknien: Statement oder Gestenpolitik?

Heftig diskutiert wird in vielen Ländern, ob es richtig ist, dass die Spieler vor dem Anstoss niederknien, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Bei den Schotten dominierten innerhalb des Teams die Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Aktion, die nach dem gewaltsamen Tod des farbigen US-Amerikaners George Floyd zunächst im US-Sport angewendet wurde und sich dann auch im europäischen Fussball verbreitete. Trotzdem machten sie es vor dem Anpfiff zur Battle of Britain. Aus Solidarität zu den Engländern.

Belgiens Romelu Lukaku kniet nieder, die Russen nicht.

Belgiens Romelu Lukaku kniet nieder, die Russen nicht.

Anatoly Maltsev / AP

Diese wiederum werden aus dem eigenen Lager für das Knien kritisiert. Buhrufe und Pfiffe im Stadion sind das eine. «Leider», schrieb Trainer Gareth Southgate vor der EM in einem offenen Brief, «habe ich schlechte Nachrichten für Leute, die sich so verhalten: Sie stehen auf der Seite der Verlierer. Mir scheint klar, dass wir uns in die Richtung einer toleranteren und verständnisvolleren Gesellschaft bewegen. Und ich weiss, dass unsere Jungs ein wichtiger Teil dieser Entwicklung sind.» Natürlich stürzen sich die Politiker egal welcher Couleur auf dieses Thema. «Gestenpolitik», sagte Innenministerin Priti Partel. Die Fans hätten zudem «ein Recht auf Buhrufe». Staatsminister Michael Gove hielt dagegen. Fussballer sollten «die Möglichkeit haben, ihre Gefühle gegen Vorurteile auszudrücken».

Und selbstverständlich zoffen sich Russen und Ukrainer. Weil auf den Trikots der Ukrainer die völkerrechtlich anerkannten Grenzen zu sehen sind. Also mit der von Russland einverleibten Krim. Natürlich forderte der Kreml sofort ein Eingreifen der Uefa. «Sonst könnten unsere Spieler in Shirts auf den Platz gehen, auf denen die Umrisse des russischen Reiches abgebildet sind, das Polen, die Ukraine und Finnland einschliesst», hiess es.

Die Grenzen sind zwar noch zu sehen. Aber den Schriftzug mit dem Slogan «Ruhm der Ukraine! Ruhm den Helden!» musste verschwinden. Diese EM sollte eigentlich Europa einen. Aber das kann der Fussball nicht leisten. Im Gegenteil. Diese EM zeigt deutlich, wie zerrissen Europa ist.