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Seit 2014 spielt der in Möhlin aufgewachsene Ivan Rakitic beim grossen FC Barcelona. Ausgebildet beim FC Basel, ist er beim Katalanischen Verein mittlerweile ein Star. Ebenso beim WM-Halbfinalisten Kroatien. Im Interview spricht er über die Angst vor und die Sehnsucht nach einer Rückkehr ins Joggeli – und seiner Entfremdung von der Schweiz.
Dreimal muss sich ausweisen, wer die Ciutat Esportiva Joan Gamper betreten will. An der Avenida Onze de Setembre – benannt nach dem Katalanischen Nationalfeiertag – befindet sich das Trainingsgelände der ersten Mannschaft des FC Barcelona.
Gleich nebenan ist mit «La Masia» die berühmteste Fussball-Jugendakademie der Welt. Zuerst reicht die Identitätskarte, deren Nummer notiert wird. Danach müssen Name und Medium registriert werden, bevor ein letzter Check ein Nicken des Securitas folgen lässt.
In die heiligen Hallen Barças zu kommen ist kompliziert – bis man endlich im richtigen Raum ist, und Ivan Rakitic hineinspaziert. Einen Kaffee in der Hand, gut gelaunt, lächelt er, stellt sich vor und übernimmt sogleich die Rolle des Fragenstellers. «Wie ist das Wetter in der Schweiz?», will er wissen. Nicht des Smalltalks wegen, sondern weil es ihn wirklich interessiert. Denn: «Ich war schon so lange nicht mehr da.»
Ivan Rakitic wurde am 10. März 1988 in Rheinfelden geboren und wuchs mit seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Schwester in Möhlin auf. Ab seinem achten Lebensjahr durchlief der heute 29-Jährige die Nachwuchsstufen des FC Basel. Nach 34 Spielen für die erste Mannschaft wechselte er 2007 zu Schalke.
Im selben Jahr entschied der Schweizerisch-Kroatische Doppelbürger, für die Heimat seiner Eltern aufzulaufen. Über den FC Sevilla schaffte er 2014 den Sprung zum FC Barcelona, wo er noch immer spielt und zum Weltstar gereift ist. Rakitic ist mit der Sevillana Raquel Mauri verheiratet und hat zwei Töchter.
Herr Rakitic, wann waren Sie denn zuletzt zu Hause?
Ivan Rakitic: Seit Jahren nicht mehr. Für mich alleine wäre die Reiserei kein Problem. Aber mit den Töchtern ist es schwieriger. Das benötigt eine riesige Organisation. Die eine ist 4 Jahre alt, die andere erst 15 Monate. Vielleicht klappt es eher, wenn sie etwas älter sind.
Ihre andalusische Frau war aber schon mal in der Schweiz?
Ja, bevor wir geheiratet haben. Ich habe ihr alles gezeigt in Möhlin und Basel. Auch das Joggeli. Das war der erste Ort, zu dem wir gefahren sind. Natürlich habe ich ihr auch noch das Steinli, meine Schule, gezeigt und das Krankenhaus in Rheinfelden. Ich wollte, dass sie weiss, woher ich komme. Aber so viel sie konnte ich nicht zeigen, hier ist ja alles etwas kleiner als in Sevilla (lacht).
Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann wieder in der Schweiz zu leben?
Das wäre schwer. Ich habe früher immer gesagt, dass ich irgendwann zurück in die Schweiz will. Aber jetzt, wo mich mein Weg immer mehr und mehr weg führt, sehe ich diese Möglichkeit eher nicht mehr.
Ich bin zwar immer noch in Kontakt mit denselben Leuten von früher, aber ich bin seit knapp zehn Jahren nicht mehr da. Ob du es willst oder nicht: In so einer langen Zeit ändert sich vieles. Es ist nicht mehr das Gleiche.
Ich müsste beispielsweise fragen, wo ich essen gehen soll in Basel. Wenn ich heute sage, ich gehe nach Hause, dann spreche ich von Sevilla, wo ich so viel Glück hatte. Dort habe ich meine Frau kennen gelernt, dort habe ich ein Haus und es ist für mich die schönste Stadt in Spanien.
Was macht die Stadt denn aus?
Zuerst einmal die Leute, deren Art und Weise. Die ähnelt jener der Menschen in Südkroatien, wo ich her komme. Ausserdem ist alles sehr traditionell, alle sind sehr gläubig und die Familie ist enorm wichtig. Die Familie meiner Frau hat mich aufgenommen, als wären wir schon immer zusammen gewesen. Aber ich muss schon betonen: Ich gehe immer gerne in die Schweiz.
Wenn ich zur kroatischen Nati reise, schaue ich immer, dass ich über Zürich fliegen kann, wenn möglich. So kann ich am Flughafen ein paar Stunden mit Familie und Freunden verbringen.
Aber wenn man mal weg ist, ist man weg. Die ersten Jahre bin ich immer wieder zurückgekommen, wenn ich auch nur einen freien Tag hatte. Dann bin ich in Gelsenkirchen ins Auto gesessen und heimgefahren. Die Distanz ist in Kilometern etwa dieselbe jetzt. Sobald du jedoch mit dem Flugzeug reisen und dort warten musst, wird es anstrengend.
Sie sprechen die Art und Weise der Menschen an, die jener in Südkroatien ähnelt. Haben Sie sich darum so schnell in Sevilla eingewöhnt?
Das kann sein. Aber als ich unterschrieben habe, habe ich gar nichts über Sevilla gewusst. Ich kannte die Stadt nicht und konnte ausser «Buenos dias» kein Wort spanisch. Ich wollte einfach etwas Neues erleben. Deshalb bin ich nach Sevilla gegangen, nicht, weil ich unbedingt aus Schalke weg wollte.
Und mit dem spanischen Fussball verband mich schon immer etwas Spezielles. Also habe ich diese Herausforderung angenommen. Blöd gesagt habe ich gedacht: «Ich geh mal da hin und schau was passiert». Und es ist gut gekommen. Aber wenn man das immer schon im Vorfeld wüsste, würden viele Leute ihre Entscheidungen anders treffen (lacht). So einfach ist es nicht, man muss auch etwas Glück haben. Und das hatte ich.
Haben Sie gewisse spanische Eigenheiten angenommen?
Vielleicht. Aber vielleicht war es auch ein Teil von mir, den ich bis dann einfach noch nicht gekannt hatte. Ich sehe mich vor allem als Schweizer. Und natürlich muss man sich, wenn man in der Bundesliga spielen durfte, wo alles organisiert ist, etwas anpassen.
In Südspanien klappt nicht alles am ersten Tag. Oder wenn man sagt, man wolle ein Haus anschauen, zeigt einem der Markler eine kleine Wohnung. Aber man lernt, dass nie etwas böse gemeint ist. Südspanier sind einfach so. Die Leute in Basel sind ja auch anders als jene in Genf oder Zürich.
Sie haben gesagt, schon immer eine speziell Ihre Bindung zum spanischen Fussball an. Auf Ihrem Instagram-Account haben Sie ein Bild von Ihnen aus Kindertagen mit einem Barca-Ball mit den Worten versehen: «Vielleicht war es Schicksal, dass ich hier gelandet bin.»
Als kleiner Bube hat man immer drei oder vier Mannschaften und Spieler, die man lieber hat. Bei meinem Bruder und mir war Barca eine dieser Mannschaften, wie Chapuisat einer der Spieler war. Von ihm war ich Fan ohne Ende.
Dieses Foto mit dem Barca-Ball hat meine Mutter gefunden und mir gezeigt, da bin ich etwa sechs oder sieben Jahre alt. Fussball ist sowieso eine ganz spezielle Geschichte für mich. Und ja, vielleicht ist es Schicksal, dass ich hier gelandet bin. Welcher Junge träumt schon nicht davon, bei einem Club wie Barca spielen zu können?
Sie bekommen bald sogar den spanischen Pass. Was bedeutet Ihnen das?
Dass mein Sohn, sollte ich noch einen bekommen, irgendwann einmal für Spanien spielen könnte (lacht).
Ihr eigener Entscheid für eine Nation – Kroatien statt der Schweiz - liegt mittlerweile schon zehn Jahre zurück. Würden Sie noch mal gleich entscheiden?
Es war immer eine Entscheidung für Kroatien und nicht gegen die Schweiz. Die Anziehungskraft und die Bemühungen Kroatiens waren einfach stärker. Aber ich hätte mit ebenso grossem Stolz für die Schweiz gespielt. Ich fühle mich zu einem Grossteil als Schweizer, habe immer beide Pässe dabei.
Spüren Sie heute noch immer negative Gefühle aus der Schweiz, oder heutzutage eher Stolz?
Das können Sie mir vielleicht besser sagen, wie die Gemütslage in der Schweiz ist. Ich hoffe, dass man stolz ist, aber ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Als mich Bernhard Heusler für das letzte Saisonspiel und seinen Abschied eingeladen hat, habe ich mir schon auch überlegt: Und was, wenn sie pfeifen?
Wirklich?
Ja. Oder was, wenn die Leute mich gar nicht sehen wollen? Selbstredend hätte ich es trotzdem gemacht, für Bernhard und den Verein und weil es ein spezieller Moment gewesen wäre mit dem 20. Titel. Da ich nicht frei hatte, konnte ich jedoch nicht kommen. Aber dieser Gedanke, dass es negative Emotionen wecken könnte, liess mich nicht los.
Hatten Sie Angst?
Angst ist vielleicht nicht das richtige Wort. Vielmehr Respekt, weil du nicht weisst, was dich erwartet. Alle haben mir gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Aber man weiss nie. Ich bin mir Pfiffe zwar gewohnt. Aber wenn es nicht Tausende von Madrilenen, sondern die Menschen aus deiner Stadt, von deinem Heimatverein sind, dann würde es sehr wehtun. Weil das von der Herzensseite wäre. Und weil ich mich immer noch als Basler fühle und sich das nie ändern wird. Ich war mit meinem Vater noch im alten Joggeli, diese Emotionen vergisst man nie.
Das klingt, als wären Sie ein Fussballromantiker.
Bei allem Respekt vor dem neuen Stadion, das ja immerhin meine ehemaligen Lehrmeister entworfen haben: Aber für mich geht nichts über das alte Joggeli. Da war ich schon als Ballbub auf dem Platz. Und wenn du einen Verein liebst, dann liebst du auch seine Geschichte. Und vor allem meine Geschichte mit dem Verein spielte sich zu Beginn dort ab.
Dort hat mein Vater mir meinen ersten Cervelat hinter der Tribüne gekauft. Aber auch das neue Stadion ist sensationell. Ich hoffe, dass es irgendwann diesen Tag geben wird, an dem ich zurückkommen werde. Egal wie. Ob als Gegner oder Zuschauer. Ich habe einfach Bock, wieder mal ins Joggeli zu gehen.
Wann waren Sie das letzte Mal da?
Als ich noch bei Schalke gespielt habe (zwischen 2007 und 2011, Anm. d. Red.), bin ich mal mit meiner Schwester ein Spiel schauen gegangen. Sie können selber ausrechnen, wie lange das schon her ist. Seither ist viel passiert.
Ihr Verbindung ist geblieben. Wie stark verfolgen Sie den FCB noch?
Genau, das alles ändert nichts für mich. Ich bleibe ein genau gleich grosser FCB-Fan. Die Spiele der Super League verfolge ich mehr oder weniger, jene gegen YB beispielsweise versuche ich zu schauen. Aber ich muss auch sagen, dass ich früher noch viel mehr Kontakt hatte zum FCB. Jetzt wo Bernhard Heusler weg ist, hat es etwas abgenommen.
Er ist für mich eine Person, die man im Fussball kennen lernt, aber für die du nachher 24 Stunden am Tag da bist. Wir hatten stets engen Kontakt, er hat mich auch hier schon ein paarmal besucht und war auch am Champions-League-Final in Berlin. Dass er den FCB verlassen hat, ist sehr, sehr schade. So habe ich meinen wichtigsten Kontakt verloren.
Ich kann ihn aber auch verstehen. Im Fussball ist es normal, dass Neues passieren muss. Daher freue ich mich jetzt einfach, dass Leute aus der Stadt und mit einer Verbindung zum Verein übernommen haben, obschon ich die Neuen kaum kenne.
Mit Kaderplaner Remo Gaugler haben sie doch weiterhin einen guten Bekannten beim FCB. Haben Sie mit ihm nie über eine Rückkehr Ihrerseits gesprochen?
Mit ihm habe ich sehr viel zu tun, das stimmt. Er war mein Trainer in der U15 und wir haben nach wie vor eine sehr gute Beziehung. Das war auch so, als er zwischenzeitlich bei Luzern war. Konkret über eine Rückkehr habe ich noch nie mit Remo geredet. Natürlich haben wir Spässchen gemacht.
Aber ich habe auch von Pipi nichts Dahingehendes gehört. Aber vielleicht kommt er ja bald vorbei (lacht)! Spass bei Seite. Ich habe immer gesagt, dass ich sehr, sehr gerne wieder mal beim FCB spielen würde. Aber so, wie meine Karriere verlaufen ist, ist die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr nicht unbedingt grösser geworden. Das muss ich ehrlich sagen.
Und: ich würde auch nur zurückkehren, wenn ich der Mannschaft wirklich noch helfen könnte. Nicht einfach damit ich es getan habe. Dann würde ich auch ihnen keinen Gefallen tun. Dann würde ich lieber auf die Geschäftsstelle gehen und dort den Verein weiter bringen.
Mit Marco Streller besteht kein engerer Kontakt?
Wir waren zu anderen Zeiten im Verein. Daher haben wir keinen direkten Kontakt. Mit Christian Giménez habe ich oft Kontakt, er wohnt auch ganz in der Nähe von mir und durch ihn habe ich auch mit Matias Delgado zu tun, aber der hat ja mittlerweile leider auch aufgehört.
Wenn Sie Delgado schon ansprechen: Sie haben in seinem Abschiedsvideo ein paar Worte gesagt, ebenso Luis Suarez, von dem Delgado selber zugegeben hat, dass er ihn gar nicht kenne. Lösen Sie auf, wie es dazu gekommen ist.
Remo hat mich gefragt ob ich ein Video machen will. Ich habe sofort vorgeschlagen, ein paar meiner Kollegen auch noch aufzunehmen. Zeitlich wurde es dann knapp und es hat nur für Luis gereicht.
Ich habe ihn gefragt, ob er wisse, wer Mati ist, und er hat sofort geantwortet, dass das doch der Argentinier sei, der bei Besiktas war, später in der Wüste und jetzt wieder in der Schweiz spiele. Diese Südamerikaner kennen sich alle, die haben eine ganz spezielle Verbindung und verfolgen die Karrieren der anderen, auch wenn sie nicht aus demselben Land sind oder sich nicht persönlich kennen.
Nehmen ihre Barca-Kollegen den kleinen FCB denn auch wahr?
Sie sprechen mich immer wieder darauf an. Gerade wenn die Champions League läuft oder die Gruppen ausgelost werden. Schliesslich hat der FCB mittlerweile einen riesigen Ruf.
Zurück zu Ihnen. Gab es für Sie eigentlich je eine ernsthafte Alternative zum Fussball?
Ich habe tatsächlich in der Schule schon immer gesagt, dass ich Fussballer werden will. Alle erwiderten dann jeweils, dass dies kein richtiger Beruf sei und haben gelacht. Aber ich wollte das. Meine Lehre als Hochbauzeichner, die ich mit 16 bei Herzog & de Meuron begonnen hatte, habe ich auch zugunsten der Profikarriere abgebrochen.
Hätte es nicht geklappt, hätte ich auch mit 20 noch eine Ausbildung beginnen können. Beides zusammen war mir zu viel. Also habe ich eigenständig bei Jaque Herzog angerufen und ihm gesagt, dass ich aufhören möchte. Meine Eltern haben davon gar nichts gewusst.
Wie haben Sie reagiert?
Als ich ihnen die Papiere hingehalten habe um zu unterschreiben, schrien sie zuerst nur. Heute kann ich das verstehen und würde genau das Gleiche tun, wenn meine Töchter mit so etwas zu mir kommen würden. Nach einer halben Stunde schreien haben sie sich beruhigt und mir ihre Unterstützung zugesichert.
Hätte es nicht geklappt, hätte ich auch eine Lehre bei meinem Vater in Möhlin machen können, wo ich in den Ferien sowieso schon immer mitgeholfen hatte. Das war das Schönste für mich. Einfach Zeit mit meinem Vater verbringen. Ich wollte immer sein wie er: Gleich gross sein, gleich stark schiessen wie er.
Er war auch Fussballer. Haben Sie die Leidenschaft zum Sport von ihm?
Sicher einen sehr, sehr grossen Teil, ja. Ich habe immer gesagt, dass ich jenes Leben leben darf, welches er gerne gehabt hätte. Er ist komplett fussballverrückt. Das Ganze, was mit dem von ihm gegründeten Fussballverein, dem NK Pajde, passiert, ist für ihn, als hätte er noch ein viertes Kind.
Von so einer Begeisterung kann man nur angesteckt werden. Auch mein Grossvater und meine Mutter waren immer schon fussballfanatisch. Irgendjemand in der Familie hat Fussballer werden müssen.