Die Coronakrise hat den Transfermarkt einiger Topligen durchgerüttelt. Während englische Vereine mit Geld um sich werfen, müssen die anderen Topligen Europas einsparen. Darunter leidet die Super League als Ausbildungsliga.
Wenn die Grossen husten, legen sich die Kleinen mit Fieber ins Bett. Aber das, was die Grossen derzeit durchmachen, ist mehr als ein Husten. Viele davon sind schwer krank. Was nichts Gutes erahnen lässt für die Schweizer Super League.
Aber wie das? Wurde nicht permanent vom Transferwahnsinn gesprochen, geschrieben und gesendet? Lionel Messi, nie zuvor haben wir ihn in einem anderen Klub-Trikot gesehen als jenem des FC Barcelonas. Eine Institution. Verschmolzen mit den Katalanen. Wenn einer wie er den Dichtestress an Stars bei Paris Saint-Germain weiter verschärft, ist das ein Riesen-Ereignis. Oder Ronaldo. Wenn einer wie er den Klub wechselt, ist grosser Zirkus programmiert. Erst recht, wenn er zurück zu den Anfängen, zurück zu Manchester United geht. Oder wenn Jack Grealish - ja, das ist der englische Nationalspieler, den viele von uns an der EM erstmals gesehen haben, der Typ mit der puddelähnlichen Frisur der meist von der Ersatzbank kam – für 117,5 Millionen Euro zu Manchester City wechselt. Oder wenn Real Madrid mit einem 180-Millionen-Angebot für Kylian Mbappé bei PSG abblitzt – es gibt Argumente, um den Transfersommer als Wahnsinn zu bezeichnen.
Aber das sind die Ausnahmen. Die Regel ist: Leere Kassen bei den Klubs, was sich negativ auf den Transfermarkt auswirkt. Die englische Premier League und die deutsche Bundesliga mal ausgenommen. Beide konnten ihr Niveau im Vergleich zum Sommer 2018, als noch niemand etwas von einer weltweiten Pandemie ahnte, halten. Das ist in einem Markt, der permanentes Wachstum oberstes Gebot definiert, für die Akteure nicht wirklich zufriedenstellend. Aber immer noch besser im Vergleich zu Italien, Spanien und Frankreich. In diesen Ländern ist der Markt beinahe zusammengebrochen.
Noch im Sommer 2018 gaben die Klubs der italienischen Serie A auf dem Mercato 1,13 Milliarden Euro für neue Spieler aus. Während des kürzlich geschlossenen Transferfensters waren es nur noch 583 Millionen. Noch krasser ist die Differenz in der spanischen La Liga. 933 Millionen im Sommer 2018 stehen nun 300 Millionen gegenüber.
Die schwache Performance in den besten Ligen hat starke Auswirkungen auf die Schweizer Klubs. Schliesslich versteht sich die Super League als Ausbildungsliga, deren Ziel es auch ist, Spieler gewinnbringend ins Ausland zu verkaufen. Und von den Klubs ist immer wieder zu hören, dass sie auf Transfererlöse angewiesen sind, um das strukturelle Defizit auszugleichen. Das funktioniert bisweilen recht gut. Vor allem in Basel, wo man in den letzten neun Jahren neun Spieler für 10 und mehr Millionen Euro verkaufen konnte. Aber auch YB gelang es in den letzten fünf Jahren 44 Millionen Euro an Transfergewinn zu erwirtschaften.
Die Fifa führt die Super League in Sachen Transfer-Nettogewinn im letzten Jahrzehnt weltweit in den Top 10. Der FC Basel wird für die gleiche Zeitspanne im Klubranking auf Position 13 geführt. Das sind herausragende Werte aus der Vergangenheit. Die Gegenwart indes ist düster. Die 3,5 Millionen Euro, die Lorient für den Lausanne-Verteidiger Moritz Jenz bezahlt hat, sind der höchste Wert. Dahinter folgt Silvan Widmer, der für 2,5 Millionen von Basel zu Mainz wechselte. Damit holt man beim FCB weder den Kaufpreis für Widmer – der FCB überwies 2018 4,5 Millionen an Udinese – rein, geschweige denn deckt man damit das Defizit. In diesem Sommer haben die Super-League-Klubs erstmals in den letzten zehn Jahren mehr für Transfers ausgegeben als eingenommen.
Mit diesen Fakten als Grundlage stellen sich zwangsläufig existenzielle Fragen für die Schweizer Klubs: Müssen sie ihr Geschäftsmodell überdenken? Können sie künftig noch mit fetten Gewinnen aus Transfers rechnen? Oder ist das Label Ausbildungsliga ein Auslaufmodell?
Man könnte dagegenhalten, dass in England weiterhin exorbitante Summen fliessen. Aber ein Wechsel von der Schweiz direkt in die Premier League ist unrealistisch. Einerseits, weil unsere Liga kein hohes Standing hat. Andererseits sind die englischen Klubs nicht auf Schnäppchen angewiesen. Nehmen wir das Beispiel Granit Xhaka. Für 8,5 Millionen Euro wechselte er erst von Basel zu Gladbach, ehe Arsenal vier Jahre später 45 Millionen für ihn bezahlte. Oder: Vier Jahre früher wäre Xhaka für die Londoner wesentlich günstiger gewesen. Aber das stört auf der Insel keinen. Wichtiger ist ihnen die Gewissheit, dass er dem Niveau gewachsen ist. Und die haben sie kaum, solange der Spieler «nur» in der Super League spielt.
«Für uns ist es sehr schwierig, einen Spieler nach Liverpool oder Manchester zu verkaufen», sagt Christoph Spycher, Sportchef der Young Boys. Natürlich hilft die internationale Bühne, das Standing der Spieler zu verbessern. Aber selbst ein Mohamed Salah wurde nach seinen zwei glorreichen Champions-League-Auftritten gegen Chelsea und dem Transfer nach London bald an Fiorentina und später an die AS Roma ausgeliehen. Der Zwischenschritt auf dem Weg zum Olymp.
Der englische Markt ist das unerreichbare Paradies. «Unser Hauptexportmarkt ist die Bundesliga, danach kommt die französische Liga», sagt Spycher. «Da insbesondere die mittelständischen Bundesligaklubs sich während der Transferzeit passiv verhalten haben, weil auch sie kaum Spieler verkaufen konnten, gab es in der Schweiz kaum Bewegung.» Gegen Schluss der Transferzeit seien für drei YB-Spieler konkrete Angebote eingegangen. Aber die Berner stehen dank der Champions-League-Teilnahme in den folgenden zwei Transferperioden nicht unter wirtschaftlichem Druck, Spieler verkaufen zu müssen.
Das sieht in Luzern und St. Gallen, dem typischen Super-League-Mittelstand, etwas anders aus. Es fehlt überall: Zuschauereinnahmen aus der letzten Saison, Europacup-Prämien, Transfer-Einnahmen. «Wir sind weiterhin im Überlebensmodus», sagt Luzerns Präsident Stefan Wolf. «Wir sind und bleiben ein Ausbildungsklub in einer Ausbildungsliga. Transfergewinne budgetieren wir sehr konservativ. Trotzdem sind wir darauf angewiesen.»
Gemäss der Plattform transfermarkt.de hat der FC Luzern in den letzten zehn Jahren 9,4 Millionen Euro Transfergewinn erzielt. Damit deckt man die Aufwendungen für den Nachwuchsbereich nicht. Dieser verschlingt drei Millionen pro Jahr. Aus rein wirtschaftlichen Überlegungen müsste man sich die Sinnfrage stellen. Doch Stefan Wolf sagt: «Erstens unterstützt uns die Stiftung Fussballakademie Zentralschweiz. Zweitens fördern wir damit auch den Breitensport mit Talenten, welche den Sprung in den Profikader nicht geschafft haben und in den unteren Ligen ihren fussballerischen Werdegang fortführen.»
Die Kennzahlen in St. Gallen: 3,5 Millionen Franken fliessen pro Jahr in den Nachwuchs, im Schnitt über die letzten zehn Jahre erwirtschaftet man etwa eine Million Transfergewinn pro Saison. Präsident Matthias Hüppi meint: «Wir halten am Geschäftsmodell fest, überprüfen es aber laufen. Es kommt auch nicht infrage, dass wir unsere Toptalente verscherbeln.» Was er damit meint? Der italienische Klub Genoa CFC hat sich für das Verteidiger-Talent Leonidas Stergiou interessiert. «Aber der Klub hat etwa 150 Millionen Euro Schulden und schlug abenteuerliche Finanzierungsmodelle vor. Zu einem Kuhhandel sind wir prinzipiell nicht bereit», sagt Hüppi.
Ja, sie spüren es in Bern, erst recht in Luzern und St. Gallen, dass der Markt abgekühlt hat. «Selbst in der 3. Bundesliga ging es vor Corona rund zu und her», erzählt Hüppi. Ob die Temperatur je wieder ansteigt? Sie sind überzeugt, die Herren Spycher, Hüppi und Wolf. Aber vor allem hoffen sie es.