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Drei Jahre sind es her, seit die Pistolenschützin Heidi Diethelm Gerber in Rio de Janeiro mit einer Olympia-Medaille das ganze Land überraschte. Nun blickt Diethelm Gerber noch einmal zurück, spricht über ihre riskante Operation und ihre Ambitionen.
Seit dem epochalen Erfolg 2016 mit dem Gewinn von Olympiabronze hat die Thurgauerin schwierige Jahre hinter sich. Nach einer heiklen Operation im Schussarm im vergangenen Oktober geht es für Heidi Diethelm Gerber aber wieder aufwärts. In Weissrussland holte die 50-Jährige an den Europaspielen im Juni Silber und schuf sich eine gute Ausgangslage für die Olympischen Spiele 2020, die in Tokio stattfinden.
Heidi Diethelm Gerber: Es war die erste Medaille für die Schweiz. Sie kam unerwartet. Viele Schweizer sahen es am Fernsehen und dachten: endlich eine Medaille. Eine Rolle spielte sicher auch, dass ich im Schiessen um Bronze die Nummer eins der Welt besiegte. Für den Final interessierte sich nachher niemand mehr in der Schweiz. Es ist ein ganz angenehmes Gefühl, als Olympiasiegerin angesehen zu werden. Daran könnte ich mich gewöhnen. Vielleicht kommt es ja wirklich so weit.
Riesig, nach ein paar schwierigen Jahren nach dem Erfolg in Rio. Es ist ein ganz grosser Schritt vorwärts auf dem Weg zum Ziel. Er vereinfacht mir vieles in der Vorbereitung auf die Spiele 2020. Die Silbermedaille von Minsk zeigte mir zugleich ein weiteres Mal, dass ich bereit bin, wenn es um etwas geht.
Sehr schön. Ich war angenehm überrascht von der Stadt. Ich war ja auch Fahnenträgerin der Schweizer Delegation. Das erfüllte mich doch mit einem gewissen Stolz. Zudem war ich zum ersten Mal live an einer Eröffnungsfeier dabei. Bis dahin sah ich die Zeremonie jeweils nur im Fernsehen. Ich fühlte mich an den Europaspielen wie an den Olympischen Spielen, obschon ich das ja eigentlich kenne, war ich doch schon zweimal bei Olympia dabei.
Dazu sage ich immer das Gleiche: Zunächst gilt es, die Qualifikation für den Final der besten acht Schützinnen zu bewerkstelligen. Das ist schwierig genug. Wenn es so weit kommt, kann ich wieder um die Medaillen kämpfen. Der Wettkampf mit der Sportpistole dauert zwei Tage. Es geht darum, in den alles entscheidenden Stunden so viel Energie bereit zu haben, um die optimale Leistung abliefern zu können.
Erst 2008 – ein Jahr vor ihrem 40. Geburtstag – kam Heidi Diethelm Gerber zum ersten Mal mit dem Spitzensport in Berührung. Vorher spielte sie ein bisschen Volleyball. Mit der Pistole entwickelte sich die Thurgauerin bald zur mit Abstand besten Schützin im Land. Mit der olympischen Sportpistole war sie schon 2011 und 2013 Europameisterin. Überdies verbuchte sie 2014 in den USA den ersten Weltcupsieg. Auch an den Europaspielen im Mai 2015 in Aserbaidschan holte sie Platz eins in ihrer Spezialdisziplin. Seit 2014 ist Diethelm Gerber Profischützin mit dem Ziel, an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro eine Medaille zu gewinnen. Das gelang ihr mit Bronze – der ersten Olympiamedaille für eine Schweizer Schützin. An den Europaspielen in diesem Jahr wurde sie Zweite. Die Meisterschützin sagt: «Die Leistungsdichte an der Spitze wird von Jahr zu Jahr enger. Ein Weltrekord jagt den anderen.» Die in Märstetten wohnende Diethelm Gerber absolvierte die Hotelfachschule und arbeitete als Rechnungsführerin. Ihr 25-jähriger Sohn Dylan ist ebenfalls Pistolenschütze und gehört dem Nationalkader der Elite an.
Man muss im Schiesssport extrem anpassungsfähig sein. Natürlich habe ich es auch nicht so gerne, wenn es feucht und heiss ist. Aber ich muss mich arrangieren. Es ist für alle gleich. Wichtig wird sein, wie das Material funktioniert. Wir müssen viel testen unter diesen Bedingungen, denn es könnte zu Ladestörungen kommen. Der Testwettkampf findet im nächsten Frühling statt. Dann wird es sehr wahrscheinlich noch nicht so heiss sein wie im Sommer in einem Jahr. Nehme ich einmal an. Ich habe noch nie in Japan geschossen.
Ich hatte in der Saison 2018 häufig Schmerzen. In den Wettkämpfen vibrierte sogar mein Arm – automatisch. Ich hatte Gefühlsstörungen und deshalb ein ungutes Gefühl beim Schiessen. Da gab es gar keine andere Option, als mich nach der WM 2018 operieren zu lassen. Man musste einen Nerv dekomprimieren und ein sogenanntes Logensyndrom im Unterarm entfernen. Der Muskel dort konnte sich nicht mehr ausbreiten. Die Beschwerden kamen wohl daher, dass ich spät mit dem Spitzensporttraining begonnen habe und deshalb sehr intensiv dabei war.
Jeder Eingriff birgt gewisse Risiken. Meine Operation war sogar eine der schwierigeren Art. Und ich wollte auf gar keinen Fall auf links wechseln. Aber es ist sehr gut herausgekommen. Sensationell sogar. Es ist nun wie Tag und Nacht im Vergleich zu vorher, und ich verbuche nun auch wieder ansehnliche Resultate.
Während einer EM in Kroatien. Es hat es so an sich, dass ich es als Spitzensportlerin nicht aussuchen kann, wo ich Geburtstag feiere. In Rijeka, dem Austragungsort der EM, ass ich mit zwei, drei anderen Schützen eine Pizza und trank ein Bier. Es hat gepasst. Es war auch schönes Wetter.
Ein Glas Wein oder Bier gehört dazu. Ich habe so spät mit dem Spitzensport angefangen, dass ich nicht alle Gewohnheiten über den Haufen werfen wollte. Aber natürlich kommt es auf die Situation an. Wenn es ernst gilt mit dem Schiessen, geht das natürlich nicht.
Weil ich spät angefangen habe, bin ich in meinem Metier eigentlich noch jung. Ich habe das Gefühl, dass ich noch nicht alles ausgereizt habe, was für mich möglich ist. Und wenn man in der Weltspitze steht, ist automatisch auch die Motivation da.
Das ist eine fiese Frage. Es hängt meiner Meinung nach nicht vom Geschlecht ab, sondern vom Typ, vom Charakter. Nina und ich haben die Überzeugung, die es braucht, um den Schuss dorthin zu bringen, wo er hin muss. Dazu braucht es nicht unbedingt die reine Perfektion, sondern die absolute Pragmatik. Man darf sich nicht verkrampfen. Du musst immer spüren, wie es im Wettkampf um deine Emotionen steht. Du darfst nach einer Erfolgssträhne nicht übermütig werden, aber ein paar schlechtere Schüsse dürfen dich auch nicht zu Boden werfen.
Ja, die Achtung vor unseren Erfolgen ist gross. Nicht nur in Schützenkreisen, wo wir uns hauptsächlich bewegen, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit. Das Schiessen als Sportart wird respektiert. Wohl noch stärker nach meinem Olympiaerfolg von Rio. Aber klar, Schiessen ist nicht Fussball oder Tennis. Da muss man realistisch bleiben. Immerhin: Manchmal werde ich auf der Strasse von wildfremden Leuten angesprochen, die mir zu meinen Erfolgen gratulieren.
Das steht zurzeit in den Sternen. Ich werde es für mich persönlich im nächsten Frühling entscheiden. Und mein Entschluss wird bei mir bleiben. Es kann auch sein, dass ich nach den Olympischen Spielen 2020 ein halbes Jahr Pause mache. Wichtig ist auf jeden Fall, dass ich einen konkreten Plan habe, wenn ich nach Tokio fliege. Sonst könnte es noch schwieriger werden.