Ski Freestyle
Die Frau, die nach Rückschlägen immer wieder aufsteht: Wie Mathilde Gremaud Olympiasiegerin wurde

Mathilde Gremaud ist vor dem Slopestyle-Contest am Boden, startet miserabel – und wird trotzdem Olympiasiegerin. Die Geschichte einer Frau, die nicht aufgibt.

Raphael Gutzwiller
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Mathilde Gremaud jubelt über Olympiagold.

Mathilde Gremaud jubelt über Olympiagold.

Sean Kilpatrick / ZUMA Pres

Das Bild nach aussen zeichnet eine erfolgsverwöhnte Athletin, die immer dann liefert, wenn es zählt. Dreimal ist Mathilde Gremaud an olympischen Wettkämpfen angetreten, dreimal hat sie eine Medaille geholt. Nach Silber 2018 im Slopestyle und Bronze in diesem Jahr im Big Air gewinnt sie den Slopestyle-Contest. Mit 22 Jahren ist sie also auch Olympiasiegerin.

Doch die Geschichte von Mathilde Gremaud ist anders, als sie auf den ersten Blick scheint. Denn noch am Tag vor dem grossen Triumph weist wenig auf eine Medaille der Freiburgerin hin. Im Training vor der Qualifikation bricht sie in Tränen aus, sie weint eine halbe Stunde lang, ihre Trainer müssen sie trösten und ihr Mut zusprechen. Nach ihrer Bronzemedaille im Big Air an ihrem 22. Geburtstag ist bei ihr viel Druck abgefallen und Gremaud in ein tiefes Loch gefallen. «Die Medaille im Big Air wollte ich so sehr, sie war so sehr eine Belohnung – da explodierten meine Gefühle. Und dann kam der grosse Crash», sagt sie der NZZ.

Nach dem Erhalten der Bronzemedaille fällt Mathilde Gremaud in ein tiefes Loch.

Nach dem Erhalten der Bronzemedaille fällt Mathilde Gremaud in ein tiefes Loch.

Salvatore Di Nolfi / EPA

Motivation und Lockerheit waren weg

Der Spass an ihrem Sport war plötzlich weg, das Skifahren machte ihr keine Freude mehr. «Ich hatte wohl noch nie Tage, an denen ich so ungern Ski gefahren bin wie jetzt», sagte sie. Sie konnte im Slopestyle im Training nicht in den Flow kommen, es haperte an der Motivation. In der Qualifikation fühlte sie sich ein wenig besser, doch die Medaillenfavoritin zeigte eine mittelmässige Vorstellung und musste den Final fast schon abschreiben. Nur ganz knapp qualifizierte sie als 12. und letzte gerade noch.

Am Tag vor dem Olympiasieg war Mathilde Gremaud noch sehr niedergeschlagen.

Am Tag vor dem Olympiasieg war Mathilde Gremaud noch sehr niedergeschlagen.

Peter Klaunzer/Keystone

Die Erleichterung, doch nicht ausgeschieden zu sein, bringt bei Gremaud ein bisschen die Lockerheit zurück. «Ich hatte die Einstellung: Wenn ich einen Run durchbringe, dann bin ich froh. Und wenn nicht, dann habe ich zumindest alles versucht.» Doch der Start misslingt Gremaud komplett. Schon beim allerersten Rail stürzt Gremaud, es öffnete sich die Bindung der Ski. Damit habe sie sich aber gar nicht gross beschäftigt, erzählt sie später.

«Hochs und Tiefs wechseln sich bei mir immer schnell ab»

Im zweiten Run kommt das athletische Supertalent, das als Kind schon über alles mögliche gesprungen ist, so richtig im Contest an. Sie zeigt schwierige Tricks mit einer Lockerheit und der Attitüde, alles leicht aussehen zu lassen. Mathilde Gremaud setzt einen wunderbaren Run in den Schnee von Peking, den selbst das grösste chinesische Gesicht dieser Spiele, Eileen Gu, nicht übertrumpfen kann. Gremaud holt sich schliesslich vor Gu und Kelly Sildaru aus Estland die olympische Goldmedaille.

Wieder stimmt die Feststellung, dass Gremaud genau dann zur Stelle ist, wenn es zählt. «Bei mir wechseln sich Hoch und Tiefs einfach immer relativ schnell ab», sagt sie. Zudem sei es einfach irgendwie so, dass es in der Vorbereitung auf wichtige Wettkämpfe hapere. 2018 war sie gerade noch rechtzeitig nach einem Kreuzbandriss fit geworden, stürzte aber einen Tag vor dem Contest auf den Kopf und musste ins Spital gebracht werden. Zum Start von dieser Saison stürzte sie glich zweimal auf den Kopf und erlitt eine Gehirnerschütterung. Erst kurz vor den Olympischen Spielen konnte Gremaud überhaupt wieder an Wettbewerben teilnehmen.

Die Feier mit der Bier-Olympiade

Mathilde Gremaud ist mit dem Olympiasieg der zweifellos grösste Erfolg ihrer Karriere gelungen. Dafür hat sie auch auf viel verzichten müssen. Die Freiburgerin, aufgewachsen im kleinen Dorf La Roche im Greyerzerland, zügelt mit 16 nach Engelberg, geht an die Sportmittelschule, wo sie 2020 ihre Matura abschliesst. Da ist die Freiburgerin längst fester Bestandteil der Weltspitze, zu der eigentlich auch zwei weitere Schweizerinnen gehören würden. Doch Sarah Höfflin blieb in der Qualifikation hängen, die verletzte Giulia Tanno musste von zu Hause mitfiebern.

2018 hatten Gremaud und Höfflin den Doppelsieg noch ausgiebig gefeiert. Diesmal sei weniger geplant, stellt Gremaud fest. «Aber nach den Olympischen Spielen im Winter folgt im Sommer immer unsere Bier-Olympiade. Dann wird sicher gefeiert.» Mathilde Gremaud lächelt. Sie ist wieder glücklich.

Alle Schweizer Medaillen:

Ryan Regez – Olympiagold im Skicross (18. Februar)
14 Bilder
 Alex Fiva – Olympia-Silber im Skicross
Michelle Gisin – Olympia-Gold in der Kombination (17. Februar)
Wendy Holdener – Olympia-Silber in der Kombination (17. Februar)
Corinne Suter – Olympia-Gold in der Abfahrt (15. Februar)
Mathilde Gremaud – Olympia-Gold im Freeski Slopestyle (15. Februar)
Marco Odermatt – Olympia-Gold im Riesenslalom (13. Februar)
Lara Gut-Behrami – Olympia-Gold im Super-G (11. Februar)
Jan Scherrer – Olympia-Bronze in der Halfpipe (11. Februar)
Michelle Gisin – Olympia-Bronze im Super-G (11. Februar)
Wendy Holdener – Olympia-Bronze im Slalom (9. Februar)
Mathilde Gremaud – Olympia-Bronze im Freeski Big Air (8. Februar)
Lara Gut-Behrami – Olympia-Bronze im Riesenslalom (7. Februar)
Beat Feuz - Olympia-Gold in der Abfahrt (7. Februar)

Ryan Regez – Olympiagold im Skicross (18. Februar)

Bild: Alessandra Tarantino / AP